Ein imposantes Gewürfel

Neue Ausstellungen in der Baumwollspinnerei

Nicht nur zu den zweimal jährlich stattfindenden Galerierundgängen, die sich über die Stadt verteilen, finden sich Besuchermengen auf dem Gelände der Baumwollspinnerei ein, sondern auch, wenn alle sich auf dem Gelände befindlichen Galerien konzertiert neue Ausstellungen eröffnen. So auch am 20. Januar. Wie auf jedem Rummelplatz gibt es viel zu entdecken: Schießbuden, Karussells, Nieten und Gewinnlose in der Tombola, Zuckerwatte und ganz doll bunt. Es ist ein Jahrmarkt der Eitelkeiten, ein Monopoly der besonderen Art. Würfelnd und taumelnd durch das Sammelsurium farbfrischer Befindlichkeiten. Stolpernd von Ereignisfeld zu Gemeinschaftsfeld. Es ist aber auch ein Kunstevent, dass trotz seines Eventcharakters ernstgenommen werden kann. Das Kunstjahr 2007 beginnt in der Spinnerei jedenfalls durchaus vielversprechend.

Besonders in der Presse (LVZ, Kreuzer) hervorgehoben wurde Islands von Dagmar Varady in der maerzgalerie (www.maerzgalerie.de/flash), wobei sich unwillkürlich die Frage aufdrängt, mit welchen Freigetränken die Pressevertreter in der Galerie aufgehalten wurden, um sich diese Installation in voller Länge zu Gemüte zu führen. Bei ätherischen Klängen zwischen Glitterkram herumschwimmende Badenixen-Projektionen erinnern doch mehr an die Deko eines hochgestylten Chillrooms, denn an ein Kunstobjekt, dem man mehr Zeit widmen möchte; wo es doch anderswo noch so viel zu sehen gibt. Zuvörderst sei hier ganz klischeehaft eigen+art (www.eigen-art.com/Ausstell/JH_Kaukas_de.html) genannt: Die raumgreifende Installation Das Kaukasische. Eine Nachlese zu Empfindungen des Herrn Blumenbach von Jörg Herold ist eine überzeugende Beweisführung dafür, dass Kunst sich sehr wohl auch komplexen Themen dokumentarisch annähern kann, ohne einerseits zu verflachen oder andererseits auszufransen. Statt sich in vieldeutigen Symbolismen zu gefallen, wird der Betrachter – vielmehr gezwungen als eingeladen – sich mit dem dargestellten Unheil auseinander zu setzen. Dabei wird dem Mythos der sogenannten „kaukasischen Rasse“ und der „Wissenschaft“ Physiognomie ebenso nachgespürt wie dem Phänomen „Stalin“ und dem jüngsten wie anhaltenden Bürgerkriegstreiben in der Region. Sinnlich erfahrbar und mehrdimensional durchdacht werden die Ergebnisse einer weitgreifenden künstlerischen Verarbeitung gekonnt geordnet, ohne dem Publikum didaktisch-plakativ eine einzige Antwort zu geben oder das Gefühl, jetzt endlich alles verstanden zu haben. Im und um den Kaukasus wurden und werden Kämpfe um Identität ausgetragen und sich der eigenen Verknüpfung wie fremder Schicksale bewusster zu werden, ist eine der herausragenden Leistungen dieses ergreifenden Kunstwerks. (Bild 1)

Ebenfalls raumgreifend ist die Ausstellung No walls – Gegen die Wand beziehungsweise Anarchie und Ordnung in der Galerie b2 (www.galerie-b2.de/content.php). Parzellen der Bodenfläche (und eben nicht der Wand) wurden hier scheinbar oder tatsächlich konzeptlos verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern zur Verfügung gestellt beziehungsweise zur Bekunstung überlassen. Dementsprechend bunt durcheinander sprossen die Gewächse aus diesem Mischacker: „Rosen, Tulpen, Nelken/ Alle Blumen welken/ Aber nur die eine nicht/ Und die heißt Vergissmeinnicht.“ Doch wie in der Botanik ist das Vergissmeinnicht auch hier schwer zwischen den großen Eyecatchern zu entdecken. Wer sich jedoch lange genug auf dieser Blumenspielwiese austobt, dürfte allenfalls fündig werden. Ins Auge stechen und sofort ins Hirn brennen sich dagegen nebenan in der Galerie Filipp Rosbach die Bildteppiche (!) von Margret Eicher (www.filipprosbach.com). Werbemotive von Dolce & Gabbana wurden künstlerisch bearbeitet und in Verbindung zu Watteaus Rokokogemälde Einschiffung nach Kythera gebracht. Um sich dieser aktuellen Adaption besser nähern zu können, sollte man diesen Bogen in die Geschichte mitschlagen. Watteau produzierte dem damaligen Zeitgeschmack entsprechende Bilder, die Motive schwebender Leichtigkeit und Sinnlichkeit mit einer Melancholie des Dahinschwindens verbanden. Lara Croft in einer zeitgenössischen Bildsprache in den Rahmen von Rokoko-Galanterien einzufügen, wird gerade durch die mehr als ungewöhnliche Wahl von Teppichknüpferei als künstlerischer Technik – der Zeit angemessen industriell verfertigt – zu einem nachhaltig wirkenden visuellen Balanceakt, den man nicht anders als gelungen bezeichnen kann. Die Künstlerin weist damit eine große Sensibilität für das Thema auf, dass über die Plattitüde von der Kritik an Schönheitskult und Werbewelt hinausweist. (Bild 2)

Wie immer, stilistisch aus naheliegenden Gründen ganz andere Wege beschreitend, findet man die Galerie PIEROGI (www.pierogi2000.com/currentleipziggerman.html) vor, die eine Auswahl von Künstlern und Künstlerinnen aus San Francisco vorstellt – man merkt als Leipziger unmittelbar, dass es sich um Kunst handelt, die weit entfernt entsteht, unbeeindruckt von den Entwicklungen in den hiesigen Gefilden. Das irritiert, denn bei aller Verschiedenartigkeit der neuen Ausstellungen auf dem Spinnereigelände muss man doch feststellen, dass in diesen Räumen nochmals etwas völlig anderes passiert. Andere Themen, andere Bildsprachen, wesentlich mehr Abstraktion, die bereits ins Ornamentale übergeht. Neben die Irritation tritt die Erfrischung durch den Kontrast. Unbeschwert, leidenschaftlich und mit nahezu kindlicher Spielfreude gesegnet, wird hier ein Einblick in die Kunstszene von San Francisco gewährt und der dafür gewählte Titel Euphorion erscheint nach all diesen Assoziationen geradezu folgerichtig. Wem das alles zu dumm ist, geht zurück auf Los (archiv massiv – www.spinnerei.de/15/kunst), begibt sich direkt dorthin und zieht nicht die 4000 Synapsenfeuerwerke ein, die sich vor dem großen Tableau von Yoon Lee im eigenen Hirn entzünden.

Neue Ausstellungen in der Baumwollspinnerei
ASPN
Dogenhaus Galerie
Galerie b2
SPINNEREI archiv massiv
Galerie eigen+art
Galerie Kleindienst
marzgelerie
PIEROGI Brooklyn Leipzig
Filipp Rosbach Galerie
FRED [LONDON] LTD
Eröffnung: 20. Januar

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