Sherlock Holmes gibt sich die Blöße: „Dr. Watsons Rache” (Tobias Prüwer)

Sherlock Holmes – Dr. Watsons Rache
Connewitzer Cammerspiele – Werk II
Regie: Anke Klöpsch
Mit: Pascal Keimel, Sandra Mühle, Diana Nitschke,
Karla Müller & Hendrik Brause
Premiere: 10. Januar 2007
www.cammerspiele.de


Sherlock Holmes gibt sich die Blöße – Groteskkriminales im Connewitzer Kammerspiel

Man wird nur dann zum Superheld, wenn man sich selbst für super hält.
Waschzettelbonmot

Manche Aufträge trudeln per Zeitungsmeldung ein: „Gutsituiertes Paar kommt auf dem Weg zur Oper ums Leben.“ Ein Tragischer Unfall oder kaltblütiger Mord? Sofort leitet Sherlock Holmes die Ermittlungen ein und sprüht einmal mehr vor Scharfsinn, fabuliert geistreich und zieht beinahe die rechten Schlüsse. Mit dem zweiten Teil der Trilogie um das Holmes-Revival inszenieren die Connewitzer Cammerspiele die Geschichte um den Londoner Detektiv als hübsch überzogene Komödie.

Sehr frei nach Arthur Conan Doyle entworfen (Text: Anna Clevitz), ist Dr. Watsons Rache ein fast klassisch zu nennendes Verwechslungsspiel, das vom praktischen Nutzen von Selbstverteidigungskursen, dem Mannigfaltigkeit von Fesselwerkzeugen und von aller Sentimentalität bereinigter Rache handelt. Dabei erscheint Sherlock Holmes (Pascal Keimel) in ungewohnter Gestalt, nämlich als Parodie des sonst so förmlichen und steifen Gentlemans, kühl kalkulierenden Kopfes und feinsinnigen Geistes. Der gefeierte Meisterdetektiv entpuppt sich als munter plappernder Maulheld mit Egoproblemen und Anwandlungen von Verfolgungswahn. In wirklich brenzligen Situationen gibt er gern die Nachhut und zieht in der Hektik auch mal Unbeteiligten eine Blumenvase über den Schädel zieht oder gefällt sich mit blonden Karnevalszöpfen trotz Backenbart in der Damentarnung. Mit dümmlicher Mimik, schlaksigem Gebare und ausgeprägtem Lispeln ist der vorgeblich geniale Holmes als selbstverliebter Tölpel gekonnt grotesk in Szene gesetzt. Wenn selbst der obligatorische Deerstalker-Hut nicht so recht passen und die Pfeife nicht schmecken will, gerät das rationale Analysieren zur Farce. Ausgeglichen werden die logischen Schieflagen nur Dank Watsons Intervenieren, an dessen Rockzipfeln der gute Holmes hängt, ohne davon Notiz zu nehmen. Im unterhaltsamen kriminalen Scharmützel klärt sich schließlich nicht nur der Fall auch ohne Holmes‘ Genialität, sondern wird endlich Dr. John H. Watsons wahres Gesicht enthüllt.

Vorurteile behindern die kriminologische Kombinatorik: Die bunte Klamotte führt den Meisterdetektiv Holmes – „Sherry“ – ordentlich vor und nimmt besonders dessen geringe Meinung von Frauen aufs Korn. Wenn dabei Holmes kontrafeministische Ressentiments überdeutliche Betonung finden, drohen die Dialoge zuweilen in Kitsch umzuschlagen. Diese Gefahr wird aber durch die maßlosen Übertreibungen der parodistischen, dem Klamauk verschriebenen Inszenierung aufgefangen. Durch die ungebremste Spielfreude zeigt sich Dr. Watsons Rache als turbulentes Detektivstück, dessen Sequel – coming soon: Der Unsichtbare – man im Connewitzer Wohnzimmertheater nicht verpassen möchte.

(Tobias Prüwer)

Teil drei des Holmes Revivals:

26.01.2007
Trouble in der Detektiv-WG: Sherlock Holmes – Der Unsichtbare (Tobias Prüwer)

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