Krise als Grundgefühl: Die Argentinischen Filmtage (Torben Ibs)

Argentinische Filmtage
Sudacakino e.V. unterstützt durch Mühlstrasse e.V.
Cinémat?que in der naTo & DachKino
19. bis 26. Januar 2007
www.argentinische-filmtage.de
Krise als Grundgefühl: Die Argentinischen Filmtage

Melancholische Schwermut gepaart mit südamerikanischem Feuer, das ist es was man im Allgemeinen mit Tango verbindet, der wiederum das getanzte Symbol für Argentinien ist. Seit 2001, dem Jahr der schwersten Wirtschaftskrise der letzten Zeit im Land der Gauchos, ist dieses Tangogefühl anscheinend tatsächlich die argentinische Grundhaltung, zumindest legt die Filmauswahl der Argentinischen Filmtage dies nahe. Denn während das Land im Zuge der Wirtschaftsturbulenzen an den Rand des Bankrotts gerät, schießen seine Bürger und Bürgerinnen in vielen Fällen weit darüber hinaus. Einige der neun langen und 13 Kurzfilme sollen hier kurz vorgestellt werden.

Schon der Eröffnungsfilm Cama adentro von Regisseur Jorge Gaggero aus dem Jahr 2004 lässt die bestehenden Verhältnisse zerbröckeln. Beba (Norma Aleandro) kommt eigentlich aus der gehobenen Mittelschicht Buenos Aires. Von ihrem Mann getrennt lebt sie mit ihrer Haushälterin Dora (Norma Argentina), deren einzige Funktion im Putzen, Abwaschen und Teekochen zu bestehen scheint, und ohne eigenes Einkommen in einer viel zu großen Wohnung. Die einzige Abwechslung dieser Nobel-Tristesse sind die Bridge-Abende mit ihren ebenso situierten Freundinnen. Wenn da nur nicht die Sache mit dem Geld wäre, mit dem nicht nur die Putzmittel, sondern auch die Dienste Doras bezahlen muss. Erst die Trennung von den geliebten Ohrringen ermöglicht eine Auszahlung der ausstehenden Löhne und Dora verlässt die bis dahin vertraglich geregelte Lebensgemeinschaft. Doch die beiden können nicht voneinander, finden keinen Halt im Leben ohne den anderen. Gaggero erzählt in quasi-dokumentarischen Bildern die Geschichte einer Beziehung und ihren Abhängigkeiten, die nicht nur ökonomischer Natur. Dass er dabei manchmal in Gefahr gerät, sich in Klischees zu verheddern, kann man ihm nachsehen, denn beide Hauptdarstellerinnen spielen die Widersetzlichen äußerst intensiv und unaufdringlich aus. Dass die Widersprüche sich dabei nicht auflösen sondern konzentrieren macht eine der Stärke dieses Filmes aus. Nicht umsonst wurde er schließlich auch in die Auswahl des Sundance Festival 2005 aufgenommen.

Während der Umzug in eine kleinere Wohnung im ersten Film zunächst ein Ende des Abstiegs, geht der gleiche Regisseur in seinem Dokumentarfilm einen Schritt tiefer in die verworfene Sozialstruktur des verkriselten Argentinien und bleibt kurz über der Straße stehen. In Vida en Falcon (2004) begleitet er zwei Obdachlose, die ihr Leben im Auto verbringen, dem einzigen, was ihnen noch als zivilisatorischer Anschluss geblieben ist. Immer nah dran und teilweise arg übertriebener Handkamera begleitet er den ehemaligen Taxifahrer Orlando und seinen Kumpanen Luis, der zwar im Auto wohnt, aber keinen Führerschein hat. Nah dran, aber immer nie mehr als die Protagonisten zulassen, entstehen weniger Porträts der Menschen als Fotographien der Situation zweier Leben, dessen Vorleben ebenso im Grau verschwimmt, wie sich die Zukunft nicht zeigen mag. Tangogefühl ohne Tanz.

Tangogefühl mit Tanz gab es bei El Bar „El Chino“ (2003) zu sehen. Daniel Burak erzählt die Geschichte des abgehalfterten Filmemacher Jorge (Boy Olmi), der seinen seit langer Zeit geplanten Film über die Tango Bar „El Chino“ einfach nicht fertig bringt. Erst als er die junge Fernsehjournalistin Martina (Jimena de la Torre) trifft, beginnen die beiden mit neuem Feuer das Projekt zu bearbeiten – und kommen sich näher. Die Finanzkrise aber trifft auch sie: Die für die Produktion des Films beschafften Gelder werden quasi gefressen und Martina verliert ihren Job beim Fernsehen. Sie geht wegen eines verlockenden Jobangebots nach Spanien aber Jorge bleibt und ist wilder denn je entschlossen, den Film fertig zu stellen. Der Regisseur mischt dabei gekonnt semi-dokumentarische Elemente rund um die real-existierende Tango-Bar mit dem subjektiven Erleben der Krise und der für den U-Film obligatorischen Beziehungskiste. Letztere ist eindeutig einer besseren Verwertbarkeit des Streifens geschuldet, während besonders die Erlebnisse und Gespräche um die Bar ihm eine Tiefe geben, die deutlich über das süße Liebesdrama hinausgehen. Auf jeden Fall sehenswert.

Ein Prädikat, das man Cruz del Sur (2002) von Pablo Reyero nicht aussprechen kann. Die Suche nach dem Kreuz des Südens stellt sich für den Zuschauer als völlig undurchsichtiges Geflecht von Drogen, Transsexualität, Familien-, Beziehungs- und Kriminaldrama dar. Die Handlung geht in etwa so: Javier (Luciano Suardi), seine Freundin Wendy (Letizia Lestido) und sein Bruder Carlos (Humberto Tortonese), ein Transvestit gelangen in den Besitz einer großen Menge Kokain, die sie gewinnbringend verkaufen wollen. Dumm nur, dass damit der Obermafiosi auf sie aufmerksam wird und seine Mannen auf sie hetzt. Um diesen sich während des Films mehrfach verlierenden roten Faden spinnt Reyero in undurchschaubarer Manier diverse Erzählversuche, die alle ins Leere oder eine dunkle, unerklärte Familienhistorie voller Eifersucht und Machtspielen verweisen. Einer Familie bei der statt gemeinsamen Kartenspiel her gemeinsames Koks-Schnupfen auf dem Abendprogramm steht. Drogen sind nicht gut, der Film zeigt das deutlich, also Finger weg.

Neben der Krise gibt es noch zwei Themen, die Argentinien beschäftigen: Sex und der Falkland-Krieg. Mit ersterem beschäftigt sich Dokumentarfiler Homero Cirelli in Porno (2006). Langatmig zeigt er die Dreharbeiten eines argentinischen Pornos auf einem Landhaus. Und während die Sexarbeiter kopulieren, der Tonmann sich die Lippen leckt und die Lichtfrau die Scheinwerfer ausrichtet, zeigt Cirelli dann noch, wohl um einen künstlerischen Kontrapunkt zu setzen, Ameisen, die Blätter durch die Gegend tragen. Am Abend wird dann gegrillt und es gibt Mate-Tee. Aus die Maus: Da kann man auch gleich die Reportagen von Wa(h)re Liebe gucken oder sich eines der Endprodukte auf DVD besorgen. Tiefere Einblicke in die Produktionsweisen des Pornos bleiben verschlossen und es bleiben nur die üblichen tiefen Einblicke – aber auch dafür gibt es ja bekanntlich einen Markt. Den Falkland-Krieg hat sich Ramiro Longo in No tan nuestras (2005) zum Thema gemacht und interviewt den Veteran Sergio Delgaldo, der als 18jähriger die Inseln im Süden Argentiniens gegen die Briten verteidigen durfte, und reichert das ganze mit zahlreichen Archivfetzen an. So entsteht das durchaus sehenswerte Porträt eines Soldaten wider Willen, allerdings ohne bis zur letzten Konsequenz zu gehen, denn eine Betrachtung des Lebens danach findet nicht statt. Der Film endet mit der Heimkehr des Veteranen und verspielt so die Chance auch die Entwicklung des Diskurs um diesen Krieg und seine Täter und Opfer in der argentinischen Gesellschaft nachzuzeichnen – was mindestens genauso spannend gewesen wäre, wie die Darstellung der problematischen Nahrungsmittelversorgung an der Front.

Bei den Kurfilmen sind vor allen Dingen zwei bemerkenswerte Exemplare dieser Gattung herauszustellen. Zum einen die Fußballkomödie Lo llevo en la sangre, was in etwa mit „Ich trage es im Blut“ zu übersetzen wäre. Es ist der große Tag von Mario Seminenga (Rolly Serrano). Sein Sohn Lucas (Fernando Roa) darf endlich in der ersten Mannschaft seines Vereins mitspielen. Ein Traum von drei Generationen wird wahr. Vorher gibt es aber noch einen Bluttest zu bestehen, denn nur wahre Fans dürfen auch für die Mannschaft antreten. Dieser aber führt zu unerwarteten Ergebnissen. Regisseur Pablo Perez nimmt in diesem lustigen Film nicht nur die Fußballversessenheit seiner Landsleute (und wohl nicht nur seiner) auf die Schippe, sondern schafft zugleich eine tolle Parabel zum Thema Herkunft, Identität und biologische Wurzeln. Der zweite große Kurzfilm-Wurf gelang Simón Franco mit seinem Film Tiempos Modernos, der in tollen Bildern und absurden Zuspitzungen das ganz normale Einsamkeitsgefühl in der Großstadt nachzeichnet. Zwei Menschen auf der Suche, leben ohne sich zu kennen aneinander vorbei, obwohl sie gegenseitig ihre Verlorenheit beenden könnten. Es ist nicht Unwillen oder gar Unfähigkeit zur Beziehung, sondern der ganz normale Alltagswahnsinn, der sie trennen und zusammenbringen könnte. Ein absurd-melancholischer Film und vielleicht sollten die beiden einfach Tango tanzen gehen – aber das wäre wohl zu einfach.

Aufgrund des großen Erfolges – die Veranstalter zählten 1008 Besucher – sollen übrigens die drei besten Filme im März noch einmal im Dachkino präsentiert werden. Welche das sein werden, entscheiden die Zuschauer unter www.argentinische-filmtage.de. Auch nächstes Jahr soll es wieder die Filmtage geben.(Torben Ibs)

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