Jungbrunnen

unverschämt symphatisch: Die Band Polarkreis 18 in der Ilses Erika

Ich fühle mich in letzter Zeit oft alt. Ich bleibe lieber zu Hause, gerade am Wochenende. WG-Partys sind schon lange nicht mehr mein Ding. Und wo soll man hin in Leipzig, wenn man nicht in eine Bar will? Die Gespräche da sind wie die Gespräche sonst wo auch, nur eben mit Alkohol. Vielleicht versucht man noch mit dem Kellner zu flirten. Traurige Angelegenheit. Ach, ich fühle mich alt. Nun gut, dieses Wochenende soll anders werden. Doch was bleibt übrig, schließt man die pubertär-studentischen Clubs und die Nett-unter-der-Woche-Kneipen aus? Die Ilse! Also das Ilse-Programm zur Hand und einen Plan gemacht: Freitag auf das Polarkreis 18 und Samstag auf das Hot Club de Paris Konzert! Danach sollte ich mich besser fühlen – heißt: jünger.

Freitag Abend. Die Ilse ist wie zu erwarten ziemlich voll. Wenigstens sind die Menschen hier hübsch anzusehen. Das strengt nicht an, denn sie sehen sich alle ähnlich. Dann geht das Licht aus, atmosphärische Klänge begleiten die Band, die sich durch das Publikum kämpft. Okay, die in den weißen Hemden sind also die Band. Weiße Hemden zeugen nicht von großer Originalität. Während ich schon innerlich enttäuscht die Schultern hängen lasse, geht das Licht an, und, oh Wunder, die ersten Töne verwandeln mein Seufzen in ein tiefes Durchatmen. Ich habe selten erlebt, dass die ersten Töne eines Konzerts so befreiend sein können. Die sechs Jungs auf der Bühne, unverschämt sympathisch, haben eine ansteckende Energie. Die Musik reißt einen mit, man möchte sich bewegen und hat gleichzeitig das Gefühl, die Musik ist dafür eigentlich ein wenig zu traurig. Und sie werden im Laufe des Konzertes immer toller! Die Energie, das Lächeln aller Beteiligten, die Stille zwischen den Songs: Ich gebe zu, ich fühle mich wie frisch verliebt! Ein herrliches Gefühl! Neben mir sagt (flüstert, raunt, knurrt?) jemand: „Da hätte man sich die 50 Euro für’s Radiohead-Konzert echt sparen können!“ Welch großartiges Kompliment! Welch großartiges Konzert!

Samstag Abend! Ich bin immer noch ein wenig euphorisiert. Die Vorfreude auf einen weiteren Abend in der Ilse ist groß. Ich hätte es besser wissen müssen. Vielleicht standen mir meine Erwartungen so ins Gesicht geschrieben, dass man mich nur vor einer Enttäuschung schützen wollte? Nun ja, ich werde nie erfahren, wie mir Hot Club de Paris nun live gefallen hätten, denn ich wurde nicht rein gelassen. Für 8 Euro ja, aber nicht mit einer Pressekarte. Da drehte ich mich in meiner Eitelkeit verletzt um und stapfte wütend durch den lächerlichen Schnee nach Hause. Türpolitik hin oder her, an der kann es nicht liegen, sonst darf ich ja auch immer hinein. Natürlich sind 8 Euro für ein Konzert vollkommen in Ordnung und ein Laden wie die Ilse könnte auch mehr verlangen. Aber darum geht es nicht. Es geht viel mehr um das Gefühl des Willkommenseins, ja, ich muss es so pathetisch ausdrücken. Der sonst immer zahlende Gast, der ich bin, fragt sich, ob er nur als solcher gern gesehen ist. Darf ich, wenn ich den Eintritt gezahlt habe, teilhaben an dieser hübschen Menschenschar im Keller, aber eben nur dann? Während ich mich noch ärgere, muss ich allerdings feststellen, dass ich diesen Ärger kenne: Der fühlt sich genau an wie damals mit sechzehn, als man mich nicht in den begehrten Club ließ, weil „Personalausweis zu Hause vergessen“ und „Kleines, Du bist keinen Tag älter als fünfzehn“. So ist mein Plan doch noch aufgegangen (wenn auch anders als geplant). Froh darüber, nicht mehr so jung zu sein und gewiss, dass meine Mutter nicht vor dem Fernseher darauf wartet, dass und wie ich nach Hause komme, schließe ich die Tür zu meiner Wohnung auf. Danke, Ilse!

Polarkreis 18

10. Februar 2007, Ilses Erika

www.polarkreis18.de

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