Überlebenskampf im Doggystyle: Disneys „Antarctica” in den deutschen Kinos (Tobias Prüwer)

„Antarctica – Gefangen im Eis“
Regie: Frank Marshall
Darsteller: Paul Walker, Jason Biggs, Bruce Greenwood, Moon Bloodgood, Wendy Crewson u.a.
Länge: 120 Min.
Deutscher Starttermin: 23. März 2006
Am Südpol liegt der Hund begraben

„Wild wie kein anderes Land unserer Erde liegt es da, ungesehen und unbetreten“ – hieß es einst über die Antarktis. Wäre es nur dabei geblieben, das jüngste Disney-Drama – an Langeweile kaum zu überbieten – hätte es nicht gegeben. Das Zitat stammt von Roald Amundsen, der 1911 als erster den Südpol erreichte. Seine Erlebnisse wären einer Verfilmung würdig. Genauso wie das tragische Schicksal von Robert Falcon Scott, der wenig später zum Pol kam und auf der Rückreise im Schneesturm den Tod fand. Ob Ernest Shakletons Stranden im Packeis oder die tour de force von Reinhold Messner und Arvid Fuchs zu Fuß durch die Eiswüste, sie alle böten reichlich Material für eine spannende Geschichte in dieser lebensfeindlichen Welt. Doch Disney liebt es minimalistisch: Aufgrund eines früh einsetzenden Polarwinters müssen Forscher ihre Station überstürzt verlassen – ihre Schlittenhunde bleiben im Eis zurück. Davon sind alle tief betroffen, besonders der Hundeführer (Paul Walker), der naturgemäß eine enge Bindung zu den Vierbeinern hat. In seine nordamerikanische Heimat zurückgekehrt, setzt er alles daran, eine Rettungsexpedition aufzustellen.

Bereits die erste Szene verspricht cineastisches Unheil. Zwei nackt im Schnee tummelnde Männer jubeln über die am eigenen Leib erfahrene Rekordminustemperatur. Damit ist der Maßstab eigentlich schon gesteckt. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt, und als sich eine Forschergruppe auf die Suche nach außerirdischem Gestein begibt, fleht man, der Film möge auf eine Handlung ? la H.P. Lovecraft zusteuern. In dessen 1936 veröffentlichtem Roman „Berge des Wahnsinns“ stößt eine Antarktisexpedition auf Spuren einer außerweltlichen Zivilisation. Auf einem Hochplateau erstreckt sich eine uralte, gigantische Stadt als Labyrinth bizarrer, vom Grundmotiv des Fünfecks beherrschter Architektur. Dass diese nicht unbewohnt ist, stellen die Forschungsreisenden jäh fest, als sie von bösartigen Protoplasma-Klumpen verfolgt werden. Nur einer kommt, vom Wahnsinn geschlagen, mit dem Leben davon. Der Tod von Schlittenhunden ist nur das geringste Übel. Anders im Disneyfilm, denn hier spielen diese die Hauptrolle und ihr Ringen ums Überleben ist zentrales Thema.

Nun mag der maliziöse Charme von Lovecrafts Werk nicht nach jedermanns Geschmack sein. Immerhin ist es eine sehr intensive, dramaturgisch gut erzählte Geschichte. Hiervon lässt „Antarctica“ nicht das Geringste erkennen. Während immer mal wieder der Schlittenführer eingeblendet wird – wechselweise auf Bittstelltour durch die USA oder einsam sinnierend an einem malerischen Bergsee sitzend – schlagen sich in langatmigen Szenen zunächst acht Huskies in Eis und Schnee durch. Minutiös wird ihr Elend ausgemalt. Man sieht sie schlafend und heulend, schnüffelnd und hungernd und so fort. Kein Aspekt der Mitleidsproduktion wird ausgelassen, weshalb ab und an auch ein Hund sterben muss. Völlig überzogen ist ein übermütiger Reigen in pink-purpurnem Polarlicht inszeniert. Auch der Versuch, durch einen Kampf mit einem bezahnten Fleischberg, der wohl ein Seeleopard sein soll, so etwas wie Spannung zu erzeugen, scheitert. Der unsäglich zäh ausbuchstabierte Wettlauf mit der Zeit – der Film schafft es auf 120 Minuten – lässt die Zuschauer den baldigen Anbruch des antarktischen Sommers erflehen. Denn dann trifft endlich die Rettungsmannschaft ein und stellt verzückt fest, dass es kläffende Überlebende gibt.

Respekt verdienen mit Sicherheit die Tiertrainer. Es ist schon eine hohe Kunst, Hunde zu derartigem menschelnden Verhalten abzurichten, das auch den Gefühlsblindesten berühren soll. Dennoch sind die Tiere bei aller anthropomorphen Überzeichnung die glaubwürdigsten Darsteller im Film. Über die schauspielerische Leistung der menschlichen Akteure, die über Modeln für Outdoorbekleidung nicht hinausreicht, muss kein weiteres Wort verloren werden. Selbst in der photographischen Dimension hat „Antarctica“ nichts zu bieten. Sind bei solcherart Abenteuerfilmen faszinierende Landschaftsbilder und atemberaubende Panoramaaufnahmen das zu erwartende qualitative Minimum, so bleibt auch diese Hoffnung unerfüllt. Der ästhetische Reiz weiter Eiswüsten und endlos weißer Lebensfeindlichkeit findet keine überzeugende Umsetzung. Viele Szenerien sind augenscheinlich künstliches Kulissenwerk, aus Styroporhaufen aufgetürmter Kunstschnee.

Der Überlebenskampf im Doggystyle soll einmal mehr demonstrieren, wie mit zähem Willen und Zusammenhalt auch die schwierigsten Situationen zu überstehen sind. Dass dieser Film an eine wahre Begebenheit angelehnt sein soll, macht ihn weder besser noch glaubwürdiger. Haben in der wirklichen Antarktis Menschen fürchterlich gelitten oder ihr Leben gelassen, so wird in Disneys Kuschelzoo durch tödliche Langeweile alleinig die Leidensfähigkeit des Publikums auf eine harte Probe gestellt.

(Tobias Prüwer)

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