„Der Blick über den Gartenzaun“

Kurator Torsten Maß über „Theater der Welt 2008“

Leipzig-Almanach: Zum ersten Mal findet das Festival Theater der Welt abseits von Metropolen im kleineren urbanen Raum, böse Zungen würden sagen „in der Provinz“, statt. Was führte zur Entscheidung für Halle? Rührt hieraus auch Hölderlins Motto Komm! Ins Offene als Aufforderung zum „Gang aufs Land“?

Torsten Maß: Das Internationale Theaterinstitut hat Deutschlands bedeutendstes Theaterfestival seit fast 30 Jahren stets an finanzstarke, meistens westdeutsche Großstädte vergeben. Jetzt findet ein Umdenken statt. Gefördert werden mittelgroße Städte, die sich in besonderem Maße für die Kultur einsetzen und die von einem internationalen Festival dieser Größenordnung auf allen Ebenen profitieren. Das Motto spiegelt diese Aufbruchstimmung.

Leipzig-Almanach: Was ist das Reizvolle an Halle? Ist es die Chance der örtlichen Komprimiertheit, die der kurzen Wege?

Torsten Maß: Halle hat eine faszinierende 1200jährige Geschichte. Wie einer unserer Künstler sagte: Über jeden Winkel, jeden Stein, jedes Fenster gibt es die verrücktesten Erzählungen. Wer hat nicht alles diese Schatzkammer des „weißen Goldes“ durchstreift und seine Spuren hinterlassen. Wenn die ganze Stadt jetzt 18 Tage lang zur Bühne wird, lässt sie sich neu entdecken – aus dem Blickwinkel tausend fremder Augenpaare, die in ganz anderen Kulturkreisen zuhause sind.

Leipzig-Almanach: Hölderlins Motto ruft gegen eine „bleierne Zeit“. Sie selbst bezeichnen das Festival-Konzept als ein „ästhetisch-politisches“. Leben auch wir in einer bleiernen Zeit? Was heißt das? Wie geht das Festival mit einer solchen Diagnose um?

Torsten Maß: Der Blick über den Gartenzaun und die Landesgrenzen hinweg befreit vom Tagespessimismus und erinnert daran, wie gut es uns geht. Die Medien lieben die Negativ-Berichterstattung; schlechte Nachrichten verkaufen sich einfach besser. Der Aufschwung, die Motivation, der Befreiungsschlag beginnt in den Köpfen. Dafür brauchen wir den anderen, den fremden Blickwinkel, den das internationale Festival bereithält

Leipzig-Almanach: Wie kam der Spielplan zustande, also nach welchen Kriterien wurden die Künstler und Inszenierungen ausgesucht? Gibt es einen roten Faden respektive gemeinsamen Nenner? Ist ein solcher überhaupt nötig oder eher störend? Was verbindet das Gezeigte, hält es zusammen?

Torsten Maß: Das Festival setzt sich auf vielfältige Weise mit den brennenden Problemen der Gegenwart auseinander. Der rote Faden ist die Stadt selbst mit ihren Sorgen und Nöten, auf die 500 Künstler aus 5 Kontinenten reagieren. Sie liefern keine Patentrezepte für „shrinking cities“, die Bewältigung der jüngsten Vergangenheit oder die Ängste alleinerziehender Mütter, aber durch den globalen Kontext entsteht ein Wir-Gefühl. Könnten wir nur die Mauern in den Köpfen abbauen und teilen, gäbe es einen echten Aufbruch.

Leipzig-Almanach: Die ganze Stadt wird zur Bühne. Was heißt das konkret, von den vielen Spielsstätten einmal abgesehen? In was wird sich Halle verwandeln wenn man sich ins Prophetische wagen will?

Torsten Maß: Die Hälfte der Karten sind sechs Wochen vor Festivalbeginn verkauft und mehrere Vorstellungen sind bereits komplett ausverkauft. Aber es gibt vier große Open Air Veranstaltungen, die kostenlos sind und allen offen stehen. Dort und in weiteren Uraufführungen erproben wir neue Spielformen und Orte; ganze Straßenzüge, Häuserfassaden, Privatwohnungen, Trabis, selbst Friedhöfe werden in das Spiel einbezogen. Es gibt schräge Feste, Filme, Diskussionsforen, kulinarische Verführungen und ein buntes Rahmen- und Residenzprogramm. Kurzum, das Festival erobert sich den Stadtraum.

Leipzig-Almanach: Wie fühlen Sie sich, nun kurz vor dem Start? Jetzt, wo es nach all den Strapazen endlich losgeht?Torsten Maß: Jetzt wird es richtig spannend. Es kommen wunderbare Menschen nach Halle, eine geballte kreative Energie. Wir haben ja keine „Fertigprodukte“ eingeladen. Vielmehr wächst alles hier zusammen, in Auseinandersetzung mit den Menschen und Szenerien vor Ort. An diesen Prozessen teilzunehmen, ist toll. Schlafen, sich ausruhen, all das Private kann warten. Jetzt ist der Sprung ins Offene angesagt. Los, Komm!

Kurator Torsten Maß über Komm ins Offene – Theater der Welt 2008

www.theaterderwelt.de

Das Festival findet vom 19. Juni bis 6. Juli in Halle / Saale statt.

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