Ein verlorener „Prozess“

Das Centraltheater verwandelt Kafkas Meisterwerk in ein belangloses Machwerk

Kafkas Fragment gebliebenes Meisterwerk Der Prozess spielt sich vor allem in muffigen Amtsstuben und verborgenen Dachböden ab. Sebastian Hartmann konzipierte – nach einer Idee von Pedar Freiij – für seine Inszenierung des Romans einen Raum, der die Atmosphäre sinnfällig ins Jetzt überträgt: eine rot-weiß gehaltene Tiefgaragenauffahrt, die meist von grellen Neonröhren beleuchtet wird. Bühnenbild und Auftakt – Hauptdarsteller Guido Lambrecht tanzt mit Stock und Melone einen Tanz a la Frank Sinatra – wecken die Neugier und geben Hoffnung auf eine schräge, aber spannende Umsetzung des Stoffes. Die Enttäuschung folgt auf den Fuß.

Die Darsteller versammeln sich auf der Vorderbühne und beginnen eine Art Unterhaltung zwischen Kantinenklatsch, Selbsthilfegruppe und Talksendung. Lambrecht als Josef K. erzählt im Alltagsplauderton von seiner plötzlichen Verhaftung. Die Vollzieher des undurchschaubaren Gesetzes, angedeutet von Berndt Stübner und Matthias Hummitzsch, sind ebenfalls anwesend, wiegeln ab oder verteidigen sich. Zwischendurch treten die ohnehin nur vage die Rollen verkörpernden Darsteller aus diesen heraus, albern herum oder kommentieren die Handlung mit oberflächlichen Bermerkungen. „Lieber ne Glatze als gar keine Haare“, witzelt Sarah Sandeh völlig zusammenhangslos. Kahlkopf Andreas Keller sagt darauf „Das ging ja voll auf mich“ und bekommt seinen ersten von zu vielen Lachanfällen.

Zum Glück bleibt es nicht durchgehend seicht und staubtrocken. Doch insgesamt kratzt die Inszenierung nur an der Oberfläche der Vorlage, die in erster Linie durch die subtile Andeutung und das unfassbare Grauen seine genial gesetzte Atmosphäre heraufbeschwört. In der Dramaturgie Michael Billenkamps und der Regie Sebastian Hartmanns ist weniges atmosphärisch gelungen, das meiste zu platt und zu direkt, zuviel Klischee und zu sehr bagatellisiert. Mit Kafkas Seelenabgründen hat das kaum zu tun.

So ist die Eifersuchtsszene zwischen K., seiner Wirtin (Anna Blomeier), und dem Fräulein Bürstner (Sarah Sandeh) anfangs gelungen. K. verliert sich im Gefühlswirrwarr, während dumpfe Musik ertönt und das Neonlicht einer diffus spärlichen Beleuchtung weicht. K. versucht seine Bekanntschaft mit der Bürstner vor der Wirtin zu verteidigen, wird unangemessen aggressiv, was die Wirtin jedoch nicht stört. Sie hat ein Auge auf ihren Mieter geworfen und will ihn von der „schlechten Frau“ wegbringen. Schließlich findet er sich mit der Bürstner allein im Zimmer, im Zwiespalt zwischen Lust und Zweifel. Bis hierher ist die Situation kafkaesk beklemmend, doch der Bogen wird überspannt. „Zieh dich aus“, fordert K. die Bürstner auf. Sandeh steht in Unterwäsche da und Lambrecht fällt über sie her. Aus den Frauenfiguren hätte bei diesem freien Umgang mit dem Original mehr herausgeholt werden können. Doch sie werden, auch im Folgenden, weitgehend auf charakterleere und geile Schlampen reduziert. Schade.

berhaupt werden anfänglich starke Bilder mehrmals durch ein Zuviel zunichte gemacht. Ein Gespräch zwischen K. und seinem Anwalt (Stübner) findet liegend statt. Der Held oder vielmehr Antiheld der Geschichte hat bereits tief in den Abgrund geblickt und schmiegt sich tröstend an den älteren Herrn. Bis dahin ein stimmiges Bild, doch es muss unbedingt eins draufsetzt werden: Die Männer kopulieren. Bitte nicht. Und der gerade in seiner dramaturgischen Einfachheit berührendste Moment, wenn Blomeier mit belegter Stimme die Schlußpassage von der Hinrichtung zitiert, wird jäh von Lambrecht unterbrochen: „Erzähl nicht so ’ne Scheiße!“ Das Motto der Inszenierung scheint zu lauten: Bloß nichts tiefer Gehendes an das Publikum heranlassen.

brig bleibt ein weder unterhaltsamer noch auf andere Weise Gewinn bringender Theaterabend. So belanglos ist das Werk, das es nicht einmal zu provozieren vermag. Wenigstens legt es der am Ende nackte, mit Farbe verschmierte und herumzappelnde Lambrecht gar nicht erst darauf an. Er liefert auch noch beim peinlichsten Regieeinfall großartiges Schauspiel. Wie auch einige seiner Kollegen. Somit ist dieser Prozess nicht ganz verloren. Sehenswert ist er deshalb noch lange nicht.

Franz Kafka: Der Prozess

Regie: Sebastian Hartmann
Dramaturgie: Michael Billenkamp
Mit: Anna Blomeier, Matthias Hummitzsch, Andreas Keller, Guido Lambrecht, Sarah Sandeh, Holger Stockhaus, Berndt Stübner

Premiere: 3. Oktober 2009, Centraltheater

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