Tarantino kann nicht irren: „Hostel” von Eli Roth in den deutschen Kinos (Christian Fröhlich)

„Hostel“
Regie: Eli Roth
Darsteller: Jay Hernandez, Derek Richardson, Eythor Gudjonsson, Jana Kaderabkova, Barbara Nedeljakova, u.a.
93 Min.
Deutscher Starttermin: 27. April 2006Backpacker’s Nightmare: Der Film „Hostel“ von Eli Roth

Grausame Überraschungen, ein vor Entsetzen schmerzender Bauch und ein die blutigen Bilder vergeblich abwehrendes Bewusstsein gefällig? Dabei noch Spaß haben? Und danach nie wieder auf Rucksacktour in den Osten fahren wollen? Dann ist dieser Film genau das Richtige!

Die zwei amerikanischen Highschool-Freunde Paxton (Jay Hernandez) und Josh (Derek Richardson) ziehen mit dem Rucksack durch Europa, im Schlepptau haben sie den abgedrehten Partyfreak Oli (Eythor Gudjonsson) aus Island. Völlig durchgekämmt von Alkohol und Marihuana verpassen sie die Sperrzeit ihrer Jugendherberge in Amsterdam und treffen so zufällig auf einen Typen, der ihnen das Paradies verspricht: Sex ohne Ende mit den schönsten Frauen der Welt. Denn in einem Hostel in Bratislava wartet man nur auf scharfe Amerikaner, um diesen alle Wünsche zu erfüllen. Am nächsten Tag sitzen die drei im Zug in die Slowakei, finden die Herberge und fallen prompt in die Arme zweier osteuropäischer Amazonen, die sie gleich zum gemeinsamen Saunavergnügen einladen. Der Himmel auf Erden erfüllt sich, als dann gleich in der ersten Nacht die Post abgeht. Nach dem stundenlangen Freudestaumel mit Svetlana (Jana Kaderabkova) und Natalya (Barbara Nedeljakova) fällt den beiden Amerikanern auf, dass ihr Freund Oli ohne ein Wort ausgecheckt hat und einfach seines Weges gegangen ist. Alle Kontaktversuche scheitern und die Suche nach ihm in der mittelalterlichen Stadt wird zu einem Irrlauf. Am Abend geht es den beiden in der Disco gar nicht gut. Josh schleppt sich ins Hostel und schafft es ins Bett. Als er wieder aufwacht, sitzt er fast nackt auf einem Stuhl und hat einen Sack über dem Kopf. Um ihn herum liegen chirurgische Instrumente auf Tischen, unter seinen Füßen nasser Beton. Und eine Person mit Mundschutz nähert sich ihm.

Was nun losgeht, nach erst etwa einem Drittel der gesamten Zeit, ist beinah unfassbar. Der gespannte Unterton der Reisen und Vergnügungen der drei Jungs hatte es unterschwellig angekündigt, doch nun bricht das Grauen herein. Erst wandelt ein ganz wundervoller Schnitt ein MMS-Bild von Olis Gesicht auf dem Handy in eine Aufnahme seines abgetrennten Kopfes auf einem Tisch. Dann wird der Zuschauer Zeuge der Zerstörung des Körpers von Josh. Das ganz Wundervolle dieses Films zeigt sich schon jetzt: dies wird nicht eine ausschließliche Tour de Force der Grausamkeiten, sondern die sichtbare Gewalt wird immer wieder abtauchen in den Mauern der Stadt, hinter Türen und Korridorwinkeln. Oder sie wird sich widerspiegeln in den menschlichen Regungen der Opfer, der Täter und der Zeugen. Die Gepeinigten werden sich vor Angst übergeben und die Täter werden sich daran erfreuen.

Bei aller Expressivität und handfesten Brutalitäten entwickelt die Schnitttechnik Virtuosität in der Verstärkung des Eindrucks durch Wegschauen und Hinschauen auf schmerzverzerrte Gesichter, Blutspritzer und Folterbesteck und spielt so grandios mit den schlimmsten Erwartungen des Zuschauers. Und eine düstere Farbgebung verwandelt das Szenario einer stillgelegten Fabrik in eine Hölle aus verschimmelten Beton, Rost, geronnenem Blut und krankem Neonlicht. Jede Wunde wird da zu einer dunklen, toten Geschwulst.

In dieses Inferno einer alten Industrieanlage werden junge Ausländer gelockt. Sie sind bestellt für reiche Geschäftsmänner, die viel Geld ausgeben, um sich jenen persönlich widmen und ihren perversesten Sehnsüchten nachkommen zu können. Im Keller werden die zerschundenen, toten Körper dann zerhackt und verbrannt. Eine Verwertungsmaschinerie kranker Phantasien gelangweilter Wohlstandsmenschen, zu der Eli Roth angeblich durch eine thailändische Internetseite inspiriert wurde, auf der sich Menschen freiwillig dem bezahlten Tod anbieten, um ihre Familien mit dem Geld unterstützen zu können. Quentin Tarantino war begeistert von der Idee und drängte Roth, den Film zu machen.

Es wurde ein furchtbarer Zirkelschluss der Hoffnungslosigkeit. Die Überheblichkeit und Arroganz der westlichen Ausländer, für Geld und Charme im Osten alles zu bekommen, wendet sich gegen sie und somit letztlich gegen uns, den Zuschauer, indem wir es mit diesem Film bis zur Perversion überspitzt dargeboten bekommen. Der Drang zur Grenzerfahrung aufgrund der Abstumpfung durch Überfluss und Allverfügbarkeit der Lusterfüllung holt hier nun stellvertretend Josh und Paxton wie ein perverses Echo ein und zwingt sie zur Hergabe ihres Lebens in der sogenannten „Ausstellung“, die mit ihren Korridoren und Zellen eher an ein Bordell erinnert. In einer genialen Szene sagt die Verführerin Natalya zu Paxton, nachdem sie ihn die Falle gelockt hat: „I got a lot of money for you. I guess, that makes you a bitch.“

Paxton wird es fast schaffen, sich in Sicherheit zu bringen. Doch wirkliche Rettung wird es nicht geben können, zu weit ist die Grenze überschritten worden. Neben aller anfänglichen Komik ist es ein ernster Film, vor allem da am Ende wieder nur das Töten auf grausame, brutale Art als einziger Ausweg für den getriebenen Paxton in Frage kommt, erst danach soll er Ruhe finden. Gewalt, Zerstörung und Drang zur Todesnähe erscheinen so als menschliches Grundbedürfnis: es kommt nur auf Gelegenheitsstrukturen, Auslösereize und Machtverhältnisse an – wer es wann ausleben kann.

Das ist auch der entscheidende Unterschied zu Eli Roths Debütfilm „Cabin Fever“ (2003), bei dem das Grauen und die Zerstörung noch von Außen in Form eines unsichtbaren Virus kommen. Obwohl sich dort die Infizierten gegenseitig isolieren und abstoßen, sind sie doch passive Opfer des Todes. In „Hostel“ ist Gewalt und Grausamkeit fester Bestandteil menschlichen Handelns, von jedem, ohne Ausnahme.

Und diese Umstände zeigen die Nähe dieses Films zur Konsequenz, Brutalität und Unerbittlichkeit der Filme des Japaners Takashi Miike, dem Roth sogar mit einer kleinen Gastrolle dankt. Der Fokus von „Hostel“ auf hilflose Bewegungslosigkeit, z.B. durch lapidares Durchschneiden der Fersen, und auf Schicksalhaftigkeit von Gewalt erscheint als Zitat von Chan-Wook Parks „Sympathy for Mr. Vengeance“ (2002). Doch eines jeden Horrorfilmfans Herz lässt die blutige Benutzung einer Bohrmaschine höher schlagen, erinnert sie einen doch an den durchgeknallten „Driller Killer“ (1979) von Abel Ferrara.

Auch wenn die Wandlungen von Paxton vom bedingungslosen Hedonisten zum kindheitstraumaverfolgten Retter in der Not und dann zum grausamen Racheengel nicht sehr überzeugend wirken, so stimmt doch der Fokus auf menschlichen Regungen wie Angst, Tränen, Entsetzen und Übergeben durchaus freudig überrascht neben all dem Blut, Gedärmen und freigelegten Innereien. Zusammen mit der sehr gelungenen, minimalistischen wie effektiven Bilderkomposition, die malerisch wie eindringlich wirkt, nimmt einen der Film ziemlich mit. Die Bilder bleiben lange im Kopf, das Entsetzen in den Knochen. Völlig außer Atem verlässt man das Kino und bleibt noch eine Weile ganz schön verhuscht.

Da bleibt nur zu hoffen, dass sich das Gerücht um einen zweiten Teil nicht bewahrheiten wird, und dieser Film nur das bleiben kann, was er ist. Ein kompromissloser Splatter-Film mit Aussage, ein Film, der Spaß macht und bewegt. Das ist selten wie schön genug.(Christian Fröhlich)

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