„Geschichten, die man versteht, sind nur schlecht erzählt“

Marilyn Manson in den Fängen eines Online-Spiels: Das Dresdner Theater Junge Generation bringt „Wendelgard. The first level“ auf die Bühne – Werkstatt-Tage im Theater der Jungen Welt

Die Bühne ein Käfig. Der Saal gefüllt mit Nebel. Schummriges Licht und ein auffallend künstlicher Geruch. Mit leichtem Unbehagen nimmt man als Zuschauer von Wendelgard. The first level im Theater der Jungen Welt Platz.

Drei im barocken Stil gekleidete Damen sitzen mit dem Rücken zum Publikum auf dem Boden und singen a capella. Ein weißes Kaninchen hoppelt umbeirrt über die Bühne, ein Fernseher zeigt Fritz Langs Stummfilmklassiker Die Nibelungen von 1924. Rechts hängt ein Hakenkreuzbanner. Wenig später taumelt ein krüppeliger Marilyn Manson ins Licht. Mehrfach lärmen Sirenen, und der Raum füllt sich von allen Seiten mit Nebel – eine Art Gaskammer. Die schaurige Manson-Gestalt erweckt die darin erstickten Frauen mit einem Elixier jedes Mal zu neuem Leben. Nach Wagners Rheingold knallt laute Rockmusik aus den Boxen, irgendwann wird Mendelssohn-Bartholdy gesungen.

Krampfhaft sucht man nach einem Handlungsstrang, doch es findet sich einfach keine Geschichte. Vielmehr spielt der Berliner Regisseur, Bühnenbildner und Lichtdesigner Jo Fabian mit Bildern und Assoziationen. Für Zuschauer ab 16 erschafft er eine Traumwelt, eine Art Matrix, dessen Schlüssel im Bau des weißen Kaninchens verloren gegangen ist. Das Publikum bleibt sich selbst und seiner Orientierungslosigkeit überlassen. „Du bist hier hergekommen, weil du es ausprobieren wolltest. Ein Login mit Benutzername und Passwort. Es war einfach, hineinzukommen. Sobald du aber hier bist, verlierst du dein Gedächtnis“, erklärt eine Schauspielerin in übertönendem Geräuschechaos. Ebenso wie alle Anwesenden sei auch sie zur Gefangenen des Spiels geworden und suche seitdem den Ausgang. Ausgänge gibt es jedoch keine, sondern nur verschlossenen Türen und verriegelte Gitter. Leiter und Treppen führen ins Leere.

In der Dunkelheit schrillt endloses Telefonklingeln – David Lynch lässt grüßen. Mehrfach stellt Marilyn Manson-Darsteller Boris Schwiebert Aufgaben an das Publikum. Aufgaben wie „Was war zuerst da, die Schallplatte oder das Grammophon?“ oder „Was ist der Unterschied zwischen Wirklichkeit und Realität?“. Er überzeichnet das Manson-hafte bis in alle Lächerlichkeit, schreckt zugleich aber durch seine grässliche Erscheinung ab. Eine schiefe Hüfte, ein steif nachgezogenes Bein, eine entstellte Fratze; die konsequente Ausdauer seiner invaliden Bewegungen beeindrucken. Wir bekommen genau 5 Minuten und 45 Sekunden Bedenkzeit. Vor Ablauf unterbricht allerdings schon eine Stimme aus dem Off das abstruse Spiel. Sie gibt groteske, nicht enden wollende Regieanweisungen über einen Baum, der umfällt wie ein altes Brot und eine Katze, die stinkt, weil ja alle Katzen stinken, und den Winter, der sowieso nur mit dem Schwert bekämpft werden kann. Wieder sorgt die ausgedehnte Absurdität dieser Anweisungen und die verwirrte Reaktion der Schauspieler für Lacher.

Das Gastspiel des Dresdner Theater Junge Generation passt ganz auf das Motto der diesjährigen 17. Werkstatt-Tage: „Bilderwelten Weltenbilder“. Die Inszenierung bietet unermessliche Möglichkeiten an Interpretation und lässt jeden Besucher in seine ganz eigene Bilderwelt eintauchen. „Was Sie sehen, sind Sie selbst. Und was Sie nicht sind, können Sie auch nicht sehen“, erläutert Schauspieler Boris Schwiebert auf einem Online-Portal, in anderem Zusammenhang. Doch der Satz passt auch auf diesen Abend. Eine Begegnung mit der eigenen Überforderung, die so bald nicht loslässt.

Wendelgard. the first level

Von Jo Fabian

Gastspiel des tjg.theater junge generation, Dresden

Anlässlich der 17. Werkstatt-Tage der Kinder- und Jugendtheater

28. September 2010, Theater der Jungen Welt, Kleiner Saal

Werkstatt-Tage der Kinder- und Jugendtheater

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