Antiker Krimi: „Die Orestie des Aischylos” (Janna Kagerer)

Die Orestie des Aischylos
Übersetzung von Peter Stein
Schauspiel Leipzig, Theater hinterm Eisernen
Regie: Wolfgang Engel
Mit: Simone Cohn-Vossen, Carolin Conrad, Ellen Hellwig, Jörg Malchow, Jens Winterstein
Wiederaufmnahme – nächste Vorstellungen: 10. & 11. März 2008


Orestie im Schauspielhaus – Ein antiker Krimi

Es lässt sich auch mit einfachen Mitteln überzeugend und sinnlich Theater machen. Das zeigt Wolfgang Engels Inszenierung der Orestie des Aischylos, die seit Februar wieder im Schauspiel Leipzig läuft.

Publikum und Darstellende auf engem Raum auf der Bühne hinterm „Eisernen“. Zentraler Spielplatz: eine grosse runde Holzscheibe mit eingebauter Luke, aus der gelegentlich die Figuren verschwinden oder auftauchen. Meist aber gehen sie ganz unspektakulär ins Off ab oder mischen sich unter die Zuschauenden. Die Figuren, das sind Göttinnen und Götter, Heldinnen und Helden der altgriechischen Sagenwelt: Apollo und Athene, Klytaimestra und Agamemnon, Elektra und Orestes, Kassandra und einige mehr. Sie alle werden von Simone Cohn-Vossen, Carolin Conrad, Ellen Hellwig, Jörg Malchow und Jörg Winterstein überzeugend gespielt, wobei Ellen Hellwig als Klytaimestra herausragt. Der Wechsel der Rollen erfolgt meist mittels minimaler Änderung am Kostüm: das Auf- und Absetzen eines Kopftuchs, das Hochschlagen eines Hemdkragens. Nachvollziehbar und wirkungsvoll, ohne viel Zeit zu vergeuden. Dabei stört keineswegs, dass Aigisthos erst vom einen, dann vom anderen Darsteller gemimt wird. Der Hemdkragen reicht aus, um die Figur wiederzuerkennen. Der Rollentausch – für den Zuschauenden ein zusätzlicher Reiz – findet nicht im Verborgenen statt, sondern offen sichtbar, manchmal sogar noch während einer Szene.

Die Handlung stellt sich wie ein antiker Krimi dar. Agamemnon kehrt aus dem trojanischen Krieg heim, Gattin Klytaimestra emfängt ihn liebevoll, ermordet ihn aber kurz darauf. Der Grund: Agamemnon opferte die gemeinsame Tochter Iphigenie, damit die Götter günstigen Wind für die Fahrt gen Troia schicken. Eine Ungeheuerlichkeit, die hier entgegen anderer antiker Quellen klar ausgesprochen wird und der Mörderin ein nachvollziehbares Motiv für ihre Tat gibt. Dennoch belässt es die Sage nicht dabei. Gemäss dem Fluch der Atriden taucht Sohn Orestes auf und tötet die Mutter. Im Zweiten Teil, der nicht darstellerisch aber inhaltlich vom ersten qualitativ weit abfällt, wird der Muttermörder von Dämonen verfolgt, aber am Ende von Göttern begnadigt.

Nicht nur die sprachlich sehr modern wirkende Übersetzung überträgt das Geschehen in eine zeitlos gegenwärtige Ebene. Dazu wird der Stoff nicht etwa ins Heute versetzt. Das ist auch nicht notwendig. Das Aktuelle vollzieht sich in der Art zu spielen: Die Begrüßung des Ehepaares könnte ebensogut die des von einem Staatsbesuch heimkehrenden George W. Bush zu seiner Gattin Barbara sein (wenn man davon absieht, dass diese ihn wohl nicht ermorden würde). Und wenn in einer der bemerkenswertesten Szenen der Inszenierung die stumme Kassandra vom Chor kommentiert wird, wie es sensationslüsterne Spiesser von der Nachbarin aus der Ukraine, Türkei oder Zentralafrika vielleicht machen würden, kommt einem die Szene seltsam bekannt vor.
Hochpolitisch gibt sich die Inszenierung in der Darstellung des Verhältnisses von Mann und Frau. Unaufdringlich und ohne zu werten wird anhand des Textes selbst verdeutlicht, dass schon im alten Griechenland die Frau als minderwertiger angesehen wurde. Gott Apollo bringt es auf den Punkt: Frauen sind Gebärmaschinen, deren Aufgabe es ist, Söhne zu zeugen. Und Göttin Athene ist nur deshalb hoch angesehen, weil sie „wie ein Mann“ ist und direkt aus Gottvater Zeus entsprungen.

Wenig originell ist die Idee, nach der Pause die weiblichen von den männlichen Zuschauern zu trennen und den Zuschauerinnen einen kleinen, angeblich nur von ihnen darstellbaren Mitspielpart zu geben. Hier hätten alle Menschen im Publikum die entsprechende Rolle übernehmen können, was eine viel interessantere Perspektive ergeben hätte. Schon allein deshalb, weil sich auch die Männer im eigenen Spiel mehr wiedergefunden hätten als im Beobachten der Gegenseite.

Die Trennung hatte aber bei der Aufführung, die ich besuchte, einen köstliche Anekdote zur Folge. Nachdem alle nach der Pause ihre Plätze eingenommen hatten – die Männer auf der einen, die Frauen auf der anderen Seite – gab es plötzlich einen Platz zu wenig und ein Mann stand ratlos da und wusste nicht, wo er sich hinsetzen sollte. Der Grund: Ein Zuschauer hatte die Änderungen nicht mitbekommen und verteidigte tapfer den Platz neben ihm für seine Freundin, die aus unerfindlichen Gründen nicht wiederkam…

(Janna Kagerer)

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