„Eines langen Tages Reise in die Nacht“

If I only could make a deal with God?

Unumstritten wählte Eugene O’Neill für seine Dramen die schönsten Titel: Ein Mond für die Beladenen, Trauer muss Elektra tragen und den vielleicht tollsten Titel der ganzen Dramengeschichte: Eines langen Tages Reise in die Nacht. Dieses Stück erzählt schonungslos von der Familie Tyrone, von dem Tag, an dem der jüngste Sohn die Diagnose Schwindsucht erhält und die offenen Wunden, tiefen Verletzungen, die kaputten und schmerzenden, kaum mehr aufrecht zu erhaltenden Identitätskonstruktionen und -konstellationen jedes einzelnen Familienmitglieds sich mitten hinein in das Familiengeschehen drängen. Die Bande scheinen hart und fest geknüpft, die Liebe zueinander genauso krank wie jeder einzelne Körper.

Das Ziehen und Zerren an- und umeinander ohne gegenseitige Rücksicht und die Forderungen nach den vermeintlichen Allheilmitteln Liebe und Aufmerksamkeit sind schon in Schriftform beklemmend, traurig und auf beeindruckende Art und Weise unerträglich. Auf der Bühne hat das Stück nur beschränkte Entfaltungsmöglichkeiten. Seine stark psychologisierte Figurendramaturgie wird von Schauspielstudenten genauso gefürchtet wie mit Hingabe ausgelotet. Dass O’Neill sich mit diesem Werk selbst therapierte und seine eigene Familienaufstellung praktizierte, erhöht möglicherweise die Wirkungskraft des Textes, kann aber auch zu einer allzu einfachen Darstellung führen.

Sebastian Hartmann hat sich für diese eindeutige Interpretation und die ungebrochene Figurenrepräsentation entschieden, indem er die textimmanente Grausamkeit und Leidensbereitschaft stark macht. Im ersten Teil funktioniert das wunderbar. Die vier Familienmitglieder und die zwei weiblichen Beisitzer haben sich in den viel zu engen Kosmos begeben, der ihr Wohnzimmer ist, um bei jeder kleinsten Regung am Gegenüber anzustoßen. Schuld, Verantwortung, Beherrschung, Aggression, (Selbst-)Vorwürfe und (Todes-)Angst tun ihr Übriges – die Konstellationen werden sauber und bedrückend genau seziert. Großes Ensemblespiel.

Der zweite Teil driftet dann leider zu sehr ab in die Betroffenheits-Psycho-Dramatik. Schwer erträglich ist dann nicht mehr unbedingt das Stück, sondern das Ausspielen jeder einzelnen Gefühlsregung. Und zwar eins zu eins: je lauter geschrien, je mehr gezittert und gewankt wird, umso verzweifelter ist die Figur. Verstanden? Ja, ziemlich schnell sogar, aber um auf Nummer sicher zu gehen, lässt man so schnell nicht ab und zieht dieses Ausstellen der Verzweiflung in die Länge. Die Familie als Summe ihrer einzelnen Teile ist am Ende, aber nicht in ultra-grausamer, da normaler Alltäglichkeit, sondern im hysterischen, nervenzerreißenden Ausnahmezustand.

Angenehmer als dieses Ausstell-Theater ist jedoch die leitmotivisch eingesetzte Musik. Schon als das Publikum in den Saal strömt, tönt es leise und in der Originalversion von Kate Bush aus den Boxen: Running up that hill – später hört man laut die Coverversion von Placebo, welche die in sich verkeilte Familie im schönsten Moment der Inszenierung einmal harmonisch erscheinen lässt. Da singen sie gemeinsam vor sich hin, was so eindringlich wie ein zeitgenössisches Gebet anmutet:

„And if I only could,
Make a deal with God,
Get him to swap our places
[…]
You don’t want to hurt me,
But see how deep the bullet lies.
Unaware that I’m tearing you asunder.
There’s a thunder in our hearts, baby
So much hate for the ones we love?“

Eines langen Tages Reise in die Nacht
Regie: Sebastian Hartmann
Mit: Maximilian Brauer, Guido Lambrecht, Peter René Lüdicke, Henrike von Kuick, Anita Vulesica
Bildnachweis: © R. Arnold/CT
Premiere: 12. Januar 2009, Centraltheater

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