Dunkles Verlangen

Beim Défilé 2008 präsentieren Mode-Absolventen und junge Labels ihre Kreationen

Man kann sicher vieles von Leipzig behaupten, aber ist es neben Musik- und Messestadt, Buchstadt und „junger Stadt“ auch eine Stadt der Mode? Im Zentrum jedenfalls finden Fashionistas wenig Abwechslung zwischen H&M, C&A, Peek&Cloppenburg. Der kaufkräftige Modefan muss sich schon genau auskennen, um die kleinen Lädchen exklusiver Labels zu finden. Und kann die Stadt Leipzig jungen Modemachern eine Plattform bieten? Bislang gibt es in Leipzig kaum Möglichkeiten für junge Designer und Designerinnen, ihre Kollektionen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und potentiellen Käufern zu präsentieren. Eine der wichtigsten ist zweifellos die jährlich stattfindende DesignersOpen, die seit ihrem Start 2005 auch einen Catwalk für die Schöpfungen ausgewählter Teilnehmer der Messe bietet. Seit letztem Jahr kann Leipzig neben dieser Show mit einer exklusiveren Veranstaltung aufwarten – das vom Modedesigner Andreas Trommler initiierte Défilé soll Absolventen und jungen Labels ermöglichen, ihre Kollektionen einem Publikum zu präsentieren, das die Unikate nicht nur bewundert, sondern sich auch das ein oder andere Stück leisten kann. Dementsprechend kosten die Eintrittskarten zwischen 59 Euro für Stehplätze (so genannte Flanierkarten) und 129 Euro für einen Sitzplatz in der ersten Reihe, dafür erlebt jeder Gast nicht nur die Show, sondern kommt danach auch in den Genuss ausgefallener kulinarischer Köstlichkeiten.

Nachdem der Abend 2007 unter dem Thema „Une nuit blanche“ stand, wollen die Veranstalter mit „Noir désir“ in diesem Jahr ein Kontrapunkt setzen: Nicht nur die Dekoration der opulenten Räume in der Villa Hupfeld in Leipzig-Gohlis und der Anblick der theatralisch in schwarz gekleideten, mit viel Gold geschminkten „Empfangsdamen“ sind auf das vermeintlich „dunkle Verlangen“ abgestimmt. Auch von der Choreografie bis hin zur Musik der Show, vom glanzvollen Makeup der Models über ihre filigranen Hochsteckfrisuren, bis hin zu den Häppchen und Süppchen danach soll jedes Detail den dunklen Wünschen genügen. Wie im letzten Jahr wurde Ricardo Steffen als Choreograf engagiert. Er inszenierte eine perfekt ausgearbeitete Show – die Models erscheinen am Absatz einer Treppe im Foyer, wo sie eine Weile keck und verführerisch in das Publikum schauen, um danach in die Säle der Villa zu verschwinden und am Schluss der Runde wieder im Foyer aufzutauchen, wo sie sich auch vor den Flanierkarten-Inhabern zeigen und manchmal kleine divenhafte Schauspieleinlagen liefern. Schade, dass der Betrachter im Foyer nur einen Teil der Performance erleben kann.

Die Show beginnt mit vier Diplomarbeiten von Absolventinnen der Fachhochschule für Angewandte Kunst Schneeberg. Stefanie Thormanns Ensemble von langärmeliger Kurzjacke und Hose aus festem Stoff spielt mit Elementen eines klassischen Mantels – kurz über der Taille endet die Jacke mit ihrem schulterbreiten Stehkragen und zwei Knopfreihen, die sich auf einer über den Knien gepufften Hose fortsetzen. Auch zu Annemarie Buchs Diplomarbeit mit dem Titel „Familienerbe auf den Kopf gestellt“ gehören einfallsreiche Kombinationen von Hose und Jacke: Am oberen Ende des Beins haben ihre Pantalons so viel Stoff, dass die eine Seite weit über die andere geschlagen wird. Dadurch wirkt das Stück ein bisschen so, als hätte die Enkelin Opas viel zu große Hose vom Dachboden gekramt. Dazu tragen die Models schimmernde, helle Jacken, die kurz unterhalb der Brust kunstvoll gerafft sind. Während auch Michaela Röbers Arbeit „nebellichter“ mit vielen Raffungen, glanzvollen Stoffen und lichten Farben auffällt, präsentiert Katharina Peters als eine der wenigen an diesem Abend auch Mode für Männer – „unisex-everything for everybody“ besteht aus schwarzen und silbrig-grauen Kombinationen aus Hose, Bluse und Jacke mit lässigen weiten Schnitten und weich fallenden Stoffen.
Einige der an diesem Abend vertretenen Labels waren bereits auf der DesignersOpen bwz. der Grassimesse zu sehen, dazu gehören kaseee und die Leipziger Labels haine fine und miufeij. Dorit Löffler von miufeij räumt wieder einmal mit allen Vorurteilen über Filzkleidung ab, indem sie edel gewickelte Filzjacken und Filzoberteile mit überraschend hauchdünnen, transparenten Durchbrüchen zeigt. Viel Beifall erntet auch „look for the silver lining“ von naioke: das Label präsentiert elegant silbrig schimmernde Kleider mit enganliegender Silhouette und klaren, geometrischen Schnitten, die im Rücken nur von einem Band des Stoffes gehalten werden. Andere Stücke verbinden körpernahe, streng hochgeschossene Oberteile mit extrem kurzen Faltenröcken. Ysteer, ein Label aus Chemnitz, rief mit einer Reihe bonbonfarbener Kleider bei vielen Zuschauern ein Schmunzeln hervor – die knallbunten, durchsichtige Stoffe und vielen Rüschen erinnerten an fantasievoll verarbeitete Plastefolien – auch so können dunkle Wünsche aussehen.
Nina Gröger und die beiden Designerinnen von FYM greifen in unterschiedlicher Weise tief in die Modekiste der Vergangenheit. FYM ließen sich für ihre aktuelle Kollektion vom Jagdschloss „Moritzburg“ inspirieren – gerade Schnitte treffen auf Elemente wie Mieder, breite Schultervolants, hochgeschlossene Kragen mit Halsrüschen und üppigen Faltenwürfen. Gröger dagegen bedient sich Brustlatz, Schürze und Frack, um diese in den Farben grau, rosa und violett zu frechen, sexy Modellen zu verbinden. Am „Höhepunkt“ der Show wird es besonders pompös, als Choreograf Ricardo Steffen opulente Pelze zu Leopardenoptik, verschwenderische Fülle an schwarzer Spitze und lange Schleppen zeigt. Zum Abschluss der Show präsentiert Designer und Veranstalter Andreas Trommler die eigene Kollektion und demonstiert bei dieser Gelegenheit sein ausgewachsenes Selbstbewusstsein.

Für die jungen Designerinnen und Designer bleibt zu hoffen, dass diese Show sich für sie tatsächlich als ein Sprungbrett erweist. Dass Leipzig durch ein Event wie „Noir désir“ noch nicht zur Modestadt avanciert, ist dagegen klar. Wichtiger als die Beantwortung der Frage danach, wie Leipzig es werden könnte, ist sicherlich das zweifellos politische Problem, wie man die Risiken abfangen und die prekäre Lage verbessern könnte, in der sich viele frisch gebackene selbständige Künstler und Designer befinden.

Défilé 2008 – noir désir
Villa Hupfeld in Leipzig Gohlis
15. November 2008
www.defile2008.de

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