„Die Jahreszeit des Glücks”, ein Film von Bohdan Sláma (Vicky Noack)

Die Jahreszeit des Glücks
Tschechien/Deutschland 2005, 102 Min
Regie, Drehbuch: Bohdan Sláma
Darsteller: Tatiana Vilhelmová, Pavel Liska, Anna Geislerová
Eine tschechische Definition des Glücks

Die Tragikomödie erzählt die Geschichte von Monika (Tatiana Vilhelmová) und Toník (Pavel Liska), die erfahren, was im Leben wirklich zählt.Ort des Geschehens ist die tschechische Industriestadt Most, deren wenig vorzeigbares Wahrzeichen sich in monströsen, qualmenden Schloten manifestiert. Weithin sichtbar repräsentieren diese zugleich die miefige Atmosphäre der Stadt sowie die trüben Aussichten ihrer Bewohner, zumindest sollte man das meinen. Der Sozialismus hat Spuren hinterlassen. Tristesse, Dunkelheit, eine kaputte Umwelt und scheinbar ebenso desolate Menschen geben sich im ersten Teil des Films ein Stelldichein. Unweigerlich schieben sich Assoziationen ins eigene Bewusstsein, die Fragen aufwerfen. Wie soll man an einem so düsteren Ort existieren und vor allem: ein glückliches Leben führen? Deshalb scheint für die Menschen dort bloßes Überleben an erster Stelle zu stehen. Wenn sie nicht arbeitslos sind, dann leisten sie Schwerstarbeit, Abstufungen gibt es keine. Junge, attraktive Frauen wie Monika buckeln Warenlieferungen durch trostlose Supermarkthallen. Die Männer kämpfen in der Fabrik gegen große Maschinen. Perspektiven gibt es nicht in diesem Land, zumindest keine sichtbaren.

Der Plot konzentriert sich um einige Familien in einem heruntergekommenen Plattenbau. Im ersten Teil spürt der Zuschauer hauptsächlich eine Hoffnungslosigkeit, die gemeinsam mit ihren Kumpanen Alkoholismus und Stumpfsinn einen generationsübergreifenden Vernichtungszug plant. Doch bereits hier zeigt sich die Vielschichtigkeit des Films und seiner Charaktere. Zum einen wäre da Monikas arbeitsloser Vater, der trinkt, sinnstiftend natürlich, weil ihn die Welt nicht mehr braucht und trotzdem seine Tochter über alles liebt. Zum anderen wird man mit Toníks zerstrittenem, kommunikationsunfähigem Elternhaus konfrontiert. Sieht so aus, dass sich diese korpulente mütterliche Erscheinung, anstatt die Befindlichkeit ihres Sohnes zu erfragen, lieber leidenschaftlich dem Kochen zuwendet. Sie verfolgt damit das Ziel, den zwar erwachsenen, trotzdem unterernährten und viel zu weichherzigen Sohn (Toník) zu retten, der eigentlich schon verloren in einer völlig verfallenen und wasserdurchlässigen Ruine haust. Nicht zu vergessen, Monikas Freundin Dása (Anna Geislerová), eine alleinstehende Frau mit verheiratetem Liebhaber, der sie in den Wahnsinn treibt und zwei Kindern, über die sie allmählich die Kontrolle verliert. Im Grunde passiert nichts Außergewöhnliches, sondern das ganz alltägliche Unglück. Aber hieß der Titel des Films nicht „Jahreszeit des Glücks“? Auf den zweiten Blick verdient dieser durchaus seine Berechtigung. Es ist erforderlich, näher hinzuschauen, um sich an das Raue, die Marotten der Figuren zu gewöhnen. Lässt man sich darauf ein, wird man ihn mögen, den Film und seine kauzigen aber eben liebenswerten Charaktere.

Das Besondere des Films liegt in der Betonung des Authentischen, Landestypischen und das wiederum zeigt sich in den Details. Mittels Cinemascope-Verfahren in nahezu dokumentarischer Manier werden diese dem Zuschauer ans Herz gelegt. „Die Jahreszeit des Glücks“ lebt von der Darstellung des Provinzlebens, seiner Skurrilität: Seien es die zwischen schmutzigem Geschirr im Spülbecken hockenden Hühner, die meckernden Ziegen im Badezimmer oder ein liebevoll gedeckter Geburtstagstisch im verwilderten Garten. Dásas verlassenen Kindern zuliebe improvisieren Monika und Toník für kurze Zeit eine Familie. Fast idyllisch wirkt das Zusammenleben, trotz Gerümpel und Bauernhof-Ruine. All das transportiert eine Stimmung die nahe geht. Vor allem versteht sich der Regisseur darauf, Bilder sprechen zu lassen. Seine einfühlsame Kameraführung entwickelt aus anfänglicher Schwermut eine bewegende Story über die Kraft der Liebe, die manchmal in die Irre führt und eben immer dann in Erscheinung tritt, wenn man am wenigsten damit rechnet.

„Das, was Europas Filme eint, sei die europäische Frustration“, so Regisseur Bohdan Sláma, und die hat er exzellent dargestellt. Noch besser gelang es ihm allerdings, die Besonderheit tschechischen Lebensgefühls einfließen zu lassen, wodurch sein neuestes Werk facettenreich und sehr authentisch wirkt. Glaubt man dem, was Sláma auf die Leinwand zaubert, dann dürften Begriffe wie Resignation im tschechischen Wortschatz schlichtweg nicht existieren. Hier werden junge Menschen vorgeführt, die neben ihren ideellen Werten nur das Nötigste besitzen. Man erhält den Eindruck, der Kapitalismus habe um Tschechien einen großen Bogen gemacht und wird mal wieder zum Schluss geführt, dass Glück nichts mit Konsum zu tun hat, sondern im Menschen selbst liegt.

Obwohl der Regisseur bei der Wahl seiner Hauptdarsteller ein glückliches Händchen beweist, benennt er die Kinder, beide aus einem Waisenheim, als die wahren Helden des Films. Denn diese hat er nach Drehende kurzerhand adoptiert. Eine Geste, die von menschlicher Größe zeugt und über filmisches Terrain hinausgeht. Und so hat sich sogar im richtigen Leben einiges zum Besseren gefügt. (Vicky Noack)

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