Ein Meisterwerk: „Amadeus´ Klavier – Ein musikalisches Theater” feiert Uraufführung in Leipzig (Steffen Kühn)

Amadeus´ Klavier – Ein musikalisches Theater
Stephan König (Musik), Philipp J. Neumann (Libretto)
(Uraufführung, Auftragswerk des Gewandhauses zu Leipzig)

frei nach dem Buch „Meine Reisen mit Familie Mozart – Ein Klavier erzählt“ von Elisabeth Volkers

Gewandhauskinderchor
Frank-Steffen ElsterMusikalische Leitung
Philipp J. NeumannInszenierung und Bühnenbild
Michael Fischer-ArtBühnengestaltung und Videos
Karoline SchreiberKostüme

Stephan König Klavier
Sebastian UdeVioline
Henry SchneiderViola
Wolfram StephanVioloncello
Thomas StahrKontrabass
Wolfram HollPerkussion

Franziska EndresDas Klavier (Schauspiel)
Elmar KühnWolfgang Amadeus Mozart
Lena WenzkeNannerl Mozart, Schwester
Wiebke BirrLeopold Mozart, Vater
Antonia BirrMaria Anna Mozart, Mutter
Martin Petzold Johann-Christian Bach

Sonntag, 18. Juni 2006; 16:00 Uhr
Gewandhaus, Großer Saal


Genialität macht einsam

Für die meisten Kinder sind Instrumente Objekte des Unmutes, immerpräsentes Zeichen des Kampfes gegen ambitionierte Eltern, die es wichtig finden, dass ihre Kinder neben Höchstleistungen in der Schule und im Sport auch musikalisch glänzen. Das tägliche Üben wird zum regelmäßigen Kräftemessen zwischen den Nerven und Überredungskünsten der Eltern und den bockigen Zöglingen. Nicht so im Hause Mozart am Ende des 18. Jahrhunderts. Amadeus am Klavier und seine Schwester Nannerl mit der Geige musizieren geradezu um die Wette, die Gunst des verehrten Vaters steht auf dem Spiel. Freilich wird schnell klar, dass Nannerls Handwerk gegen das Genie Mozart ohne Chance ist. Fortan wird der geschwisterliche Wettstreit unterhalb der Gürtellinie ausgetragen: „So leck mich doch, im Arsche“ freilich im Sopran und auf höchsten musikalischen Niveau. Genialität macht einsam, für einen erwachsenen Künstler oft Inspirationsquelle ist es für den kleinen Mozart tragisch zu erfahren, wie die Umwelt zunehmend distanziert auf ihn reagiert. Da kommt das neue Reiseklavier gerade recht: es spricht und vor allem es spricht ihm zu, seiner Phantasie zu folgen, sich nicht beirren zu lassen. Mit der wunderbaren Idee des sprechenden Reiseklaviers von Elisabeth Volkers arbeitet auch „Amadeus´ Klavier“. Philipp J. Neumann hat für die zwei Akte fünfundzwanzig Szenen um das Leben, hier vor allem die Reisen des kleinen Amadeus erfunden. Nach Stationen in Deutschland geht es nach Paris, dann nach England.
Die Musik von Stephan König hat einen hohen drive. Die elektronisch verstärkten Streicher legen einen perkussiven Teppich, der das Stück zusammenhält. Motive aus Mozartschen Stücken werden zitiert und weiterentwickelt, jazzige und popige Elemente kommen hinzu. Zugeständnisse an die jungen Sängerinnen und Sänger hat er nicht gemacht, anspruchsvolle Partituren und schwierige Einsätze wie in der „richtigen“ Oper.

Die Kinder des Chores sind das ganze Stück über beschäftigt, die von Fischer-Art gestalteten farbigen Säulen zu bewegen. So entstehen die Sets für die verschiedenen Reisestationen. Auch wem der Zugang zu den sehr speziellen und öffentlich überpräsenten Bildern des Michael Fischer-Art schwer fällt, wird die farbig-leichte Bühnengestaltung gefallen haben. Gerade durch das Fragmentarische der sich bewegenden Säulen wird die Eindimensionalität der Fischer-Artigen symbolschwangeren Bilder gebrochen. Durch die farbigen Kostüme und Requisiten, jedes Kind trägt eine grellbunte Tasche, entsteht ein flirrendes phantastisches Farbspiel – in Neumanns Konzeption die visualisierte Phantasie des Amadeus.

Die musikalische Leistung des Chores unter dem hochkonzentrierten Frank-Steffen Elster ist zum Teil atmberaubend. Klassische melodische Passagen erreichen eine poppige Intensität, gesprochene Kommentare in einem, in der Neuen Musik typischen Stakkato sitzen präzise. Franziska Endres schafft das Unmögliche: sie spielt ein Klavier mit einer verblüffenden Authentizität, ob sie sich lauthals über die barbarischen Klavierträger beschwert oder dem kleinen Amadeus einfühlsam in seinem Kummer tröstet. Elmar Kühn, Mitglied des Opernkinderchores, ist Amadeus. Zu dieser Besetzung kann man Frank-Steffen Elster und Philipp J. Neumann wirklich gratulieren. Ob in Kummer oder in Freude, in höchstberührenden Szenen erhält man Einblick in das Innere des kleinen Mozart. Ein phantasievoller Kosmos öffnet sich, voller Zweifel, aber auch voller kindlicher Unbedingtheit. Neben der anspruchsvollen Partitur hat Mozart freilich noch ein ambitioniertes szenisches Programm zu bewältigen: Rempeleien mit englischen Straßenjungen, die ewigen Streits mit Nannerl oder – eine der schönsten Szenen – das gemeinsame Klavierspiel mit Johann-Christian Bach – Martin Petzold mit spitzbübischer Freude. Auch die anderen Solisten beherrschen ihre Rollen mit einer seherischen Gewissheit, man wünscht Profimusikern die Leichtigkeit, mit denen Kinder den sehr anspruchsvollen Gesangspartien und den szenischen Anforderungen begegnen.

Erst im stürmischen Schlussapplaus wird man sich wieder bewusst, dass man sich nicht im Theater, sondern im Konzertsaal befindet. Mit der Uraufführung von „Amadeus´ Klavier“ hat der Gewandhauskinderchor zweifelsohne Leipziger Musikgeschichte geschrieben und die Latte für die andere Seite des Gewandhauses, wo am 1. 10. 2006 „Der Mann im Mond“ mit dem Opernkinderchor Premiere hat, sehr hoch gelegt. Erfreulich vor allem auch die lokale Komponente: Inszenierungsteam, Komponist und Ausführende allesamt junge Leipziger „Genies“. Einzig verblüffend bleibt das Schweigen der Medien über dieses Ereignis, schon über die Voraufführung im Rahmen des Bachfestes am 3. 6. 2006 wurde nicht berichtet. Die Medien folgen leider den immergleichen Reflexen. Die Suche nach Neuem ist halt viel mühseliger als den Sensationen einfach nur hinterherzulaufen.

(Steffen Kühn)

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