Tragödie im Zeitalter des Boulevard-Journalismus: Uzume Gekijo – „Antigone @ Japan” (Torben Ibs)

Uzume Gekijo: Antigone @ Japan
Im Rahmen von OHAYÔ, JAPAN! – Festival für japanisches Theater
Ballsaal der Schaubühne Lindenfels
Kompanie: Uzume Gekijo
Regie: Peter Gössner
Weltpremiere: 14. Juli 2007


Die Tragödie im Zeitalter des Boulevard-Journalismus

Antigone war auf Weltreise und kehrt zurück ins heimische Theben. Während sie ihre Schwester Ismene mit Geschenken aus der großen weiten Welt entzückt, ist die weltgewandte junge Frau zugleich verstört über das bekannte Verbot ihren Bruder Polyneikes zu beerdigen, der als Anführer des feindlichen Heeres vor Theben gefallen ist. Sein letzter Gegner – so will es der unerbittliche Gang der griechischen Tragödie – war sein Bruder Etokles, der ebenfalls von Bruderhand gefallen ist, aber als Retter des Vaterlandes das volle Beerdigungsprogramm bekommen hat. Ausgesprochen hat das Verbot Kreon, der mit goldenem Riesenphallus (passend zur Krawattenfarbe) zum König von Theben geworden ist.

Regisseur Peter Gössner und seine japanische Theatergruppe Uzume Gekijo deuten das Stück aber nicht nur modernistisch und reichern es mit Elementen der Farce und Groteske an – freilich ohne jemals den Pathos des Tragischen zu verlassen. Immer wieder aber schießt die Bühnenhandlung auch über den Text (es war das erste Sprechtheaterstück im Rahmen des Japanischen Theaterfestivals im Westflügel der Schaubühne) hinaus und schafft neue Szenen, die das Spiel um ganze Dimensionen erweitern. Etwa das unflätige Betragen der Liebenden während der Rede Kreons an das Volk, die dauererigierten Phalli Kreons und seines Sohns Haimons (der sich geradezu kindisch über iMac und iPod freut, den seine Geliebte ihm mitbringt) und das virtuose Spiel mit Zeitungsfetzen, die die Tragödie auch immer außerhalb der Familie verlagern und das ganze Tragische am Ende in einer Räuberpistole aus der Boulevardpresse enden lassen.

Auch inhaltlich wird neu argumentiert. Die dramatische Trennungslinie des alten Griechendramas liegt nicht zwischen göttlichen und irdischen Recht, sondern Kreon stellt dazu nur fest, er lasse sich von einer Frau oder einem Jüngeren nichts sagen. Dagegen steht die weltgewandte Antigone und dazwischen Schwester und Liebhaber, die gesetzestreu und feige vor allem im besten Lichte dastehen wollen (Kreons Gattin Euridyke hat die Gruppe komplett aus der Handlung gestrichen). Das alles präsentiert sich auf einer Bühne, die nur aus einigen Rollen Papier besteht, die lang von der Decke im Bühnenhintergrund fallen und dann bis zu den Zuschauerreihen ausgerollt sind und die am Ende zur Leinwand wird. Denn der Theben-Clan hört nicht auf den armen Teiresias (Peter Gössner), der auf deutsch das zu kommende Unheil verkündet, sondern hängt den Seher kopfüber auf, teert und federt ihn symbolisch und lässt ihn dann gegen die Papierwand klatschen. Das ist dann irgendwie zwischen Happening, Beuys und Schlingensief, aber allen macht es riesigen Spaß. Weggewischt sind die internen Konflikte, wenn man sie an jemandem von außen abreagieren darf. So wurde es am Ende sogar noch ein bisschen politisch. Ein rundum gelungenes Stück.

(Torben Ibs)


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