Von Büchern und anderen Freu(n)den

Einfach mal treiben lassen: einige Impressionen von der Leipziger Buchmesse 2008

Bücher sind Freunde. Da man von denen nie genug haben kann, machten wir uns auf, den Letterdschungel der Leipziger Buchmesse zu durchforsten und uns im Labyrinth der Bücher zu verlieren. Die Zahlen, Fakten, Daten zu BesucherInnen und Verlagen sind überall nachzulesen, weshalb wir auch allen GewinnerInnen diverser Preise hier lediglich pauschal gratulieren. Unmöglich, im Dickicht von Ständen in den Hallen 2-5 und dem Gewimmel von unzähligen Veranstaltungen zu Leipzig liest nichts zu verpassen. Also ließen wir uns auf unserer Expedition einfach treiben und versammeln hier einige Impressionen.

Wie vorauszusehen, war das 68er-Jubiläum thematisch sehr präsent. Da das Feld seit Monaten medial beackert wird, sparten wir uns die Wiederholungen. Auch an anderen Kassenschlagern kam man nur mit Mühe vorbei: Als Menschenmassen plötzlich herdenartig in eine bestimmte Richtung stürmten und in einer Stampede alles mitrissen, wollten sie entweder Ken Follett, Alice Schwarzer oder Bruce Darnell in der ersten Reihe erleben. Es gelang uns dennoch, an deren Auftritten ebenso vorbeizukommen wie an Eva Hermanns reaktionärem Rechtfertigungsgeblubber. Fröhlich lesen konnten wir auch ohne die plappernde Susanne mit Quietschstimme und um Erich Loests Wehklage über ehemalige Universitätskirchen und gegen Großplastiken – oder bewegen ihn auch andere Themen? – machten wir ebenfalls elegant einen Bogen. Wir ließen die schiefe Frage eines Kalenderverlages unbeantwortet – „Lesen Sie gerne Aphorismen?“ – und amüsierten uns an einem anderen der Verlagstitel [Bild 2]. Das Projekt „Hörbar Weiblich“ schließlich präsentierte seine einzige, schöne Männerstimme… Das Lob der Inkonsequenz anstimmend, trollten wir uns und entdeckten interessantere Gefilde.

So konnten wir unsere Sprachkenntnisse am Gemeinschaftsstand russischer Verlage erproben. Hier sprang uns neben vielerlei Märchen- und Sagensammlungen wegen seiner ästhetischen Eigenheit besonders der Band Deti – nashe budushee (Kinder – unsere Zukunft) ins Auge. [Bild 3] Er zeigt die hübschesten Propagandaplakate aus SU-Tagen, die die neuen Erdenbürger zum Thema haben. Am polnischen Stand erfuhren wir, dass sich der dortige Krimiboom mittlerweile auch in deutschen Übersetzungen niedergeschlagen hat, und studierten an einer Schautafel die Genealogie des polnischen Kriminalromans vom Pionier Jozef Kraszenski etwa zu Malgorzata Saramonowicz‘ kriminologischen Erzählungen oder Marek Krajewskis Wroclawer Moritaten. Während wir die dänische Exposition vermissten, informierte Dubravka Oraic-Tolic am Stand von Kroatien, dem diesjährigen Schwerpunktland, über die Konstruktion von Stereotypen am Beispiel der Krawatte. Dieser Kulturstrick ist nicht nur ein ursprünglich kroatisches Wort, sondern dient als eine Ikone – vorzugsweise in rot – zum kroatischen Nationbuilding.

Eine Messe besitzt immer die Chance zum Bilden, zur Überprüfung des eigenen Denkens und dazu, sich anderen Welt-Anschauungen zu öffnen. So war in Halle 3 in einem Rondell ein hübsches Panoptikum der religiösen Ideen zu bestaunen. Hier reihte sich die Deutsche Bibel Gesellschaft an den Kirchliche Kunst Verlag sowie an Paganismus, Magie und Kultur. Auch der Fo guang Shan Tempel und Bahai traten gegen den eisigen Relativismus an, der dem „uns Papst“ zufolge allen an die Nieren gehe. Natürlich blieb die Fraktion der Seelenheilspender nicht auf diese Ecke beschränkt: Gegen eben jenen erwähnten Herrn in Rom verbreiteten die urchristlich Gesinnten „Gott Ja! – Kirche Nein!“ ihre Botschaft. Und auch in diesem Jahr gab sich der Ahriman Verlag teuflisch religionskritisch und entlarvte Apostel Paulus als „Mythenschmied“ und den eigentlichen Kirchengründer. Hier war eine ironisch gelungene Zusammenstellung durch die Messeveranstalter festzustellen, denn der obskure Stand war gleich neben dem Kelterverlag angesiedelt, dessen Groschenromane – zum Beispiel die Reihe Irrlicht. Unheimliche Geschichten – reißenden Absatz fanden. Eher bedeutungslos prangte hingegen die Junge Freiheit am Pfosten des Standes der vereinten Neuen Rechten um das Institut für Staatspolitik (IfS), den zwei so burschilesk wie schmissige Herren bewachten. Hier fielen Titel auf wie Gender ohne Ende. Was vom Manne übrig blieb. In einem anderen Büchlein wird der kommende Bürgerkrieg in Deutschland herbeiphantasiert. – Stupid is as stupid does. Wo harmlose Folklore aufhört und völkischer Ungeist beginnt, lässt sich nicht immer leicht bestimmen. Wenn der Bund für deutsche Schrift und Sprache „Fraktur für PC + Mac“ feilbietet, mag das noch eher ulkig-komisch anmuten, wie auch das Projekt „Wortpatenschaft“ vom Verein Deutsche Sprache. Wenn sich allerdings in der Flugschrift des Vereins für Sprachpflege lesen lässt, dass es „kein Zufall [sei], dass Menschen, die über kein festes Wertebild verfügen, die Sprache korrumpieren“, ist das mehr als bloßer Bullshit.

Geradezu niedlich nahmen sich da die kleinen Verschreiber in den Anleitungen zu den VoodooBabys aus, putzigen Stoffpüppchen mit fantastischen wie magischen Kräften. Selbstredend gab es „Herr Pumpkin“, „Eisen-Chef“, „Herz-Stealer“ & Co. im „Comics in Leipzig“-Areal zu erwerben. Dieses stand auch in diesem Jahr wieder komplett im Zeichen von Manga und Anime, die in all ihren subtil wie schreiend kitschigen Facetten zu bestaunen waren. Das Cosplay, also die Nachstellung von Idolen aus Film oder Videospielen, trug erneut skurrile Blüten: Plüsch-Barbaren oder Cyber-Ninjas, Military-Matronen oder Gothic-Lolitas tummelten sich in der Halle. Am Stand „ARS – Comic & Illustration“ wurde stilgerecht im Brühwürfelnebel von Instant-Noodles Eigenkreatives von Hobbykünstlern angeboten. An anderen Ständen konnte man bei Signierstunden anstehen und natürlich die verschiedensten Comics und Non-Book-Spittel erwerben. – „Wird die Welt zum Manga-Kitty-Land?“ fragten Steffi Richter und Jaqueline Berndt auf der Uni-Leipzig-Insel. Auch diesen Vortrag haben wir verpasst, werden die Antwort aber im von beiden Autorinnen herausgegebenen Band Reading Manga nachlesen. Die Alma mater präsentierte die beachtliche Vielfalt ihres wissenschaftlichen Publizierens. Wir fanden im geistes-, sozial- und sprachwissenschaftlichen Bereich zahlreiche instruierende Schriften, mit deren Erwähnung wir aber die LeserInnen an dieser Stelle nicht erschlagen wollen.

Bei Jungle World, taz und Freitag durften wir uns wie gewohnt über Gratisexemplare freuen. Das Magazin Novoargumente bat MessebesucherInnen, gezielt in Bahnhofsbuchhandlungen nach dem Heft zu fragen, um die Platzierung zu optimieren. Besonders gelungen war die Präsentation von Das Klobuch aus dem Hause Bentino. Passend in gefliestem Ambiente mit Bepuschelung lud ein Lokus zum Schmökern ein. Wer nicht so gern liest, kam bei der Messe trotzdem auf die Kosten. Denn nach wie vor sind Hörbücher der Renner und waren als eigenständiges Medium hochpräsent. Uns kam allerdings wenig Neues unter die Ohren. Die meisten Anbieter zehrten vom Umstand, dass alles, was man lesen auch vorlesen und ergo auf CD pressen kann. Weiterhin wurden zahlreiche Klassiker-Hörspiele wie zum Beispiel der Science-Fiction-Trash Jan Tenner wieder aufgelegt. Originell hingegen war die MP3-Zapfsäule [Bild 4], und seit kurzem sorgt der Radio-Tatort nun monatlich mit einem ARD-Hörspielkrimi in Äther wie Internet für Nervenkitzel.

Gewundert haben wir uns über die Orthografiefehler, welche in Hülle und Fülle über Pressemitteilungen und Faltblätter hüpften. Gern hätten wir hier die Lektoren auf diese Jobchancen hingewiesen; ihr Stammtisch fand allerdings ohne uns statt. Noch größeres Erstaunen riefen in uns einige Aussteller wach, die zur Buchmesse gar nicht zu passen schienen. (Nein, die Bundeswehr verübte dieses Jahr glücklicherweise kein Rekrutierungsmanöver.) Die City-Bank war so ein kurioser Aussteller. Statt Scheckheften oder Sparbüchern wurde irgendeine Plastikkarte beworben. Noch mysteriöser war ein Stand, der nur einen mittelklassigen PKW beherbergte und einen Schilderwald, demzufolge es das erwähnte Fahrzeug oder eine Reise in einen Golfstaat zu gewinnen galt. Noch durchschauberere Versuche, an Adressen und andere persönliche Daten zum Weiterverkauf heranzukommen, kann es wohl kaum geben.

Besonders angetan waren wir auf den ersten wie zweiten Blick von zahlreichen Publikationen. So konnte uns das 300-seitige Comicmagazin PLAQUE (Avant Verlag) mit durchweg deutschen Erstveröffentlichungen ebenso interessieren wie die vertonten Ermittlungen des Skelett-Detektivs Skuldugerry Pleasants (Hörcompany) und Robert Heelings Kriminalstück Schottische Rhapsodie (Anderbeck Verlag). Fantastisch zum Blättern und Staunen ist der Bildatlas Philosophie (Parthas Verlag). Hubertus Becker setzt sich in Ritual Knast (Forum Leipzig Verlag) kritisch mit Strafvollzug und Resozialisierung auseinander. Intellektuell anregend geben sich auch die Hörbuchreihen Erzählte Wissenschaft und Audiophilosophie (supposé), in denen zum Beispiel Joseph Weizenbaum über Die Verantwortung des Wissenschaftlers spricht oder Slavoj Žižek die Genese des bürgerlichen Subjekts anhand eines Überraschungseis erklärt. Mittlerweile rockt das dritte Ox-Kochbuch (Ox-Fanzine) die vegetarische Punk-Küche. Krasse Töchter (Archiv der Jugendkulturen) beschreibt die Lebenswelten von Mädchen in diversen Subkulturen. Tödliches Lokalkolorit bietet die Kurzkrimi-Anthologie Mordssachsen 2 (Gmeiner Verlag). Und während Julia Friedrichs in Gestatten: Elite (Hoffmann und Campe) hinter die Kulissen vermeintlicher Kaderschmieden schaut, liegen mit Bagatellen. Opus Nro. III (Edition Ornament) von Schwarz-Weiß-Grafiken begleitete Prosa-Miniaturen von Wolfgang Haak vor. Jens Haders künstlerischer Grenzgang MIKROmakro (Verlag für moderne Kunst Nürnberg) ist grafisch höchst ansprechend und bei der Goethe-Adaption Faust vs. Mephisto (Deutsche Grammophon) von Thomas D. und Bela B. kann man nur gespannt sein, ob das Pop-Projekt gelingt.

Einige dieser Publikationen werden wir sicherlich in der nächsten Zeit im Leipzig-Almanach besprechen und als neue Freunde vorstellen.
Leipziger Buchmesse 2008
Messegelände Leipzig
13. bis 16. März 2008
www.leipziger-buchmesse.de

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.