Nichts übertünchen: Ein Porträt der russischen Band „PUDRA” auf DVD (Tobias Prüwer)

„Good bye, Leningrad!“
Regie: Christine Bachmann
Deutschland 2005
35min, Omd&eU

Unter www.cultiv.net für 10 ? auf DVD zu erwerben.
„Wunderschöne Scheißstadt“
Die Lebenswelt der Petersburger Band „PUDRA“„In unserem Land ist dies die einzige Stadt, die zurecht die Hauptstadt des russischen Rock’n’Roll genannt wird. Doch es wäre besser, wenn die Hauptstadt des russischen Rock’n’Roll London wäre.“

„Russendisko“ sorgt in jedem hiesigen Tanzlokal für zahlende Gäste. Dass sich unter diesem Schlagwort die russische Musikkultur nicht zusammenfassen lässt, zeigt exemplarisch „Good bye, Leningrad!“ Der Dokumentarfilm porträtiert die Band „PUDRA“ in ihrem St. Petersburger Alltag. „Pudra“ heißt zu Deutsch Puder und die Musiker haben diesen Namen gewählt, weil es zur russischen Tradition gehört, alles Unangenehme zu übertünchen. Davon sagen sie sich aber los und sträuben sich, das von ihnen geforderte Leben zu führen. So blickt der Dokumentarfilm hinter die Fassaden der russischen Metropole und zeigt die Suche junger Menschen nach Alternativen und natürlich jener nach Publikum.

„PUDRA“, das sind die Brüder Sergey und Aleksey, Vasya, Anton und der deutsche Austauschstudent Sebastian. Über verschiedene Wege nach St. Petersburg gekommen, haben sie sich zusammengefunden um Musik zu machen, um eigene Formen von „post-sozialistischem“ Rock und Leben zu entwickeln. In „Good bye, Leningrad!“ stehen daher nicht Band und Musik im Vordergrund; diese werden durch Proben- und Auftrittszenen vielmehr in den Film eingeflochten und der Fokus liegt auf den einzelnen Musikern. Ausschließlich diese kommen zu Wort und werden an den Schauplätzen ihres Alltags portraitiert. Ob in der Wohngemeinschaft oder der urbanen Peripherie, im Stadtbus oder der U-Bahn, die Orte wechseln permanent. Mobilität zeigt sich als ein zentrales Motiv im Film, der hiermit das stetige Unterwegssein der Portraitierten spiegelt. Man erfährt von Studienabbrüchen, der Flucht vor der Armee und dem Leben im Untergrund, sieht die Schauplätze diverser Gelegenheitsjobs – Kaugummifabrik, Musikalienhandlung und Hotelrezeption -, mit denen sich die Musiker durchschlagen. Auf Streifzügen durch verrauchte Clubs oder über den Dächern der Stadt zeigt sich ein ganz anderes St. Petersburg als jenes glanzvolle, das aus so vielen Reiseberichten bekannt ist.

Für ein Bandportrait recht ungewöhnlich: Man erfährt in Christine Bachmanns Dokumentation gar nicht so viel über russische Musik oder „PUDRA“, dafür aber umso mehr über die Einzelschicksale der Musiker, deren Lebensentwürfe und Träume, die sich von denen junger Menschen in anderen Ländern nicht unterscheiden. Der lokale Einblick ist exemplarischer Natur, die Suche nach alternativer Existenz schließlich nicht typisch russisch. Die Musiker von „PUDRA“ haben sich in der Stadt eingerichtet und mit Widrigkeiten arrangiert, träumen aber eigentlich vom vermeintlich besseren Leben in den westlichen Metropolen. Hier zeigt sich der Filmtitel als klug gewählt, weil er mit den wechselnden Namen der Stadt spielt und gleich auf zwei Abschiede zielt.

„Good bye, Leningrad!“ ist als DVD zu erwerben (www.cultiv.net) und war am 27. Mai in der naTo auf der Leinwand zu sehen. Beim Filmabend „Trans Europa Express“, der im Rahmen der „Internationalen Studentischen Woche“ stattfand, wurden darüber hinaus vier Kurzfilme junger FilmemacherInnen präsentiert, die kulturellen Eigenheiten in Tschechien, England, Italien und Estland nachspüren. Erfahrungen wie z.B. aus der „wunderschönen Scheißstadt“ St. Petersburg konnten hier ein Forum finden, das einen spannenden und wirklichkeitsnahen Einblick in europäisches Leben bot. Dass manche dieser Länder geografisch so nah und lebenswirklich so fern sein können, ist immer wieder erfrischend und wichtig für die Erweiterung des eigenen Horizontes. (Tobias Prüwer)

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