Das Musical „Akte Romeo” feiert Premiere in Leipzig (Steffen Kühn)

„Akte Romeo“ – Premiere
Eine deutsch – deutsche Liebesgeschichte
Musical von Edda Leesch, Frank Schröder / René Möckel

Musikalische Leitung:René Möckel
Regie:Frank Leo Schröder
Bühnenbild:Katja Schröder
Kostüm:Barbara Schiffner
Choreografie:Silvia Zygouris

Sänger:
Vivian Saleh, Marco Fahrland, Alexander Martin, Matthias Knoche, Corinna Ellwanger, Udo Eickelmann, Manja Kloss, Michael Schöpe, Oliver Timpe, Christin Herrmann, Jessica Wall, Ekaterina Kaufmann, Oliver Wejwar, Daniel Splitt, Jaun Miguel Verdugo Garcia

Band:
Frank König, Christian Sievert, Jörg Wolschina, Timo Klöckner, Peer Kleinschmidt, Erik Wisniewski

Mittwoch, 11. 1. 2006, Leipzig
19.30 Uhr, Großer Saal, Grassistraße 8
Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig

Das Mädchen aus Ostberlin

Vera aus dem Osten und Theo aus dem Westen, ein deutsch-deutsches Liebespaar Anfang 1989 im geteilten Berlin. Nach dem Erfolg des Wende-Romans „Simple Storys“ von Ingo Schulze 1998 nun das längst überfällige Wende-Musical? Die Zeit für solch ein Unterfangen ist seit dem unverblümten Aufblühen und Gedeihen von Ostalgie-Shows nicht einfacher geworden. Der Ort Berlin ist deshalb schon mal gut gewählt. Wo Schulze im thüringischen Altenburg darauf beschränkt bleibt, DDR-Alltag zu beschreiben, ergibt sich so die Dimension, den Alltag beiderseits der Mauer zu beleuchten.
Auf der Bühne irgendein altes Archiv, wo sich Angie mit ihrem türkischen Freund Murat vor ihren deutschen Verwandten und Freunden verstecken muss – Türkenjagd im heutigen, vereinigten Berlin. Die herumstehenden Ordner entpuppen sich als Stasiakten, Angie und Murat beginnen neugierig zu lesen. Die Akte Romeo wird zum Skript für das Stück. Romeo alias Theo gerät als Vertreter des Klassenfeindes ins Visier der Staatsicherheit, da er sich oft in Ostberlin aufhält, um seine ostdeutsche Liebe Vera zu besuchen. Mit dem Vorwurf, die Errungenschaften des Sozialismus besudelt zu haben, versucht man ihn zur Mitarbeit in Mielkes Apparat zu zwingen.
Im hinteren Teil der Bühne, einige Meter hoch, beginnt die Band des Abends das Stück. Knarrende Gitarrenbeats, Schlagzeug, Percussion, ein Piano – die Musik reißt von Anfang an den Saal mit sich, besonders hoch schlagen die Wellen bei den musikalischen Zitaten von Spliff, Phudys, Biege, Grönemeyer, Westernhagen, Fischer, Lift, Hagen, Karat, Lindenberg und City. Im Schlussapplaus gehen bei „Über sieben Brücken musst Du gehen“ sogar die Feuerzeuge an. Die Arrangements überzeugen durch solides Handwerk, inspirierende Elemente sind eher selten. Die Stimmen kommen mit den Headsets unterschiedlich gut zurecht, zum Teil leidet die Authentizität.

Vivian Saleh ist Vera. Mit Glitzerspray in der blonden Mähne, weißer Bluse, Jeansjacke und Blümchenhose ist sie das bildgewordene Mädchen aus Ostberlin, wie es Lindenberg auf seine nasale Art in „Stell Dir vor, Du triffst ein Mädchen aus Ostberlin“ eindrücklich besungen hat, ohne Frage ein Stück gesamtdeutscher Musikgeschichte. Aus heutiger Sicht überrascht die politische Dimension des Textes: War der Altrocker mit „Da muss doch auf die Dauer was zu machen sein“ in Richtung Mauer gar ein Prophet der Wiedervereinigung? Marco Fahrland als Theo spielt anfangs das sich im Osten langweilende Westkind. Coca Cola verwöhnt, spuckt er beim ersten Kennenlernen Vera die Ostcola auf die Bluse. Die gegenseitige Anziehung scheint sich dadurch nur noch zu verstärken, von da an sind Vera und Theo „zusammen“. Der zurückgelassene, eifersüchtige Olaf tröstet sich einstweilen mit Grönemeyers „Gib mir mein Herz zurück, Du brauchst meine Liebe nicht“, später läuft er aus Frust in die Arme der Stasi und bespitzelt das Paar.

Doch was wäre ein Wendemusical ohne die heißgeliebten Ostklischees: Pappkarton auf Rädern, Grenzkontrolle – „Fahr´n Se mal rechts ran“, holzhaltiges Toilettenpapier, der allgegenwärtige Abschnittsbevollmächtigte – ABV, Schwarzer Kanal, Sparwasser, Maiumzug im FDJ – Hemd und natürlich die Mitarbeiter der Staatssicherheit, alles schön und lustig aneinandermontiert. Schnell sind die spontanen Lacher verschlissen. Osten alles schlecht – vom Toilettenpapier bis zur schlechten Bedienung im Restaurant, Westen alles gut – Cola, Autos, Trallala. Gefährlich nahe ist man dem Niveau von schlechtem Provinzkabarett. Die Möglichkeit, auch Theos Lebenswelt im Westen zu beleuchten, bleibt im Ansatz stecken. Wieder mal ist aus dem gesamtdeutschen Ansatz ein Blick durch die dicke Klischeebrille auf die DDR geworden. Schade, da doch gerade die Botschaft der Musik eine gänzlich andere, eine verbindende ist. Die Songs dokumentieren den Alltag beiderseits des Eisernen Vorhangs authentisch, sie erzählen etwas aus der Entsehungszeit, wo sich die Inszenierung vom getrübten Blick auf die Vergangenheit nicht lösen kann.

Am 15. 1. ist man mit dem Stück übrigens Gastgeber der WM – Kampagne „365 Orte im Land der Ideen“. In einem Wettbewerb hat eine Jury aus 1200 Bewerbungen 365 Orte ausgewählt, die im WM – Jahr 2006 von Deutschland ein innovatives Bild zeichnen sollen. Weniger innovativ im konzeptionellen Ansatz wird „Akte Romeo“ ein jugendliches, ausgelassenes Bild hinterlassen. In diesem Sinne typisch für Deutschland, wo alles seit Jahren jugendlich, ausgelassen darüber redet, dass es an innovativen Ideen und Konzepten mangelt.

(Steffen Kühn)

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