Schweißausbruch oder Das Leben von Monika und ihrem Franz-Josef
artscenico, Dortmund
Im Rahmen der 17. euro-scene
Schaubühne Lindenfels
R: Rolf Dennemann
Mit: Suzan Erentok, Julia Körnig, Nora Krehan & Manuela Stüsser
10. & 11. November 2007
www.artscenico.de
Wer das anschaut stinkt
Das ist die Geschichte von Monika und Franz-Josef. Sie basiert auf einer wahren Geschichte. Beide hatten nicht nur kein Glück, sie wurden in einen Eimer Scheiße hineingeboren und haben es nicht geschafft über den Eimerrand zu klettern. Sie kommen maximal nach oben um etwas Luft zu schnappen und das ist schon wie im Sanatorium. Jeder würde saufen, wenn er da drin säße. Oder auf den Strich gehen. Oder einfach zuschlagen, wenn einem nichts Besseres einfällt. Was soll’s denn auch? Es ist ja nicht so, dass die Beiden schlechte Menschen wären und in der wohlverdienten Hölle schmoren. Nö, sie hatten einfach nur phänomenales Pech.
Es ist eine Zeit vor Hartz IV, tief im Pott, und diese zwei Gestalten rackerten sich auch damals durch ihr miserables Leben wie man es heute noch nur ein paar Meter von der Schaubühne Lindenfels entfernt genauso erleben kann. Suff, Prügel, Nutten. Nur ästhetisch verfremdet. „Hier wird die Wahrheit erzählt, die sich dennoch hinter einem Vorhang aus Gaze verbirgt. Das hilft der Hilflosigkeit, der man sich angesichts der scheinbar unlösbaren Probleme aussetzt. So kann gelacht und geweint werden und am Ende wird der Problemkasten wieder zugemacht. Licht aus.“ So steht es unprätentiös in der Ankündigung und es ist ein großes Verdienst dieser Inszenierung, dass hier einfach nur gezeigt wird, ohne Warum-Fragen zu stellen oder einen Unterschichten-Zoo auszustellen. Gelacht hat aber niemand und unscheinbar zu lösen sind die Probleme auch nicht. Mit kühler Stimme und ohne falsche Anbiederung durch Soziolekt ermöglichen die Darstellerinnen vor allem durch ihre Präsenz und wenige Bewegungen Mitgefühl im besten Sinne: Nicht mit der Faust auf der Tränendrüse, sondern durch Blöße als bloßes Dastehen. Identifizieren kann man sich nicht, aber um sich zu distanzieren fehlt der Abstand.
Dabei wird jede Menge Wirbel betrieben um Abstand herzustellen. Eingeblendeter Text, Mikrofone, verfremdete Stimmen, Diskolicht, halbdurchsichtige Vorhänge zwischen verschiedenen Handlungsebenen. Manchmal fühlt man sich als ZuschauerIn dadurch ein wenig veralbert, als ob man in Watte gepackt wird und die ganze Zeit im Hintergrund jemand flüstert: „Es ist nur ein Theaterstück, es ist nur ein Theaterstück!“ Aber dies sind dramaturgische Entscheidungen, die insofern legitim sind, dass sie das eigentliche Geschehen trotzdem nicht zu verhüllen vermögen – möglicherweise schaut man aufgrund dessen sogar nur noch genauer hin.
Zum Schluss ist man sogar froh, dass endlich doch noch gebrüllt wird. Das endlich etwas herausbricht. Es erlöst und befreit. Aber das wirklich nur scheinbar. Enthusiastisch hat niemand diesen Theaterabend verlassen. Man hatte ein wenig Scheiße am Schuh und bekam den Geruch nicht los. Mehr kann man nicht machen, wenn man ernst und ehrlich bleiben will. Oder zumindest daran glauben will, man sei es.
(René Seyfarth)
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