„Caché”, der neue Film von Michael Haneke (Vicky Noack)

Caché
Frankreich, Österreich, Italien Deutschland 2004, 117 Min.
Regie, Drehbuch: Michael Haneke
Darsteller: Juliette Binoche, Daniel Auteuil, Maurice Bénichou, Annie Giradot u.a.
Kinostart: 20. Januar 2006

Fotos: ProkinoÜber die Moral eines Psycho-Thrillers

Eine alltägliche, fast langweilige Straßenansicht. Erst ein plötzlich einsetzendes Vor- und Zurückspulen lässt erkennen, dass es sich um eine Videoaufnahme handelt. Sie zeigt die Straße, in der George (Daniel Auteuil), Moderator einer erfolgreichen Literaturtalkshow, mit Frau Anne (Juliette Binoche) und Sohn wohnt. Noch immer gibt es nichts Ungewöhnliches zu entdecken, bis auf eines: Das Videoband wurde anonym geschickt. Die langatmige Aufnahme lässt auf beunruhigende Geduld schließen. Was treibt einen Menschen dazu, andere zu beschatten? Steckt hinter der Kamera „nur“ ein Psychopath oder etwa jemand, der sich rächen will? Aber aus welchem Grund? Sammelt der Zuschauer die zahlreichen Details, die man ihm hinwirft, wird er nur noch mehr verwirrt. Stille an Stellen, wo Handlung zu erwarten wäre, steigert die Spannung bis ins Unerträgliche.

Bedrohung legt sich wie eine langsam verengende Schlinge um die nur scheinbar perfekte Familie. Die rätselhaften Videos häufen sich. Beigefügte, groteske Zeichnungen zeigen Strichmännchen mit blutig roter Kehle. Sie verfehlen ihre Wirkung nicht. Vom letzten Bild springt dem Betrachter ein geköpftes Huhn ins Gesicht. Todessymbolik könnte man dahinter vermuten. Doch es passiert nichts Aufregendes. Nach Albträumen und Rückblenden in Georges Kindheit hat sich der dunkle Schatten in alle Lebensbereiche ausgebreitet. Nichts ist mehr, wie es war. Freunde sind eingeweiht, sein Sohn erhält eine mysteriöse Zeichnung, der Chef ein Videoband. George gerät zunehmend unter Druck, die Fassade droht einzustürzen.

Nun dämmert es ihm und er hegt einen Verdacht. Ein Verdacht, den er nicht äußern kann, weil er sich damit schuldig bekennen würde. Je weniger es darum geht, wer sich denn eigentlich hinter dem Unbekannten verbirgt, desto mehr rückt die Schuldfrage ins Zentrum der Handlung. Und schon ist George gefangen in einem Netz von Misstrauen und Lügen. Seine Familie treibt auseinander. Er kämpft gegen eine Wahrheit über seine Vergangenheit, die sich nicht länger abschütteln lässt. Schuld frisst sich in sein Gewissen.

Die Hauptdarsteller Juliette Binoche und Daniel Auteuil überzeugen in ihren Rollen. Die Familie scheint nach außen auch dann noch perfekt, als innen schon nichts mehr in Ordnung ist. Juliette Binoche weiß ihr französisches Temperament und Charme perfekt einzusetzen.
Regisseur Haneke, nicht zuletzt durch die mehrfach ausgezeichneten Kinofilme „Die Klavierspielerin“ (2001) sowie „Wolfszeit“ (2003) bekannt, sich selbst als „radikalen Moralisten“ bezeichnend, verarbeitet hier das Motiv von Schuld und Sühne auf eine ungewohnt realistische Weise.

Er thematisiert die aktuelle Medienberichterstattung, schlägt den Bogen vom Algerienkonflikt bis zum Irakkrieg und entlarvt eine aus Scheinbildern und Lügen zusammengesetzte Wirklichkeit sowohl in der Gesellschaft als auch im kleinen Rahmen der Familie. Am Ende bleibt nichts heil. Selbst der Betrachter wird nicht verschont. Denn diesem jagt, als er sich fast schon entspannt zurücklehnen möchte, ein gehöriger Schreck durch die Glieder. So verlässt er dann das Kino, mehr oder weniger geläutert, zumindest nachdenklich mit vielen ungelösten Fragen und unzuordenbaren Details, die dazu zwingen, den Film wieder und wieder aufzurollen.

Der Film mag didaktische Wirkung haben. Obwohl das reichlich idealistisch klingt, ehrenhaft ist es allemal. Die Welt braucht bessere Menschen. Ob sich schlechte Menschen gern belehren lassen, steht auf einem anderen Blatt. Man hofft es. Allerdings bleibt zu hinterfragen, ob George, das einstige Opfer, nicht zu weit gegangen ist. Erstens wäre die Schuldfähigkeit von Minderjährigen – der er damals war – zu klären, und zweitens steht die Tat an sich in keinem Verhältnis zur Vergeltung.

Für „Caché“ wurde Michael Haneke 2005 in Cannes mit der Goldenen Palme als bester Regisseur ausgezeichnet. Erst kürzlich erhielt er in Berlin den Europäischen Filmpreis 2005 für den besten europäischen Film. Und das nicht ohne Grund. Die filmische Inszenierung ist wahrlich beeindruckend. (Vicky Noack)

„Caché“ läuft ab dem 20. Januar in den Passage Kinos Leipzig.

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.