Musikalischer Wohlklang, aber provinzielle Inszenierung: „La clemenza di Tito” (Sebastian Schmideler)

Wolfgang Amadeus Mozart: La clemenza di Tito
Opera seria in zwei Akten
Oper Leipzig, Opernhaus
Musikalische Leitung: Christopher Hogwood
Inszenierung: Derek Gimpel nach einer Regie von Francisco Negrin
Mit: Rainer Trost, Marika Schönberg, Kathrin Göring, Gabriele Scherer, Susanna Andersson & Pavel Kudinov
Gewandhausorchester
Chor der Oper Leipzig
Premiere: 25. Januar 2008


Tito in Plexiglas

Jubel und Applaus in allen Reihen: Schon längere Zeit nicht mehr ist eine Oper in Leipzig so wohlwollend vom Publikum aufgenommen worden wie Mozarts La clemenzo di Tito zum Premierenabend am 25. Januar 2008. Dieser Enthusiasmus gilt vor allem den sehr guten Solisten und dem bestens disponierten Gewandhausorchester unter Christopher Hogwood. Dieser hervorragende Dirigent verstand es mit ebensoviel Einfühlsamkeit wie Akkuratesse, Mozarts Musik in formvollendete, klare Klangsprache zu übertragen. In einer nicht allzu puristisch aufgefassten Annäherung an die historische Aufführungspraxis entstand grazil und leichtfüßig ein Fließen der Musik, das schlank, flink und im besten Sinne wohltemperiert vorwärts drängte. Schon das allein war zweifellos ein musikalischer Höhepunkt der Opernsaison.

Dieser vorzügliche Gesamteindruck wird noch dadurch gestärkt, dass auch die solistischen Leistungen des Abends sich auf einem hervorragenden Niveau bewegten. Allen voran Kathrin Göring, die als Sesto in die Hosenrolle des heimlichen Helden des Tito geschlüpft war. Die bis in die Nuancen hinein brillant ausgearbeitete Partie kann vollkommen überzeugen, weil Kathrin Göring ihre Stimmkraft durchgängig konzentriert einsetzt und geschmackvoll die Register, die sie zieht, abwägt. Aber niemals auf die Weise, dass ein bloß exakter und statischer Affekt entsteht, sondern meist so, dass ihre Darstellungskunst ein breites Register widerstreitender Emotionen anmutig und lebensnah ausdrückt. Die Oper kann sich glücklich schätzen, einen solchen Ensemblestern in ihren Reihen zu haben. Marika Schönbergs Vitellia lässt dem Affekt des Furors freien Lauf. Rasende Leidenschaften fegen mit fast schon puccinihafter Emphase über die Bühne. Rainer Trost als Tito hingegen ist ein lyrischer Tenor, der auch wirklich lyrisch singen kann, dem die sprichwörtliche Milde des Kaisers aber auch in der Stimme liegt. Insgesamt jedoch entsteht in allen musikalischen Darbietungen ein rundum gelungener musikalischer Wohlklang.

So wäre alles schön und gut gewesen, wenn da nicht Derek Gimpel nach einer Regie von Francisco Negrin erfolgreich für ein inszenatorisches Fiasko gesorgt hätte. Das wiegt umso schwerer, als man sich in Leipzig mit guten Gründen dazu entschlossen hat, Mozarts Opera seria „unverdünnt“ und mit dem ganzen Arsenal der sonst auf das Wesentliche zusammengestutzten Secco-Rezitative im Gepäck aufzuführen. Diese unbedingte Werktreue ist jedoch keine ungetrübte Freude. Es war bisweilen sehr „secco“, den schier endlosen spätbarocken Redeschwall zu verfolgen, der schwer und schwerer werdende, schließlich gar sich senkende Augenlider garantierte. Die Regie hingegen wiegte sich offenbar im festen Dornröschenschlaf und vergaß darüber ihre eigentliche Aufgabe. Denn sie tat wenig dafür, dass das Publikum aufgeweckt wurde und den Leuten die Augen auf- geschweige denn übergingen. Negrin hat zwar so seine Leitmotive: Immer rieselt irgendwo Sand, flackert ein kleines Feuerchen und plätschert Wasser. Starre und Bewegung der Personage wechseln sich getreu der allegorischen Affektmuster in der barocken Opera seria statisch ab. In Negrins Temistocle-Inszenierung zum Leipziger Bachfest ging dieses Konzept vor einigen Jahren wunderbar auf. Hier aber entsteht eine regietechnische Sandwüste von gähnender Leere. Einziger Effekt des Ganzen ist ein spektakuläres Bühnenbild von Es Devlin, das den Grundriss einer römischen Villa perspektivisch in den idealisierten Aufriss dieses Gebäudes in der Form einer geschmacklosen Hartplastikkonstruktion verwandelt. So originell diese Idee ist, so bleibt sie doch der einzige Lichtblick der Aufführung, der noch dazu dadurch getrübt wird, dass eine Sängerin am Ende über die Erhebungen des mehr gefährlichen als einfallsreichen Plastikgrundrisses stolpert.

Für ein Publikum aus Zuhörern, das nur um der Musik willen kommt, mag solch ein reduziertes Bühnenbild mit sparsamer Beleuchtung und statischen Bewegungen nicht weiter schlimm, vielleicht sogar ganz hübsch sein. Für denkende Zuschauer, die in der Oper auch was möglichst Sinnfälliges sehen wollen, ist dergleichen unerträglich. Denn absolute Musik hört man besser im Gewandhaus. Was sich indessen in dieser Inszenierung auf der Bühne überhaupt bewegt, ist über weite Strecken schlichtweg und buchstäblich nicht mehr als bloße Kulissenschieberei, noch dazu mit bedeutendem Lärmfaktor an den musikalisch unpassendsten Stellen. Viel wird in diesem Tito sinnlos herumgestanden, unmotiviert hin und hergelaufen oder mit von Hand gestützten, aber nur scheinbaren Grübelköpfen herumgesessen. Gipfel der Negrinschen Gimpeleien ist und bleibt die Senatorenszene zu Beginn des zweiten Aktes. Aufgestellt wie Urfins Holzsoldaten sondert sich der Senat in einzelne Formationen ab, die ohne erkennbaren Sinn bald hierin, bald dorthin marschieren. Offen gestanden: Das ist für die schauspielerischen Leistungen, die dieser Chor in anderen Inszenierungen bereits unter Beweis stellen konnte, geradezu eine Beleidigung. Und wenn die Nebelmaschine als Versatzstück des brennenden Kapitols an anderer Stelle schließlich lauter zischt, als die Ausführenden singen können, ist die – um mit Bach zu sprechen – „aufgeblasne Hitze“ des Ganzen unverkennbar zeichenhaft geworden. Zumal es der Inszenierung andererseits nicht gelingt, die eigentlich interessanten, versteckten Kühnheiten offenzulegen, die das raffinierte Kabinettstück, das Mozart mit dem Tito vorlegte, beinhaltete. Wieso, fragt man sich, hat die Kaiserin nach der Uraufführung der Oper 1791 in Prag gesagt, es handle sich bei dieser Krönungsoper für ihren kaiserlichen Gemahl Leopold II. um eine „deutsche Schweinerei“? Bestimmt nicht, weil ihr die Sänger nicht behagten! Sondern vermutlich weil kaum versteckte radikalaufklärerische Gedanken, hinter denen die schwankende absolutistische Adelswelt die „Fackel Frankreichs“ vermutete, plötzlich mitten in einer offiziösen Krönungsoper auftauchten. Nur eine kluge Inszenierung hätte es leisten können, diese versteckten reformaufklärerischen Provokationen, die Mozarts Oper enthält, darzustellen und die Konflikte der Personage demgemäß sichtbar zu machen und zu veranschaulichen. Auf einen solchen Kunstgriff wird man in Leipzig nun noch länger warten können. Aus der Krise des inszenatorischen Provinzialismus kommt man mit solchen Inszenierungen, die in keiner Weise neue oder zumindest interessante Gedanken anstoßen, jedenfalls nicht.

(Sebastian Schmideler)

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