Nippon Connection 2006: Die japanischen Filmtage in Leipzig (Maike Schmidt, Christian Fröhlich, Tobias Prüwer)

Nippon Connection 2006
Cinémath?que Leipzig in der naTo
27. April – 3. Mai 2006
Realismus, Wahnsinn, Tradition
Die 5. Japanischen Filmtage Leipzig

Mit Kendo, Aikido und Sushi begannen am 27. April folkloristisch die 5. Japanischen Filmtage Leipzig in der naTo, acht Tage lang waren aktuelle Produktionen und Klassiker des japanischen Kinos in drei Spielstätten zu sehen. Dass sich das Festival mittlerweile etabliert hat, zeigte die ungemein große Zuschauerresonanz, die erfreulich volle Kinosäle mit sich brachte und sogar den japanischen Botschafter zur Eröffnung nach Leipzig lockte. Das Publikum erwartete ein Genrereichtum, welches von realistischem Drama bis ausgefallenem Anime reichte und aus dem hier eine kleine Auswahl vorgestellt werden soll.

Mit dem Eröffnungsfilm „What the Snow Brings“ (NEGISHI Kichitaro) wurde hier das realistische Drama vertreten. Der Film erzählt über den Konflikt zweier ganz und gar verschiedener Brüder, von denen der eine nach 13 Jahren nach Hause zurückkehrt. Das Aufeinandertreffen und die langsame Annäherung zeigt der Film in seiner ganzen Rauheit sensibel und sehr menschlich. Eine Film über das Finden zu sich selbst. Einer ähnlichen Thematik widmet sich der Film „Maboroshi“ (KORE-EDA Hirokazu), der die Geschichte einer jungen Frau erzählt, die mit dem Tode ihres Mannes zurecht kommen und ihren eigenen Weg finden muss, zwischen Einsamkeit und Neuanfang. In diese Kategorie des Sozialdramas lässt sich auch „Hanging Garden“ von Toyoda einordnen. Hier wird hinter die Strukturen einer kleinbürgerlichen Familie geblickt, diese als Fassade enttarnt und die Essenz bloßgelegt. Alle drei Filme sind einfühlsame Portraits, welche einem europäischen Publikum japanische Lebenswelten näher bringen können, auf einer durchweg verständigen, weil so menschlichen Ebene.

Dies gelang ebenso durch die eigens für die „Love Collection“ ausgesuchten, drei Filme, die über die Magie und die Schwierigkeiten der Liebe, der Zwischenmenschlichkeit und der Hingebung philosophierten, so lustig („Moon& Cherry“ (TANADA Yuki)) wie ernst („The Volatile Woman“ (KUMAKIRI Kazuyosh)) wie sensibel („Girlfriend: Someone please stopp the world“ (HIROKI Ryuichi)). Diese Filme, die zwar oft dem europäischen Gestus nicht wirklich unbekannt scheinen, können dazu beitragen, dass dieses Kino einen breiteren Zuschauerzulauf bekommen kann, wodurch der sich schon sehr öffnenden Markt auch die letzten Schranken ignoranter Rezeptionsgewohnheiten durchbrechen mag.

Verstörender dagegen wirken die Filme „Haze“ von Tsukamoto und „Marebito“ von Shimizu. Einmal findet sich die Hauptperson in einem steinernen Labyrinth voller Entsetzen und Schmerz wieder, in dem die Suche nach einem Ausweg den Wahnsinn nur noch steigert. Im anderen Fall begibt sich der Protagonist auf die Suche nach dem schlimmsten Schrecken, den ein Menschen empfinden kann, nur um die Verbindung zur Realität zu verlieren. Beide Filme haben eine gemeinsames Grundmotiv: Die Kräfte des Unterbewusstseins brechen hervor aus einer abgestumpften Welt, in der Angst die einzige emotionale Regung ist, die den Menschen aus den alltäglichen Strukturen heraushebt. Dem gerade sehr erfolgreichen Genre des Japan-Horrors zugehörig, loten sie aber die Möglichkeiten der digitalen Kamera aus. Dadurch zeichnen sie sich durch fast klaustrophobische Nähe und eine unter die Haut gehende Eindringlichkeit aus. Wieder beweist das japanische Kino seinen Mut zum Überschreiten filmischer Grenzen, was nicht jedermanns Sache, aber durchaus spannend und innovativ ist.

Auf ähnlich irritierenden Niveau, aber dennoch einer anderen Genre zugehörig wird in „Space Police“ mit Rock’n’Roll gegen die japanische McWorld rebelliert. Als eine Art Reality Show mit fiktiven News, investigativem Touch, Video Clips und durchweg cooler Musik ist der Film sowohl ein abgedrehter Science Fiction Streifen, als auch ein subversiver Kommentar auf die nicht nur in Japan schleichende oder vollendete Monotonisierung von Alltag und Umfeld, hier personifisiert in dem Systemgastronomen „Andromeda Burger“. Eine Mixtur, die im besten Sinne eine extraterrestrische Rock’n’Roll-Fabel ist und das Festival auch auf einem eher anarchistisch angehauchten Gebiet laut und eindringlich abrundete. Eben nicht nur eingängigere oder genrespezifische Filme sollten hier ihr Forum haben, sondern auch der kleine Underground- Film kam herrlich subversiv zum Zuge.

Natürlich darf bei japanischen Filmtagen der Anime nicht fehlen – hier besonders vertreten durch das Sequel „Ghost in the Shell 2“. Der Film bietet eine rasante Fahrt durch komplett digital animierte Bilderwelten, wobei er nebenbei wichtige, existenziellen Fragen nach den Verhältnisse von Wirklichkeit und Virtualität, Mensch und Maschine aufwirft. Aus Versatzstücken der europäischen und der asiatischen Philosophie trägt er ein unruhiges Potpourri an Übersetzungen mit sich. Die intellektuelle Aufladung wirkt denn auch auf die Dauer zu müßig und die Handlung schlägt zuweilen ins Unverständliche um. Auch wenn dieses Sequel nicht an den gelungenen ersten Teil heranreicht, ist es trotz allem eine durchaus spannende und illustre Geschichte, der aber zum Genialischen einiges fehlt, vielleicht gerade weil dieses zu sehr angestrebt worden ist.

Abgerundet wurden die Filmtage durch einschlägige Klassiker, die endlich mal wieder auf der großen Leinwand zu bestaunen waren. Ein echtes Bonbon des Festivals, auf das auch in Zukunft nicht verzichtet werden sollte, denn wann hat man sonst schon einmal die Chance solcherlei Filme in einem angemessenen Rahmen zu sehen und zu genießen.

Mit „Tokio Drifter“ (SUZUKI Seijun) von 1966 wurde ein als typischer Yakuza Streifen zu bezeichender Film ausgewählt, der einen Style und eine Atmosphäre aufzubauen vermag, die man heute nicht mehr zu sehen kriegt. Ein Juwel unter diesen Filmen und ein echter Geheimtipp des Festivals.

Das erfolgreiche Epos um „Lone Wolf & Cub“, von dem mit „Am Totenfluss“ hier der zweite Teil gezeigt wurde, konnte durch Regisseur Misumi in seiner Manga-Ästhetik gekonnt in Szene gesetzt werden. Auch auf die Leinwand übertragen entfaltet die sehr ruhige und gleichförmige, aber nie schleppende Erzählweise ihre eigenartige Wirkung. Die zahlreichen Kampfszenen geben sich hierbei wie Etappen auf dem filmischen Bushido – dem Weg des Kriegers – zum Showdown, für Fans der Manga-Reihe eine echte Bereicherung. Alle weiteren Teile von LONE WOLF & CUB startet die Cinémath?que Leipzig in den nächsten Monaten. Nicht verpassen!

Abseits von den großen Spielstätten fanden nun zum fünften Mal kleine Filme einer anderen Welt ihren Weg in die Leipziger Kinos, in denen sie eine Woche lang zeigten, dass diese Welt gar nicht so anders, so fremd und fern ist und das sie eine große Bereicherung für die cineastische Landschaft darstellen, welche hoffentlich auch im nächsten Jahr wieder in einer solchen Bandbreite zu sehen sein wird. Wir bleiben gespannt!(Tobias Prüwer, Christian Fröhlich, Maike Schmidt)
Zur Nippon Connection 2004:

02.05.2004
Die Nippon Connection bringt junges japanisches Kino nach Leipzig (Juliette Appold)

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