Cannes-Sieger 2005: „L\’enfant” von den Gebrüdern Dardenne (Jenifer Hochhaus)

L´enfant – Das Kind
Frankreich 2005, 100 Min
Regie: Luc und Jean-Pierre Dardenne
Darsteller: Jérémie Renier, Déborah Francois, Jérémie Segard
Kinostart: 17. November 2005Straßenlärm statt Familienidylle

Bruno und Sonia in einem Cabrio. An ihnen zieht die Landschaft vorbei, auf dem Rücksitz liegt ihr Neugeborenes. Die beiden zanken sich liebevoll, ob das Radio nun anbleiben soll oder nicht. Eine idyllische Szene. Die einzige. Auch die einzige, in der es Musik gibt.

Denn der Film „L´enfant“ (auf deutsch: „Das Kind“) ist kein idyllischer Film. Es geht nicht darum, mit Musik zu verschleiern, perfekte Kameraschwenks zu zeigen oder den Zuschauer in eine andere Welt zu ziehen. Es geht darum, die Realität zu zeigen. Man hört den Straßenlärm, das Quietschen des Matsches unter den Schuhen und das Atmen der Protagonisten. Die Kamera verfolgt Bruno und Sonia auf einem Stück ihres Lebens, zeigt wie sie sich küssen, wie er hehlt und schließlich sogar ihr Kind verkauft.

Dabei scheint es am Anfang keine Dramaturgie zu geben. Man sieht Szenen aus dem Alltag der beiden, die eigentlich keine Bedeutung für die Handlung des Films haben. Aber genau dies macht den Film so authentisch. Fast könnte man denken, er wäre nicht fiktional, sondern ein Dokumentarfilm. Fast könnte man denken, es gebe Bruno und Sonia wirklich. Und fast könnte man glauben, die Regisseure wollten zeigen, wie das Leben wirklich ist.

Aber eben nur fast. Das, was der Film in den ersten 80 Minuten erreicht – seine Authentizität und Ehrlichkeit – macht er in den letzten 20 Minuten wieder zunichte. Plötzlich sieht man Szenen, die zum Vorantreiben der Handlung konstruiert worden sind und leider auch so wirken. Da verstecken sich Bruno und sein Kumpel z.B. im Wasser und nach kaum 30 Sekunden kann sein Kumpel nicht mehr laufen, weil seine Beine vom kalten Wasser fast erfroren sind. Das könnte man verkraften, schließlich muss ein Film nicht immer naturalistisch und realistisch sein. Das Problem ist nur, dass dieser Film das genau vorher ausstrahlt – Naturalismus und Realismus.

Das Manko des Films ist damit angesprochen: Die beiden Regisseure schaffen es nicht, ihre Intention des Films (Gesellschaftskritik) mit der Form zu vereinen. Beides gerät an einem bestimmten Punkt in Konflikt, der dann auch nicht mehr aufzulösen ist. Und trotzdem ist der Films sehenswert, eben aufgrund des Problems, dass man im Film nie wirklich die Realität zeigen kann, wenn man eine Geschichte erzählen möchte.(Jenifer Hochhaus)

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