Literarisches Geflecht um Woolf und Eliot: „Die Gärten von Bloomsbury” (Bettina Schmitz)

Joke J. Hermsen: Die Gärten von Bloomsbury
Bergisch Gladbach 2006
BTB – 603 Seiten – 8,95 ?
Originalausgabe: Tweeduister
Amsterdam, 2000)


Tweeduister

Der Roman Die Gärten von Bloomsbury der holländischen Schriftstellerin Joke Hermsen ist nun als Taschenbuch erschienen. Die Handlung ist angesiedelt in den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts und in der nach dem Londoner Stadtteil Bloomsbury benannten Gruppe von Künstlern und Intellektuellen um Virginia Woolf und ihre Schwester, die Malerin Vanessa Bell. Der deutsche Titel gibt zwar Ort und Zeit wieder, doch gehen in ihm das Zwiespältige und das Helldunkel unter, die der Originaltitel Tweeduister so schön benennt. Unterhaltsam und gekonnt wagt sich Hermsen ins Grenzland des Sagbaren vor und macht sich und den LeserInnen Schritt für Schritt die damalige Zeit zueigen. Dies widerfährt auf ganz ähnliche Weise der Protagonistin Martha, die im Verlauf des Buches der Geschichte ihres Vaters auf die Spur kommt. Dem Roman sind kurze Passagen von T.S. Eliot und Virginia Woolf vorangestellt, die in die Themen „Zeit“ und „Sprachgrenze“ einführen. Auch im Roman begegnen sich die Schriftstellerin und der Schriftsteller mehrmals, nicht nur als Virginia Woolf den betrunkenen T.S. Eliot im Russell Square aus dem Gebüsch zerrt und in ein Taxi verfrachtet. Joke Hermsen zeichnet feinfühlig eine realistische Virginia Woolf, die mit der menschlichen Schwäche der Bosheit gegenüber Mitmenschen behaftet ist, zugleich aber sehr selbstironisch und verständnisvoll gegenüber anderen sein kann.

Virginia Woolf ist jedoch keineswegs die Hauptfigur im Romangewebe der Gärten. Die Handlung erstreckt sich über die Zeitspanne von zwölf Jahren zwischen 1924-1936. Die junge Holländerin Martha verbringt diese Zeit hauptsächlich in London, beschäftigt mit der Suche nach ihrem Vater, dessen Spuren sich im ersten Weltkrieg verlieren. Über ihre Arbeit in einer Buchhandlung und eine Verwandte bekommt Martha Kontakt zur literarischen Szene. Einer ihrer Jobs ist es, für die Hogarth Press von Virginia und Leonard Woolf Korrektur zu lesen. Ein weiterer Handlungsstrang beleuchtet das Schicksal von T.S. Eliot und dessen Frau Vivien. Es ist klug gewählt, das tragische Schicksal der begabten Frau an der Seite des literarischen Genies nicht zum Hauptgegenstand des Buches zu machen. Zu schlimm wäre es, mit Vivien Eliot zu leiden, deren eigene literarische Begabung sich nicht entfalten konnte, sondern in den Hintergrund gedrängt wurde. Durfte sie zunächst noch am Werk ihres Mannes mitschaffen, so wurde sie zunehmend zum Störfaktor. Der Dichter, bald dem religiösen Wahn verfallen, mußte sie scheinbar zerstören, um sich aus seiner Abhängigkeit zu befreien. Ihr scharfer Intellekt widerstand zwar den Versuchen, sie für geisteskrank zu erklären, doch änderte das wenig an ihrer Lage. Es ist gleichermaßen faszinierend und traurig zu beobachten, wie sie nicht aufgibt und bei der Premiere eines Theaterstücks von Eliot als Ein-Frau-Demonstration im Theater mit einem Plakat „I am the wife he deserted“ auf- und abgeht. Man ist froh, wenn sich das nächste Kapitel wieder mit Martha beschäftigt, mit ihren Fortschritten auf der Suche nach dem Vater, mit ihren Freundinnen und Liebschaften.

Die Schilderung des literarischen London ist Joke Hermsen gut gelungen. Die Zeit wird lebendig, auch über die englischen Grenzen hinaus bis hin zur Künstlerszene um die Buchläden von Sylvia Beach und Adrienne Monnier in Paris, die Martha und Vivien im Verlauf einer Frankreichreise erkunden, auf der sie sich zufällig in einem Sanatorium treffen. Hermsen, die auch Literaturwissenschaftlerin und Philosophin ist, haucht dem Wissen über die Zeit in ihrem Roman Leben ein. Beharrlich und unaufdringlich hält sie Probleme fest, die das Schicksal oder besser die Gesellschaft für begabte Frauen bereithielt. Dass Virginia Woolfs Verhältnis zu ihrem überfürsorglichen Ehemann Leonhard nicht ohne Ambivalenzen war, ist mittlerweile hinlänglich bekannt. Auch Hermsen schildert Reibereien im Hause Woolf, jedoch gewinnt der feministische Eifer nie die Oberhand, nie verliert Hermsen den Respekt vor der Beziehung, die Virginia Woolf für sich gewählt hatte und die zum Entstehen ihrer Werke wesentlich beitrug. Die Schriftstellerin wird zu einer Art Integrationsfigur, der es gelingt, bei aller eigenen Bedrohtheit – oder gerade deshalb – die Lebenssplitter der Personen zusammenzufügen. Es müsse doch möglich sein, überlegt Virginia Woolf anlässlich eines Suffragettentreffens, bei dem sie in den Augen der anderen eine nicht gerade gute Figur abgegeben hat, für die Rechte der Frauen zu kämpfen und Haltung zu bewahren. Es müsse doch möglich sein, bei der ganzen Angelegenheit nicht den Humor zu verlieren, der das Leben erst erträglich macht. Auch bei dem zur damaligen Zeit legendären Prozess um die Rolle lesbischer Sexualität im Roman Quell der Einsamkeit von Radclyffe Hall spielt die Schriftstellerin eine Rolle. Es müsse doch möglich sein, so Virginia Woolf in Die Gärten von Bloomsbury, sich sprachlich elegant der Sache der Frauen zu widmen.

Joke Hermsen jedenfalls ist es in ihrem Roman gelungen, einen Teil dieses Programms zu verwirklichen. Unterdessen hat Martha Informationen über das pazifistische Engagement ihres Vaters zur Zeit des ersten Weltkriegs gesammelt. Wie es Martha weiter ergeht, soll hier nicht verraten werden, denn Joke Hermsens zweiter Roman Die Gärten von Bloomsbury verdient es, gelesen zu werden. Leider gibt es weder ihren ersten Het Dameoffer (1998) noch den dritten De Profielchets (2004) Roman in deutscher Übersetzung.

(Bettina Schmitz)

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