„Auf dass ewig Komödien erklingen” – A. E. M. Grétrys „Die beiden Geizigen” (Sebastian Schmideler)

André-Ernest-Modets Grétry: Die beiden Geizigen
Komische Oper in zwei Akten
Musikalische Komödie Leipzig, Haus Dreilinden
Musikalische Leitung: Werner Ehrhardt
Inszenierung: Igor Folwill
Herrenchor & Orchester der Musikalischen Komödie
Mit: Dan Karlström, Miljenko Turk, Raphael Pauß, Sandra Danyella & Andreas David
Premiere: 29. September 2007


„Auf dass ewig Komödien erklingen“ – Premiere von A. E. M. Grétrys Die beiden Geizigen in der Musikalischen Komödie

„Die Saison hat glänzend begonnen.“ – Es wäre nicht nur schön sondern auch wünschenswert, wenn sich diese kurze und bündige Bemerkung des Theaterkritikers Theodor Fontane eines Tages auf die Leipziger Oper anwenden ließe. Bis dahin ist es noch ein steiniger Weg. Immerhin war der Spielzeitauftakt zur aktuellen Saison am Sonnabend, dem 29. September 2007, mehr als Talmiglanz, ja es waren Silberstreifen am Horizont erkennbar, als die opéra comique Die beiden Geizigen in der Musikalischen Komödie Premiere feierte.

Die Oper hatte sich jedoch für dieses Mal viel vorgenommen. Etwas orakelhaft und vollmundig versucht sie auf ihrem aktuellen Flyer mit der Sentenz zu punkten: „Wer auf frischen Wind wartet, darf nicht verschnupft sein, wenn er kommt.“ – Wenn er doch nur endlich käme, der frische Wind, auf den alle allzu lange schon warten müssen! Doch es wird zumindest klarer, woher der Wind weht, wenn zusammen mit der aktuellen Spielzeit auch ein neuer Zyklus beginnt, der drei Jahre lang der französischen opéra comique gewidmet sein wird. Im optisch deutlich modernisierten Programmheft erläutert MuKo-Chef Volker Mattern das Ziel, französische Oper an die MuKo zu holen, um mit der Musik aus Frankreich zugleich auch mehr Witz, Charme und Schwung ins Haus zu tragen. – Die Idee ist viel versprechend, zumindest die erste Saat scheint aufgegangen zu sein.

Die Bemühungen um die Ausgrabung älterer, heute vergessener Opern waren bisher Sache des Belcanto-Zyklus oder wurden in der Reihe „Oper am Klavier“ in die düsteren Grüfte des Kellertheaters verbannt. Nun hat die Musikalische Komödie den Schritt gewagt und die Inszenierung eines solchen auferweckten Dornröschens auf großer Bühne versucht. Die Geschichte um die beiden Geizigen, die sich als Onkel Dagobert und Klaas Klever des 18. Jahrhunderts nicht weniger infantil verhalten als die plakativ und klischeehaft zu vergeizten Neurotikern reduzierten Comicfiguren des 20. Jahrhunderts, hat streckenweise nicht mehr Niveau als eine muntere Story aus dem Kasperltheater. Die Nichte und der Neffe der beiden Geizigen sind als nicht weniger klischeehaftes, unglückliches Liebespaar inmitten der Geldgier der Onkels gefangen, die ihr Erbe gefährdet sehen. Dazu kommt der Typencharakter der schlauen Dienerin, eine Handvoll Exotismus, da die Szene ins türkische Smyrna verlegt wird und eine ziemlich krude und platte Verballhornung der Janitscharen und der türkischen Kultur. Insgesamt ist die Handlung ein ziemlich schwer verdauliches Gebräu aus allem, was der Menge süß und hochprozentig erscheint. Ein im Sinn des 18. Jahrhunderts „empfindsamer“ Magen und Kopf hätte darunter wertherisch zu leiden gehabt.

Die bedeutsame Entdeckung der Inszenierung war deshalb die espritvolle, schwung- und energiegeladene Musik des klassizistischen französischen Komponisten André-Ernest-Modeste Grétry, den heute kaum einer mehr kennt, der seinerzeit aber eine Koriphäe auf seinem Gebiet war. Seine Spezialität war die opéra comique in der Tradition der commedia dell’arte. Hier hat er dutzendweise Renner produziert, die er vorzugsweise und vorteilhaft zur Unterhaltung gekrönter Häupter in Szene zu setzen wusste. Grétrys halb strenger, halb naturrousseauistischer Stil ist angenehm modebewusst und hat die grazile Leichtigkeit, die man am Rokoko so sehr bewundern kann, wenn sie nicht in leere Verspieltheit ausartet. Und das ist hier wirklich nicht der Fall. Filigran und geschmackvoll drängt die Musik die mehr oder minder hohle Handlung voran, erfüllt sie überhaupt erst mit einem autonomen Sinn als Kunstwerk. So hat sich die Spurensuche in der Geschichtenkiste vergessener komischer Opern hier zumindest musikalisch gelohnt und als besonders gelungener Griff in eine Schatztruhe erwiesen.

Die Musikalische Komödie holte sich für die stilechte Umsetzung der Oper Die beiden Geizigen einen ausgewiesenen Spezialisten für alte Musik ins Haus. Mit Werner Ehrhardt fiel es dem Orchester leichter, das ungewohnte Terrain für sich zu gewinnen. Das Ergebnis kann sich nicht nur hören und sehen lassen, es ist einmal mehr Garant für die außerordentliche Vielseitigkeit des Klangkörpers. Auch wenn es hier und da noch manches zu wünschen gäbe, gelingt es Ehrhardt ohren- und augenfällig, seine spürbare Begeisterung auf Orchester, Ensemble und Publikum zu übertragen und die schwere Sache spielerisch leicht und mit viel Verve zu meistern. Können die kleinen Unebenheiten noch beseitigt werden, ist das Orchester über sich hinausgewachsen. Denn Grétrys Musik verlangt strenge Akkuratesse und die soll möglichst unangestrengt mit Leichtigkeit hingezaubert werden als wäre sie unbewusst – eine besonders schwere Aufgabe, für die Ehrhardt zweifellos der richtige Mann ist. Auch das Publikum ist sich am Ende darüber einig, dass Ehrhardt unbedingt wiederkommen muss, um an dieser Aufgabe weiterzuarbeiten!

Musikdramaturgisch glänzt die zweite Seite der Medaille zwar nicht in der höchsten Prägequalität „polierte Platte“, aber immerhin in solidem „Stempelglanz“. Besonders der erste Akt hinkt noch etwas, die Kalauer sind aus Harlekinaden entlehnt und kommen leider mit typischen Fehlern zum Ausdruck wie dem berüchtigten, pathetisch aufgeblasenen „Bühnenrasseln“ in Dialogpartien und überzogenen, illustrierenden Bewegungen – wie der fortwährend erhobene Oberlehrerzeigefinger des Geizigen Martin. Andererseits überwiegt insgesamt das Gekonnte in dieser Inszenierung, die schwierigeren Gesangspartien mit einer gelungenen schauspielerischen Darstellung zu verbinden. Dan Karlström und Miljenko Turk als die beiden Geizigen, Raphael Pauß als Jerôme, Heike Porstein als Henriette, Sandra Danyella als Madelon und Andreas David als Erster Janitschar stehen für ein junges Sängerensemble, das sängerisch und schauspielerisch zugleich eigenes Profil entwickelt, weil es den Längen in der Handlung komödiantischen Witz verleiht und den sängerischen Partien zum Teil Brillanz gibt. Während bei den einen das Talent mehr in der Darstellung der komischen Rolle liegt, gewinnt vor allem Heike Porstein im Verlauf der Inszenierung eine sängerische Sicherheit und Überzeugungskraft, die beeindruckt. Gegen Ende holt die Inszenierung von Igor Folwill auf, die Pointen werden sicherer, ihr anfangs ziemlich fragwürdiger Komikwert steigt, die Handlung spitzt sich zu, das Ganze gipfelt in einem fulminanten Finale und in einem Ohrwurm, den Publikum und Sänger mit nach Hause tragen werden. Denn am Ende singt der ganze Saal: „Auf dass ewig Komödien erklingen in diesem so schönen Haus.“ – Dann bricht ein wahrer Begeisterungssturm aus. Das Publikum jedenfalls ist sich auch hier einig: Es wird dieses Stück lieben.

(Sebastian Schmideler)

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