Beeindruckendes zum Auftakt: „Velma Superstar” bei der euro-scene (Fabian Frauendorf)

Compagnie Velma: Velma Superstar
Festivaleröffnung der 16. euro-scene Leipzig
Arena Leipzig
Dienstag 7. November 2006


„Dada“-Abend im Konzertformat

Die Compagnie Velma aus Lausanne eröffnet mit Velma Superstar das 16. euro-scene Leipzig. In Begleitung der Tänzerin Arantxa Martinez, einem Streichquartett und einem Chor aus 40 Leipzigern stimmt die Elektropop-Band (Christophe Jaquet, Christian Garcia und Stéphane Vecchione) in der Arena Leipzig mit ihrer Musik-Performance auf das Festival zeitgenössischen europäischen Theaters ein. Dabei befindet die Aufführung vor 250 Zuschauern nur bedingt in Beziehung zu den üblichen Musik-Events in der Mehrzweckhalle, in der – ein Bruchteil schwarz abgehängt – beinahe ein Kammerkonzert-Ambiente entsteht.

Musik ist Programm. Das diesjährige Festivalthema Konsonanzen – Dissonanzen widmet sich der Rolle von Musik in szenischen Vorgängen: Der Verwischung klarer Grenzen zwischen Sprech-, Musik- und Tanztheater, Performance- und DJ-Kultur, der Diskussion um eine „Veroperung des Theaters“, aber auch metaphorisch der „szenisch-brisanten Verarbeitung von Harmonien und Diskrepanzen innerhalb gesellschaftlicher Prozesse“, meint Festivaldirektorin Ann-Elisabeth Wolff. Mit 12 Gastspielen aus 11 Ländern in 22 Vorstellungen und 9 Spielstätten sind vor allem Stücke mit Live-Musik unterschiedlichster Stile zu erleben, „die auch den klassischen Musikbegriff ? la Bach der Stadt Leipzig bereichern wollen“, wie es im Festival-Programm heißt.

Velma präsentiert weder ein Pop- noch ein Kammerkonzert, sondern einen minuziös choreographierten und rhythmisierten Versuch über die Mechanismen der Verführung und Selbstfiktion in der Eventkultur. Gesten und Abläufe des Musikspektakels, wie etwa das Stimmen der Instrumente, der Auftritt des Dirigenten, die Begrüßung des ersten Geigers, die Verbeugung, das Posing des Rockstars und dessen Kleiderordnung, werden zitiert und satirisch überspitzt in einer collageartigen Komposition neu eingefügt, wiederholt, abgenutzt und ihres Sinnes entleert. Hier werden mit feinsinnigem Witz und Charme provokant konventionelle und autoritäre Begriffe von Hoch- und Event-Kultur in Frage gestellt und auf die Verschlungenheit des Kulturkonsumenten in die mechanischen Prozesse des Veranstaltungsgeschäfts aufmerksam gemacht.

Der Abend wird nicht von Musik unterlegt, sondern er ist in seiner minimalistischen Durchformung selbst Musik. Die Bühnenvorgänge intensivieren die akustische Erfahrung. Ohne kausal-logische Handlung wächst die Intensität vom Chor- zum Punk-Konzert, allein strukturiert und verdichtet durch Choreographie, Nuancen der Abläufe, Lautspielereien, Farbe und Licht. Ein chorisches Lautgedicht zwischendrin unterstreicht die ohnehin offenbare Affinität zum 1916 in der Schweiz begründeten Dadaismus, wenn es in der Produktion der Band auch an der dadaistischen Radikalität mangelt. Am Ende prangt in riesigen, funkelnden Lettern „VELMA“ am Bühnenhintergrund und Velma spielt selbstironisch Velma.

Die Inszenierung typischer Gebaren des Konzertbetriebs erregt im Publikum bestimmte Erwartungen, die immerfort frustriert werden, und gleichsam sind es eben jene Gebaren, die unablässig die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf sich lenken. Die Reaktionen des Publikums hätten ambivalenter nicht sein können. Symptomatisch die Äußerung der sächsischen Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst Eva-Maria Stange beim anschließenden Sekt-Empfang: „Ich danke Velma für diesen wunderbaren Abend, den ich bis zum Schluss durchgestanden habe!“ Was erwartet man mehr von einem Theaterabend? Ein beeindruckender und dabei gar nicht gefälliger Auftakt für dieses Festival des zeitgenössischen Theaters!

(Fabian Frauendorf)

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