Beckett als Probe: „Glückliche Tage – rehearsel version” (Tobias Prüwer)

„Glückliche Tage – rehearsal version“
Regie: Peter Brook
Mit Miriam Goldschmidt
und Wolfgang Kroke
Lindenfels Westflügel
16. und 17. Juni


Beckett als Probe: „Glückliche Tage – rehearsel version“


„Oh, dies ist ein glücklicher Tag, dies wird ein glücklicher Tag gewesen sein. Trotz allem.“

Eingegraben bis zur Hüfte thront Winnie als Torso auf einem Erdhaufen in steppenartiger Graslandschaft. Sie hantiert mit einem Sonnenschirm, kramt Alltagsdinge aus einem Sack hervor und wechselt ein paar Worte dem verdeckt liegenden Willy, ihrem Mann. Und während die Sonne brennt, wiederholt sie fortwährend ihr Mantra vom glücklichen Tag. Dergestalt gleichen sich für gewöhnlich die Aufführungen von Becketts „Glückliche Tage“. Daran ist der Autor selbst nicht unschuldig, lassen seine akribischen Regieanweisungen und Bühnenbildvorgaben doch wenig interpretatorischen Spielraum. Mit diesem ungeschriebenen Gesetz der Unoriginalität von Beckett-Inszenierungen hat Peter Brook gebrochen. Seine „rehearsel version“, jüngst im Lindenfels Westflügel aufgeführt, ist nah am Text und entdeckt den zum Klassiker gewordenen Beckett doch ganz neu.

Brooks experimentelle Inszenierung, die als eine Art Nebenprodukt zu seiner gefeierten „Standardfassung“ entstand, kommt ganz ohne Kulisse und Requisiten aus. Der Bühnenraum ist leer – bis auf einen einem einfachen Holztisch, an dem Winnie (Miriam Goldschmidt) Platz genommen hat. Der ihr beisitzende Willy (Wolfgang Kroke) wirkt zumeist statistenhaft. Er spricht Becketts Regieanweisungen mit und nimmt dadurch die Rolle eines Regisseurs ein. Die Person Willys erscheint nur in Präsenz der Abwesenheit. Diese Rollenüberblendung gelingt zum Spiel mit der theatralen Situation. Durch die Verschiebung der Ebenen geriert die Aufführung zur Probe eines Einpersonenstückes und der Fokus ruht alleinig auf Winnie. Im Spiel mit imaginierten Gegenständen und ellipsenartigen Monologisieren über verblasste Erinnerungen und den vermeintlich glücklichen Tag verkörpert Miriam Goldschmidt eindrucksvoll den verzweifelten Mut zum Überleben und zieht das Publikum in ihren Bann. Als im zweiten Akt bis zu den Schultern eingegrabene Winnie präsentiert sie sich vollends als brillante Schauspielerin. Auf die Mittel der Sprache und die Gesten ihres Gesichts reduziert, zeigt sie gekonnt, dass dies nicht Beschränkung bedeuten muss und auch ohne raumgreifendes Agieren vielschichtiger Ausdruck möglich ist. Dabei macht ihre Darstellung die von Beckett entworfene absurde Situation und deren Künstlichkeit zuweilen vergessen. Damit wird damit das Stück ins Reale zurückgeholt, die Demarkationslinie von Bühne und Lebenswelt verwischt. An einen beliebigen Küchentisch verortet, spiegelt die Szenerie ein traurig-karges Dasein in dem sich ein Mensch irgendwie eingerichtet hat und im Spiel der Selbsttäuschung Glück suggeriert.

Bekannt für seine Vorliebe für minimalistisches Theater, treibt der Regisseur und Theoretiker Brook in seiner Alternativversion von „Glückliche Tage“ die Reduktion zu einem gelungenen Extrem. In der Einfachheit dieser Aufführung liegen ihr Charme und ihre Wirkung. Die Abwesenheit von jeglichem Beiwerk, diese inszenierte Leere, produziert eine höchst seltene Unmittelbarkeit. In der Offenheit des Raumes entwickelt das Stück eine berührende Intensität, die den Zuschauenden eine Übersetzungsleistung aufbürdet, welche die üblichen Reaktionen des Schmunzelns und Achselzuckens angesichts des Absurden übersteigt. Die „rehearsal version“ zeigt: Beckett ist originell spielbar, wenn man mit ihm spielt.

(Tobias Prüwer)

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.