Heerfahrt, Irrfahrt, Heimkehr: Die Connewitzer Cammerspiele zeigen „Odysseus” (Tobias Prüwer)

Odysseus – Ilias und Odyssee in 90 Minuten
Connewitzer Cammerspiele
Kunst- und Bauschlosserei ARTPA
Regie: Jan-Henning Koch, Susann Koch & Christian Hanisch
Mit: Danilo Riedl, Karla Müller, Susen Seidel, Christian Feist, Ulrike Schneider, Judith Strodtkötter, Mathias Pillasch, Stefan Simanek, Jens Dörre & Elisa Jentsch
Premiere: 27. Juni 2007
www.cammerspiele.de


Heerfahrt, Irrfahrt, Heimkehr: Die Cammerspiele zeigen Odysseus

Sage mir, Muse, die Taten des vielgewanderten Mannes,
Welcher so weit geirrt, nach der heiligen Troja Zerstörung,
Vieler Menschen Städte gesehn, und Sitte gelernt hat,
Und auf dem Meere so viel‘ unnennbare Leiden erduldet,
Seine Seele zu retten, und seiner Freunde Zurückkunft.
Aber die Freunde rettet‘ er nicht, wie eifrig er strebte,
Denn sie bereiteten selbst durch Missetat ihr Verderben:
Toren! welche die Rinder des hohen Sonnenbeherrschers
Schlachteten; siehe, der Gott nahm ihnen den Tag der Zurückkunft…
Homer: Odyssee

Lassen sich Ilias und Odyssee zusammen aufführen, an einem Abend und in 90 Minuten? Muss solch ein Unterfangen nicht scheitern? Nicht zwangsläufig, wie die Connewitzer Cammerspiele vor Augen führen. Mit ihrer Interpretation der Homerschen Dichtungen eröffneten sie in der Kunst- und Bauschlosserei ARTPA ihre Sommertheatersaison. Drei RegisseurInnen nahmen sich den als älteste abendländische Epen geltenden Werken an und hoben sie als dreigeteiltes Stück mit je anderer Besetzung auf die Bühne. Das Ergebnis fällt – wie bei den Cammerspielen Usus – lebhaft, bunt und zumeist urkomisch aus. Während die Rollen wechselten und die Darstellungsweisen variierten, zog sich als roter Faden das fortwährende Wegwerfen von Essen durch die Vorstellung. Weintrauben, Bratwurst, Toast und immer wieder Äpfel: Alles landete – als Requisite ausgedient – hinter der Bühne.

Chronologisch korrekt begann die Aufführung mit der Ilias. An dieser Heerfahrt hatte sich einst Wolfgang Petersen mit dem Film Troja gründlich verhoben, als er alles Mythologische ausblendete. Konträr zu dessen Interpretation spielen die Göttinnen und Götter bei den Cammerspielen eine sehr große Rolle, sind quasi die treibenden Kräfte. Denn hätten sie Paris (Christian Feist) nicht zum Juroren im göttlichen Schönheitswettbewerb ernannt, wäre er ein einfältiger Ziegenhirte geblieben, der sich in selbstverliebten Posen gefällt. Durch Aphrodites (Susen Seidel; auch Hera & Athene) Wirken entflammt sein Herz für die schlichte Helena (Karla Müller). Sie fliehen und hinterlassen erzürnte Griechen. Unausweichlich bricht der große Krieg aus, der für Göttervater Zeus (Danilo Riedl) als neue Fernsehstaffel für Spannung sorgt. Agamemnon (Karla Müller) stürzt sich wütend ins epochale Gemetzel und Achilles muss aufgrund einer Sportverletzung dem Schlachten fernbleiben, während Odysseus (Danilo Riedl) mehr als lustlos mit dem Schwert in der Luft herumstochert. Schließlich kommt ihm die zündende Idee mit der Ross-Attrappe: Die Trojaner lassen sich übertölpeln wie so manch unbedarfte TheaterbesucherInnen und endlich steht die Heimfahrt für unseren Helden offen.

Zog der erste Teil der Aufführung seine zwerchfellstimulierende Wirkung insbesondere aus der grotesken Überzeichnung der Charaktere, so gibt sich das Mittelstück mit Slapstickeinlagen gespickt hübsch albern. Der Übergang zur neuen Inszenierung und anderen SchauspielerInnen gelingt überraschend gut. Mit seinem Gefährten Eurylochos (Stefan Simanek), der die gesamte Mannschaft symbolisiert, tritt Odysseus (Mathias Pillasch) nun die legendäre Mittelmeerkreuzfahrt an. Die Heimreise nimmt bekanntermaßen mehr Zeit in Anspruch als man eingeplant hatte; die Odyssee dauert satte zehn Jahre. Zum Glück sehen sich die Gefährten beim Schippern übers Mare Nostrum vielerlei Abenteuern ausgesetzt, die sie ein wenig vom Seefahreralltag ablenken. So treffen sie beim Inselhopping auf die betörende Circe und blutlüsterne Kannibalen, lockende Sirenen und den riesigen Zyklopen, sie umschiffen Skylla & Charybis und brechen das Herz der nymphenhaften Kalypso. (Alle gespielt von Judith Strodtkötter & Danilo Riedl) So gibt sich das nautische Herumtappen als schwungvoller Reigen durch komische Episödchen, bis Odysseus zu guter Letzt, nach schwerem Sturm, benommen und gischtumspült auf Ithaka strandet.

In die dritte Runde geht das Cammerspiel – wieder mit neuer Besetzung – mit den Turbulenzen auf der Heimatinsel und Odysseus‘ (Jens Dörre) Unterfangen, die Hand seiner Frau Penelope (Ulrike Schneider) zurück zu gewinnen und deren marodierende Freier („Fressen, Saufen, Kotzen“) aus dem Palast zu werfen. Dieser „Rest“ der Odyssee erschien wiederum in anderem Gewand: Musicaleskes war nun angesagt. Und wie immer, wenn zuviel Gesang die Theaterbühne bestürmt, wurde es schwülstig. Das scheint wohl zum Genre dazuzugehören, wurde jedenfalls nicht durch das gewollt humoristische Schauspiel aufgehoben. Man bekam den Eindruck, dass hier die intensivste Arbeit in die Kompositionen (Hannes Naumann) flossen und die Dramaturgie vernachlässigt worden ist. So geriet dieser Teil, obwohl inhaltlich am wenigsten dicht, zum langwierigsten. Da erschien Athene als schrille Latexqueen, Odysseus fragte minutenlang im säuselnden Singsang, ob er träumt oder schon wacht, tanzte mit seinem Sprössling Telemach (Danilo Riedl) vor Wiedersehensfreude im Kreis und fiel mit schwer erträglichem Pathos Penelope in die Arme. Das war sicherlich lustig gemeint. Leider ging dieser Grenzgang gründlich in die Hose und erzeugte durch die fortwährenden Refrainwiederholungen höchstens ein Gefühl für die Länge von Homers Gesängen.

Auch wenn die gut eineinhalb Stunden überwiegend unterhaltsamer Natur waren, ist Odysseus also nicht vollends geglückt. Das Stück hat gezeigt, dass man mit genügend Witz und Unverfrorenheit auch diesem Thema begegnen kann. Es ist eine kluge Idee, dieses Projekt zu stückeln und verschiedenen Inszenierungsweisen zuzuführen, um sie dann als ein Ganzes wieder zusammenzubringen. Was allerdings zweimal gelang, holte der Schluss nicht mehr ein und trübte die dionysisch-fröhliche Unordnung. Ist die Inszenierung des dritten Teils auch nicht komplett misslungen, so passt er mit den zwei vorhergehenden aber nicht recht zusammen. Und auch die dazwischen gelegte Pause kann den Bruch nicht aufheben. So endete der Antikenabend mit einem lachenden und einem weinenden Gesicht, also durchaus in klassischer Symbolik.

(Tobias Prüwer)

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.