„Komm näher”, ein Film von Vanessa Jopp (Lina Dinkla)

Komm näher
Deutschland 2006
Regie: Vanessa Jopp
Darsteller: Meret Becker, Stephanie Stappenbeck, Marek Harloff, Hinnerk Schönmann, Fritz Roth, Heidrun Bartholomäus, Marie-Luise Schramm, Jana Pallaske u.a.

Vanessa Jopp hat bereits mit ihrem Debut, dem Coming-of-Age Drama „Vergiss Amerika!“ bewiesen, dass sie ein Gespür für die kleinen und unprätentiöse Geschichten hat, dass ihr der Sinn steht nach Figuren, die eher am Rande des Geschehens stehen und mehr zu den Zaungästen, denn zu den wirklichen Gewinnern des Lebens zählen. In „Komm näher“ geht sie dramaturgisch einen Schritt weiter. Das manchmal schier Unerträgliche des Unmittelbaren speist sich nicht zuletzt aus der Tatsache, dass weitgehend ohne Drehbuch gespielt wurde. Die Darsteller können mit dieser Anforderung zu improvisieren allesamt hervorragend umgehen und tragen einen wesentlichen Anteil dazu bei, dass die Geschichten zwar manchmal etwas holperig daherkommen, dabei aber schmerzhaft authentisch bleiben.

„Komm näher“ bahnt sich episodenhaft einen Weg durch die Geschichten von einsamem Menschen im heutigen Berlin. Der Vergleich mit Andreas Dresens „Nachtgestalten“ drängt sich nicht direkt auf, ist aber auch nicht abwegig. Vanessa Jopp wiederholt mit ihrer Variation das Thema jedoch nicht, sondern fügt dem ganzen eine eigene Interpretation hinzu. In diesem Fall entwickeln sich drei Geschichten um drei grundverschiedene Frauen. Jede hat mit ihrer ganz eingenen Gefühlsisolation zu kämpfen – und es bleibt offen, ob sie einen Ausweg daraus finden werden.

Meret Becker ist Mathilda. Sie löst mit ihrem rotzigen und unfreundlichen Auftreten keine besonders wohlwollenden Reaktionen in ihrer Umwelt aus. Offensichtlich frustriert im Gastro-Niedriglohnsektor tätig, scheinen jegliche aufmunternde Perspektiven in ihrem Leben zu fehlen. Sie schläft wahllos mit fremden Männern und ist sich dabei nur zu deutlich darüber im Klaren, dass sie damit eine innere Leere füllen will und sie nichts weiter als ein bisschen Nähe sucht. Mit dem Streifenpolizist Bronski taucht plötzlich zum ersten Mal jemand in ihrem Leben auf, der sich trotz ihrer abweisenden Art nicht abweisen lässt und ihr eine zweite und auch dritte Chance geben will.
Mathildas Schwester Ali, gespielt von Stephanie Stappenbeck, ist zwar besser situiert, arbeitet aber nur oberflächlich berachtet erfolgreicher und mit größerer Zufriedenheit in ihrem Beruf. Sie ist Landschaftsarchitektin und lebt mit Mann und kleinem Sohn in einer hübschen Altbauwohnung ebenso scheinbar glücklich zusammen. Denn sie hat sich schon lange innerlich von David (Marek Harloff) getrennt und vergräbt sich immer mehr in ihre Arbeit. Sie ist das perfekte Klischee einer Karrierefrau, die ihre Familie über ihren Beruf vernachlässigt. David ist ebenfalls frustriert vom Leben. Mehr als das Honorar für ein paar „bescheuerte Hochzeitsaufnahmen“ trägt er nicht zum Unterhalt bei und flüchtet sich bald vor Alis unnachgiebigen Kälte zu einer anderen Frau.
Dann gibt es da noch Johanna. Sie lebt zusammen mit ihrer Tochter Mandy (herausragend gespielt von Marie-Luise Schramm) in einer kleinen Hochhaussiedlung. Mandy ist eine Teenie-Furie, die ihre Mutter mit (vorgespielten) nächtlichen Stöhn-Eskapaden um den Schlaf bringt und ihr das Leben durch aufbrausende Anfälle schwer macht. Johanna lernt über eine Kontaktanzeige den gutmütigen Taxifahrer Andi kennen und die beiden nähern sich zögernd an. Zufällig entwickelt sich auch zwischen Andi und Mandy eine Art von Beziehung. Am Telefon können sie miteinander ehrlich über ihre Ängste und Schwächen sprechen, ohne Zurückweisung zu befürchten. Und wie sich schnell herausstellt ist auch Mandys ruppige Art nur Fassade, hinter der sie sich nichts sehnlicher wünscht als Aufmerksamkeit, Zuneigung und Zuwendung. Am Ende kommt es wie es kommen muss: Andis „Doppelleben“ fliegt auf, aber Mutter und Tochter sind sich ein Stück näher gekommen.

Jopp legt den Schwerpunkt ihres Erzählens auf den schauspielerischen Aspekt, weniger sucht sie eine explizit ästhetische Herangehensweise. Es überwiegen halbtotale und nahe Einstellungen von Gesichtern und Räumen. Nur ganz selten schwenkt die Kamera durch die Stadträume, verharrt oft in engen Wohnungen oder Arbeitsplätzen, in und an denen die Protagonisten ihre Zeit verbringen. Die eingeengte Grundstimmung des Films wird dadurch natürlich verstärkt: die Option aus diesem Leben auszubrechen, etwas neues zu beginnen, scheint keinem der Beteiligten vergönnt zu sein. Die Angst vor den eigenen Gefühlen, davor, sich zu offenbaren und dabei das Risiko einzugehen, ein weiteres Mal verletzt zu werden, ist groß.
Doch nicht so groß, dass nicht jede von ihnen weiterhin einen Funken von Hoffnung auf Veränderung in sich trägt.

„Komm näher“ ist derzeit in Leipzig in der Kinobar Prager Frühling zu sehen.(Lina Dinkla)

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