Sweet and Lowdown

Swing-Jazz-Gipsy:„Swing de flâneur” vom Hot Club d´Allemagne

Zwischen Paris und Algier, den Nomaden gleich, träumt der Flaneur den Wolken entgegen. Doch sie hat traurige Augen und ihr Haar ist geflochten. Im Swing de manouche, aufreibend und virtuos, geben Lulu und Dorado ihr letztes Solo. So tanzt der Träumer vor der untergehenden Sonne seinen Valse romantique, zwei Gitarren erzählen in der Ferne vom großen Zigeunerlager und der weiten leeren Straße. Mit der Dunkelheit aber weicht ihre Melancholie endlich den spanischen Rhythmus von José und dem rastlosen Swing eines Tornados.
Jörg Jacob (aus dem Büchlein zur CD)

Eines Abends gehen wir in die Stadt. Vielleicht ist es Freitag oder Sonnabend, und wir haben unbegrenzt Zeit. Der Weg zur Stadt könnte weit sein, unterwegs kehren wir ein. Ein Café ist das rechte Vorspiel für einen freien Abend. Wir bekommen noch einen Platz, gerade so. Der Kellner schiebt sich zwischen den Tischen entlang. Überall wird gelacht. Vier Männer in dunkler Kleidung erscheinen inmitten der anderen und streben einer kleinen bühnenartigen Ecke des Raumes zu. Unsere Aufmerksamkeit wird gefesselt. Wir sehen Gitarren, einen Kontrabass und eine Geige. Es soll also Musik gemacht werden. Wir finden das lustig. Wann haben wir so was schon mal erlebt? Außerdem sehen die Männer klassisch aus in ihren korrekten Anzügen. Keiner sagt etwas. Sie nehmen ihre Instrumente auf und verbeugen sich leicht. Sie wollen nicht im Mittelpunkt stehen. Trotzdem sieht jeder hin. Wir trauen uns nicht mehr, unseren bevorstehenden Abend zu diskutieren. Eine leise Ansage ertönt. Der Name Hot Club d’Allemagne fällt.

Nach einer Viertelstunde teilt sich das Publikum. Die eine Hälfte trinkt und redet wieder, die andere trinkt und redet nicht, sondern hört. Auch wir hören. „Swing de manouche“, „Swing de flâneur“, „Lulu swing“, „Dorado Swing“, „Tornado swing“. Die Musikerhände fliegen über die Saiten. Der Energie der Rhythmen ist nicht erlaubt die Grenzen zu überschreiten. Sie zerrt am Vermögen der Instrumente. Unser Herz stolpert ein bisschen nach, ein bisschen vor. Wie ertragen diese Fesselung kaum und unsere Füße beginnen zu wippen, sie können nicht anders. Wir bedauern, sitzen zu müssen. Dabei lässt sich möglicherweise schwer zu dieser Musik tanzen. Wir sind froh, im Café zu sein. Wir bleiben den ganzen Abend. Die Musiker wechseln die Stimmung. „Valse romantique“, „Romanie“, „Algier“. Dunkel erscheinen uns Bilder, wie Erinnerungen. An rauchige Jazz-Kneipen, „Zigeuner“, einen ausgeflippten Gitarrenspieler.

Als 1934 in Paris das Quintett du Hot Club de France mit Django Reinhardt und Stephane Grappelli gegründet wird, befindet sich Europa mitten im Rausch der Swing-Ära. Der Jazz, selbst erst 20 Jahre alt, ist die populäre Tanzmusik dieser Zeit. Auftritte so genannter Big Bands ziehen ein riesiges Publikum an. Die Besetzung des Quintett du Hot Club de France (Geige, Sologitarre, zwei Rhythmusgitarren und Kontrabass) ist außergewöhnlich. Die Geige stellt ein für die Zeit des Quintetts recht ungewöhnliches Jazzinstrument dar, und in der Kombination mit der Gitarre ist sie praktisch einzigartig. Die Abwesenheit jeglichen Schlagzeugs verursacht einiges Aufsehen, außerdem muss der melodische Teil, der sonst Trompete oder Saxophon obliegt, durch Gitarre und Geige höchst virtuos ersetzt werden. Zu dieser Zeit ist Django Reinhardt erst 24 Jahre alt und war bis dato ein typischer Weltenbummler.

Zur Zeit seiner Geburt sind die Eltern fahrende Manouches (Sinti) und in europäischen Ländern unterwegs. Nach Recherchen einiger Biographen verlässt der Vater die Familie und die Mutter zieht mit ihren beiden Buben allein sogar bis nach Algerien weiter. Anderen Dokumenten zufolge leitet der bei der Familie bleibende Vater als Geigenspieler eine familiäre „Zigeuner“-Kapelle, die schon damals mit Gitarren besetzt ist. Die Kapelle, zu der auch eine Schwester Djangos gehören soll, tritt später in verschiedenen Pariser Hotels auf. Django spielt Geige, bevor er sich dem traditionellen Banjo zuwendet. Der Sintijunge erhält weder schulische noch musikalische Ausbildung. Lehrmeister sind die älteren Verwandten, die eigenen wachsenden Erfahrungen und seine spontane und legendäre Gewandtheit. So ungewöhnlich Djangos Weg zur Musik den Europäern des 20. und 21. Jahrhunderts erscheinen mag, so gewöhnlich, weil existenziell notwendig, ist das Aufspielen der Sinti und Roma für die Gadže (Nicht-Sinti-und-Roma) in den 20er und 30er Jahren in Frankreich und Belgien. Als pfiffiger und genialer Lebemann spielt Django bald in der Pariser Tanzszene eine äußerst lebendige Rolle, vor allem beim valse manouche, dem Zigeunerwalzer. Seine Fertigkeiten beim Geigenspiel kann er leicht auf die nun modern werdende Gitarre ausdehnen, welche für ihn zwanglos an das Banjo anknüpft. Im Jahre 1928, Django ist erst achtzehnjährig und kann bereits einige Schallplattenaufnahmen vorweisen, erleidet er durch den Brand seines Pariser Stadtrand-Wohnwagens schwerste Verletzungen. Er ist daraufhin eineinhalb Jahre ans Bett gefesselt. Neben starken Verbrennungen hat er den Funktionalitätverlust zweier Finger der linken „Gitarren-Griff“-Hand zu beklagen. Seine Laufbahn als Musiker scheint beendet. Es wird erzählt, dass man ihm auf Anraten der Ärzte die Gitarre ins Krankenhaus brachte, dass er es mit strenger Disziplin fertig vermochte, eine völlig neue Grifftechnik mit rasanten Single-Note-Läufen und den für ihn so charakteristischen Moll-Akkorden zu entwickeln. Ob dieser Schicksalsschlag Djangos einzigartigen Personalstil überhaupt erst möglich machte, wird unter Jazzhistorikern viel diskutiert. Nach dem Unfall beginnt eine Zeit intensiver musikalische Zusammenarbeit mit dem Geiger Stéphane Grappelli. Grappelli hatte sich als Kind das Geigenspiel selbst beigebracht und war so weit damit gekommen, dass er die Eignungsprüfung an der Pariser Musikhochschule bestand. In dieser Zeit verdiente er sein Geld in Kino- und Tanzbands. Unter anderem durch die Begegnung mit Django ergreift nun auch Grappelli das Jazzfieber. Und Grappelli beeinflusst Django seinerseits wieder. Reinhardt und Grappelli, die in ihrer persönlichen Biographie und musikalischen Ausbildung nicht unterschiedlicher sein können, bilden ab 1934 den Kern des berühmten Quintette du Hot Club de France, das in nur einem Jahr seine internationale Karriere durchstartet. Die Formation ist bis heute einzigartig und legendär in der Jazzgeschichte geblieben. Sie entwickelte einen eigenständigen Stil, in dem verschiedene Traditionen („Zigeuner“-Musik, Swing, klassisches Virtuosentum und individuelle Kreativität) zusammenlaufen und den Nährboden für weitere Traditionen bilden.

So ist der 2002 in Leipzig gegründete Hot club d´Allemagne mehr als eine Verbeugung vor den musikalischen Kunststücken des Hot club de France, sondern auch eine Huldigung an das Prinzip der Lebenskraft, das dessen Musik innewohnt. In swing de flâneur hören wir neben Kompositionen von Django Reinhardt, Lulu Reinhardt, Haens´sche Weiss und Dorado Schmitt eingespielte Stücke aus der Hand des Leipzigers Hot Club d´Allemagne-, Jazz- und Bluesrockgitarristen Karl-Heinz Vogel, der bereits 1987 einen Hot Club in Hamburg, Mitte der 90er Jahre die „Zigeuner“-Kapelle Trisotto Djangoletto und die Band Swinging Strings (gemeinsam mit dem Bassisten Kilian Forster) in Leipzig gründete.

Auch Thomas Prokein (Violine) war stets das musikalische Experimentieren auch außerhalb der klassischen Normen ein besonders wichtiger und reizvoller Aspekt. Während seines „normalen“ Geigenstudiums an der Leipziger Musikhochschule spielte er bereits mit den Gruppen Holderfleiß oder Swinging Way. Seine vielfältigen musikalischen Erfahrungen führten ihn 2002 gemeinsam mit Karl-Heinz Vogel zur Gründung des Hot Club d’Allemagne. Seine Begeisterung und Liebe zum Swing-Jazz-Gipsy übertrug sich – ganz im Schwung der „Zigeuner“-Tradition – wohl auch familiär. Seit 2004 ist sein Bruder Georg Prokein (Kontrabass) ein leidenschaftliches Mitglied des Hot Club d´Allemagne. Auch er wagte bereits während seines Violinstudiums an der Musikhochschule in Leipzig einen Blick über den musikalischen Tellerrand und entdeckte seine Liebe zum Bass-Spiel. Ebenso wie Django Reinhardt entdeckte das vierte Hot Club d´Allemagne – Mitglied Klaus Jacob die Gitarre relativ spät. Nach klassischer Ausbildung spielte er mehrere Jahre im Streichorchester Geige und Bratsche, ehe er sich dem Jazz zuwandte. Seiner besonderen Liebe zu Django Reinhardt huldigte er als Mitglied der Bands Rien ne va plus oder Acoustique Express.

Nach regelmäßigen Auftritten in Leipziger Szene- und Nachtleben hat der Hot Club d’Allemagne nun seine erste CD herausgebracht. Doch auch live sind die Musiker weiterhin zu erleben. Denn es ist ein Geschenk des Schicksals, wenn es einen einsamen Wanderer zum richtigen Zeitpunkt einmal ins Café Grundmann verschlägt?

Hot Club d´Allemagne: Swing de flâneur

Georg Prokein – Kontrabass
Thomas Prokein – Violine
Klaus Jacob – Gitarre
Karl-Heinz Vogel – Gitarre
www.hot-club-swing.de
Hot Club d´Allemagne: Swing de flâneur

5. 12. 20:00: Café Grundmann – August-Bebel-Str. 2 & an jedem ersten Dienstag im Monat

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