Kapitalismuskritikkritik

„Schock-Strategie.Hamlet“ lässt Klein und Friedman gegeneinander antreten

Früher musste man Bücher noch lesen, um deren Inhalt zu kennen. Besonders bei Sachbüchern war die Lektüre stets erste Wahl. Mittlerweile ist zwar das Hörbuch auch in diesem Metier in Mode gekommen, aber letztendlich bleibt die Leserei doch an erster Stelle. Das Leipziger Centraltheater will mit diesem Firlefanz Schluss machen und präsentiert in Schock-Strategie.Hamlet quasi die theatrale Variante von Naomi Kleins Werk über die Folgen des so genannten Katastrophen-Kapitalismus. Letzterer nutzt exogen produzierte Katastrophen wie zum Beispiel den Hurrikan Katrina, um die Welt nach seinen Wünschen umzugestalten, also beispielsweise Sozialwohnungen einzustampfen und das Schulwesen zu privatisieren. Natürlich aber handelt der Kapitalismus nicht selbst (wie sollte er das auch können), sondern mittels finsterer Mittelmänner wie dem Ober-Kapitalisten-Guru Milton Friedman, der langjährige Erfahrungen im Feld der Politikberatung hat. Zu seinen Kunden und denen seiner Chicago Boys zählten nicht zuletzt Pinochet, Thatcher und Reagan. Soweit also Naomi Klein, überzeugend gespielt von Anna Blomeier, die als das politische Gewissen durch den Abend führt. Milton Friedman, schneidig und voller Marktfreiheitsliebe gespielt von Norman Schenk, hat andere Sorgen. Er muss Claudius (Andreas Keller), den neuen König von Dänemark, beraten. Der Onkel und neue Stiefvater von Hamlet sorgt sich um den Erhalt seiner Macht und Friedmann rät ihm natürlich zur Schock-Strategie. Aber mit dem Fortinbras im Norden will sich der alte Zauderer dann doch nicht anlegen und so überlegt man hin und her, wie denn der Staat möglichst modern zu führen sei, während der äußerst starke und weder zögernde noch melancholische Hamlet (Guido Lambrecht) auf seinen toten Vater und zugleich die auf der Bühne herumirrende Naomi Klein trifft. Statt Familienrache pauken er und Ophelia (Elisabeth Müller) erstmal Kleinsche Kapitalismuskritik.

Regisseurin Jorinde Dröse und ihr Dramaturg Michael Billenkamp erschaffen an diesem Abend eine wilde Collage aus Themen und Bildern, die bewusst auf das Fragmentarische setzt, um auf diese Weise verstärkt immer wiederkehrende Konfliktlinien aufzuzeigen. Der überbordende Agitprop verfehlt seine Wirkung nicht – schon bald ist man erschöpft von dem ewigen Abschreiten der Kampfzone und versteht Hamlets Streben zwischen freiem Markt und neoliberalen Säuberungen doch endlich einmal auf den toten Vater und seine Familiengeschichte zu sprechen zu kommen. Wo ist das Private, wenn alles Private politisch ist und das Politische doch nur als Deklamation des ewig Gleichen daherkommt? Was nützen antagonistische Weltbilder à la Klein versus Friedman, wenn sich die Welt nicht mehr nach ihnen ordnen lässt? In der Postdramatik fällt das Drama naturgemäß aus, die Tragödie ist universal und die Schicksalsmächte sind die Kapitalisten.

Während auf den Videoflächen Bilder des universal-globalisierten Wohlstands flimmern, bei denen man kaum unterscheiden kann, in welchem Zipfel der Erde sie aufgenommen wurden (Video: Jan Speckenbach) und die Bühne sich mit ihren bewegbaren Aufbauten dreht (Bühne: Barbara Steiner), bleibt nur das alte Hamlet-Wort, dass die Welt außer Fugen geraten sei, bestehen. Die Parolen aber bleiben leer und hohl, am sympathischsten wirkt noch Friedman, wenn er auf der Gitarre sein Hohelied der Freiheit klimpert, das allerdings schon wie ein Abgesang daherkommt. Schnell läuft sich das Gehetze zwischen Palastkulisse und Wellblechhütte tot und so bleibt auch Guido Lambrecht nichts anderes übrig als an die Rampe zu treten und festzustellen, er sei nicht mehr Hamlet und das Ensemble beginnt ein paar lehrreiche Spielchen mit dem Publikum, um die Thematik nochmal anders zu beleuchten. Lediglich Naomi Klein bleibt sie selbst und fängt in ihrer Penetranz an, alle zu nerven, dass selbst der politischste unter den Zuschauern schreien möchte: Es ist genug! So rennt die Aufklärung sich argumentativ tot und spätestens bei der Forderung Free Tibet! möchte Lambrecht wieder Hamlet werden, aber da hat die Regie leider schon alle Brücken zum Shakespeare abgebrochen. Der bewusst eingesetzte Leerlauf kann nicht wieder eingefangen werden. Die Inszenierung zerfasert hier, verliert ihre Konturen und anstatt interessante Ansätze vom Anfang, etwa das Fortinbras-Thema, wieder aufzugreifen, verliert sie sich in schönen
(Video-)Bildern und Waterboarding. So bekommt der sehr stark begonnene Abend einen fahlen Nachgeschmack und es bleibt die Erkenntnis, dass die meisten Tiger als Bettvorleger enden. Dennoch, diese Art von Theater hat in Leipzig Potential und Hartmann und sein Team haben ihre Arbeit gerade erst begonnen. In dieser Hinsicht war der Abend auf jeden Fall lohnenswert.

Schock-Strategie.Hamlet
nach William Shakespeare/Naomi Klein
Regie: Jorinde Dröse
mit: Anna Blomeier, Martin Brauer, Ellen Hellwig, Andreas Keller, Guido Lambrecht, Elisabeth Müller, Norman Schenk
Centraltheater
Premiere: 28. September 2008
www.schauspiel-leipzig.de

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