CNN-Oper? – „Dead Man Walking” in der österreichische Erstaufführung (Steffen Kühn)

Dead Man Walking
Oper in zwei Akten von Jake Heggie (2000)
Österreichische Erstaufführung
Theater an der Wien, Wien
In Koproduktion mit der Sächsischen Staatsoper Dresden
Musikalische Leitung: Sian Edwards
Inszenierung: Nikolaus Lehnhoff
Bühne: Raimund Bauer
Kostüme: Stephan von Wedel
Mit: Kristine Jepson, John Packard, Frederica von Stade, Roberta Alexander u.a.
Radio-Symphonieorchester Wien
7. Oktober 2007


CNN-Oper? Aktuelles Musiktheater aus Amerika in einer Dresdner Koproduktion

„Dead Man Walking“ mit dieser Ankündigung werden in Amerika die zur Todesstrafe Verurteilten aus ihrer Zelle abgeholt. Drei Worte, welche die menschenverachtende Praxis des gesellschaftlich legitimierten Tötens gruselig auf den Punkt bringen.

Schwester Helen Prejeans begegnet in den 1980er Jahren einen zum Tode Verurteilten und begleitet ihn als geistiger Beistand bis zur Hinrichtung. Ihr Leben verändert sich darauf von Grund auf, 1993 erscheint ihr Buch Dead Man Walking. Der gleichnamige Film von Tim Robbins erhält 1995 einen Oscar und rückt das Thema Todesstrafe nach dem riesigen Erfolg des Buches wieder ins öffentliche Bewusstsein. Danach, im Jahr 2000 beauftragt, der Intendant der San Francisco Opera Lofti Mansouri den Komponisten Jake Heggie und den Texter Terrence McNally mit der gleichnamigen Oper. Das Buch zum authentischen Erlebnis, der Film zum Buch und jetzt die Oper zum Film, verträgt das die Kunstform Oper?

Jake Heggie hat die Frage schon selbst beantwortet, er sieht sich in der Tradition eines George Gershwin, der die tradierten Formen der Oper mit der Unterhaltungsmusik des Broadways verband. Amerikanisches Musiktheater ist für ihn eine Verbindung aus Oper, Musical, Theater, Jazz, Cabaret, Pop und Rock. Daran gemessen kann man Dead Man Walking als Erfolg bezeichnen. Jake Heggie und Terrence McNally halten sich an die filmische Vorlage, einzig in der Inszenierung des brutalen Mordes an den zwei Teenagern durch Joseph De Rocher zu Beginn der Oper weichen sie davon ab. Im Mittelpunkt stehen vier Gespräche zwischen Schwester Helen und Joe: Ist ein Mensch böse oder nur seine Taten? Ist Vergebung möglich? Macht Wahrheit frei? Schwester Helen vertritt und verteidigt ihr christliches Weltbild: Erlösung ist nur durch Buße / Wahrhaftigkeit möglich. Erst die Vergebung Gottes ermöglicht es den Menschen mit grausamen Taten umzugehen und zu vergeben. Joseph De Rocher spürt und sehnt sich nach den Wahrheiten der Nonne, wehrt sich aber verstandesmäßig dagegen. Er leugnet weiterhin seine Tat, will seinen „Mördern“ keine Vorlage für ihr Vorgehen liefern.

Auf der Bühne eine weiße Box mit mehreren Räumen, durch herunter- und wieder hochfahrende Gitter und Wände in ständiger Veränderung. Die Box steht etwas zurückgesetzt im Bühnenraum, die Distanz wird aufgehoben, wenn die Personen ganz nach vorn kommen. Ein subtiles Spiel aus Erzählung und emotionaler Direktheit. Die Musik funktioniert ja ähnlich: Narrative, wiederkehrende Melodien tragen die Handlung, in Konflikten wird der riesige Klangapparat bemüht: dynamische Aktionen der Blechbläser und der beträchtlichen Schlagregister. Kristine Jepson als Schwester Helen bringt die Konflikte mit einer kribbelnden Intensität auf die Bühne. Neben den existenziell bedrohenden Gesprächen mit Joseph De Rocher hat sie noch die Konflikte mit den Eltern der Opfer auszutragen. Musikalisch aber auch in ethischer Hinsicht der Höhepunkt der Oper ist das Sextett mit diesen Eltern und der Mutter von Joseph De Rocher. Auf die schweren Vorwürfe der Eltern nicht an die Opfer zu denken, kann Schwester Helen nur mit stoischem „I´m sorry“ reagieren. Die Mutter Josephs schließlich bäumt sich auf mit der Feststellung, dass sie ja auch einen Sohn verloren hat. Viele im Publikum greifen in solchen Momenten zum Taschentuch, die Inszenierung erreicht eine seltene Intensität. Das liegt an den hervorragenden Solisten, der subtilen Inszenierung und aber vor allem an der herausragenden Sian Edwards, sie gestaltet die Partitur mit seherischer Kraft, zuweilen geraten die Arien in einer Schönheit, welche dem Stoff geradezu Konkurrenz zu machen scheint.

Zurück zur Frage nach der Kunstform Oper. Opern deren Protagonisten in jüngster Vergangenheit gelebt haben, entstanden parallel zum Naturalismus in der Literatur. Ende des 19. Jahrhunderts kam der Begriff des „Verismo“ auf. Für die amerikanischen Zeitopern der letzten Jahrzehnte hat sich der Begriff der „CNN-Opern“ herausgebildet. Warum nicht? möchte man in die Elfenbeintürme der Tradierten hineinrufen. Eine Aufführung wie die heutige hat zwar keine musikalischen Innovationen hinterlassen, aber das Publikum hat sie erreicht, es fühlt sich verstanden und ernst genommen!

(Steffen Kühn)

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