Hannibal Lector meets Matrjoschka

Wyrypajews Juli in der Skala

Nein, sie setze sich nicht in die erste Reihe, sagt die ältere SKALA-Besucherin zu ihrer Begleiterin. Bei dem Theater heutzutage wisse man nie. Bei Iwan Wyrypajews Juli spritzen aber ausnahmsweise keine Flüssigkeiten gen Publikum, und auch den beinahe schon obligatorischen Stadttheaterinszenierungs-Nackten gibt es nicht.

Regisseurin Mareike Mikat setzt auf die Phantasie der Zuschauenden, lässt den Raum von Susanne Münzner karg einrichten. Zwei weiße rechteckige Bühnenelemente und eine übergroße Matrjoschka-Puppe – das ist alles. Später kommt noch ein zweiter Raum dazu, der gar nicht mal notwendig gewesen wäre. Das Leben auf der Bühne entsteht durch das intensive Spiel der Darstellenden. Der Monolog eines Psychopathen ist auf drei Frauen (Sylvia Habermann, Lore Richter, Melanie Schmidli) und einen Mann verteilt. Andrej Kaminsky brilliert mit einer extremen Darbietungsweise, die Irresein und Brutalität so lebendig macht, dass auf äußerliche Bühneneffekte tatsächlich verzichtet werden kann. Vor allem, wenn er Textstellen mit der Beharrlichkeit eines Wahnsinnigen wiederholt oder auf Knien rutschend sich in Schleife bekreuzigt, läuft einem ein Schaudern über den Rücken.

Die Geschichte wird vorwiegend episch erzählt, nicht unnötig illustriert, sondern immer wieder mit starken Spielmomenten und Choreografien zu russischer Musik angereichert. Die Textpartien werden auf sehr vielseitige Weise vorgetragen, chorisch oder solo, live oder als Playback, im Fluß oder gebrochen. Nicht alles ist gleich verständlich, denn die wechselnden Figurenkonstellationen sind zwar spannend, aber auch verwirrend. Drei Mädchen in weißen Kleidern sprechen die Worte des Psychopathen, Kaminsky verwandelt sich in eine Matrjoschka und wieder zurück, und die Söhne des Protagonisten tauchen als Mädchen auf. Zwischendurch gibt es auch eine relativ reale Figur: Nellie (sehr gut: Habermann), die Krankenwärterin, die der später in der Anstalt befindliche Killer als seine Jugend-„Liebe“ Jana M. phantasiert. Die Metamorphosen beschränken sich nicht nur auf die Rollen und Schauplätze, sondern auch auf die Symbolik. Der Juli ist mal Monat, mal der Name eines Popen, der aber in Wirklichkeit Michael heißt, mal Fluch oder er ist das Einzige was bleibt, wenn alles andere nicht mehr ist.Juli ist auf jeden Fall sehenswertes Theater, doch man muss die Geschichte selbst mögen, um nicht irgendwann genervt zu sein. Es wird viel gemordet und von toten Tieren beziehungsweise zerstückelten Menschen, die wahlweise verspeist werden oder nicht, ist ständig die Rede. Mit Fäkalwörtern wird nicht gespart, wobei Scheiße wohl die Top Eins sein dürfte. Nicht jedes Menschen Geschmack. Wenigstens wurden diese psychopathischen Abgründe nicht illustriert. Und die erste Reihe blieb wie gesagt trocken.

Juli
Regie: Mareike Mikat
mit Sylvia Habermann, Andrej Kaminsky, Lore Richter, Melanie Schmidli
Aufführung vom 16. Oktober 2008
Skala
www.skala-leipzig.de

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