Der Krieg als Spiegelfläche: „Motortown” (Johanna Lehmke)

Motortown
Neue Szene
Regie: Mac Lunghuß
Mit: Martin Reik, Till Wonka, Silvia Weiskopf, Aleksandar Radenkowic, Stefan Kaminsky, Lissa Schwerm, Thomas Huber & Susanne Stein
Premiere: 28. April 2007
www.schauspiel-leipzig.de


Der Krieg als Spiegelfläche: Motortown

Danny ist ein Kriegsveteran. Im Irak hat er gedient und nun kehrt er zurück nach Hause, in einen Londoner Vorort. Danny war in Basra – der Ort des Folterfoto-Skandals aus dem Jahre 2005. Wieder zurück, schläft Danny bei seinem behinderten Bruder auf einer Couch; und er wartet. Darauf, dass ihn seine Welt wiederhaben will. Ihn wieder aufnimmt, als wäre nichts geschehen. Er wartet auf den Alltag, aber der kommt nicht. Die Ex-Freundin will ihn nicht mehr sehen und auf seine Eltern hat er keinen Bock. So streift Danny durch sein altes Leben, gelangweilt, getrieben, und allmählich wird klar, dass sich die Zeit nicht zurück drehen lässt. Weil Danny die Bilder nicht los wird, weil er den Terror und den Hass nicht aus sich heraus bekommt.

Motortwown, ein Stück des britischen Autors Simon Stephens, ist ein Kriegsdrama. Aber es stellt nicht den Krieg selbst aus, sondern zeigt – wie auch Borcherts Draußen vor der Tür – das, was danach kommt. Was ist auch dann noch übrig, wenn die Soldaten in die vermeintlich heile Welt zurückkehren. Stephens entwirft damit ein Bild vom Krieg, das vielleicht deutlicher ist als viele Dokumentationen.

Die Auswirkungen des Krieges sollen gezeigt werden. So begleitet die Inszenierung Danny auf seinem Streifzug durch den tristen Vorort, und nur als Traumsequenz bricht der eigentliche Krieg in das Stück ein – mit Danny selbst als Folteropfer und einem mephistophelischen Amerikaner, der ihn peinigt und streichelt und dann einfach fallen lässt. Amerika – hier gespielt von Stefan Kaminsky mit blinden Albinoaugen und Kapitalistenzylinder – ist nur der vermeintliche Verursacher des Kriegszuges. Die Schuld trägt die Gesellschaft, die ihn zulässt.

Vor allem steht eines im Vordergrund: Dannys unkontrollierbarer Hass auf die Welt, auf die Menschen. Woraus genau dieser resultiert, bleibt verschwiegen. Es ist vielleicht nicht wichtig. Wir wissen auch so, dass Danny nicht erst durch den Krieg zum Wrack wurde. Irgendetwas hat ihm vorher schon einen Knacks verpasst. Das ist Stephens These: Dass der Krieg nur etwas aufreißt, was vorher durch die Kultur, durch die Politik schon porös gemacht worden war. Krieg ist für Stephens das Produkt einer Kultur, namentlich der Konsumkultur. Das stumpfe Leben in den Vororten, geprägt von Zukunftsängsten und Resignation, von Suff und Machismus, wo das Degradiertsein an den Rand der Gesellschaft längst akzeptierte Tatsache ist. Krieg also nicht als Verursacher von Leid, sondern als Spiegelfläche. Die Zerrüttung liegt immer einen Meter davor, in der Gesellschaft.

So, wie Woyzeck, den seine Umwelt zum Verbrecher macht, sehen wir Danny irgendwann als Opfer. Aber so flach bleibt diese Inszenierung nicht, was maßgeblich an dem so herrlich ambivalenten Till Wonka liegt. Während wir in einem Moment noch Mitleid haben mit dem mageren Würstchen, der ganz allein da steht mit seinem Trauma, wird einem im nächsten Augenblick wieder speiübel, und dann, ja dann macht Danny einem wirklich Angst. Dann fühlt man sich ertappt, weil es eben nicht so einfach ist zu sagen: Hier Täter, da Opfer.

Andere Figuren haben leider fast durchgängig zu wenig Profil, abgesehen von Dannys Bruder Lee (Martin Reik), den alle „Freak“ nennen, der aber vielleicht der einzige ist, der in seiner Welt noch einigermaßen klar kommt. Man mag bisweilen meinen, dass Marc Lunghuß über die präzise Arbeit an der Figur Danny die anderen Schauspieler etwas aus den Augen verloren hat. Und so fehlt der Einblick in Dannys Umfeld, das ihn schließlich zu dem gemacht hat, was er ist, das so aber leider im Verborgenen bleibt.

Aber so ist der Effekt eben der, dass wir im Dunkeln gelassen werden. Zwischendurch werden wir angebrüllt von britischen Rocksongs, die wohl etwas übertönen wollen, ein Schreien oder Schüsse vielleicht. Es bleibt so einiges, das man unter der Oberfläche erahnen kann. Antworten gibt es keine.

(Johanna Lehmke)

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