Von wegen durchwachsen: „InterShop“ war ein runder Abend, heißt es in einer Alternativkritik. Nur etwas mehr dürfte es das nächste Mal sein
Willkommen beim InterShop – mit diesen Worten eines Platzanweisers drängt sich das Publikum aus dem Fahrstuhl in die Oper Leipzig. Nicht das repräsentative Foyer, sondern die Räume und Gänge hinter der Bühne führen die Zuschauer diesmal zum Ort des Geschehens. Der ist hinter dem eisernen Vorhang, auf der Bühne sitzen sich die Zuschauer gegenüber und rahmen die Tanzfläche ein. Materielle Dinge sind in diesem speziellen Intershop des Balletts nicht zu finden, vielmehr steht die Auseinandersetzung mit verschiedenen Kulturkreisen und Tanzstilen im Vordergrund. Dazu hat Ballettdirektor Mario Schröder zwei Choreographen eingeladen: Mauro Astolfi aus Rom, Leiter der Spellbound Dance Company, war bereits in der Internationalen Ballettgala mit einem Pas de Deux vertreten. Der zweite im Bunde ist Alex Ketley, Leiter von The Foundry in San Francisco.
Sofa, Bett, Kühlschrank, Tisch. Diese Möbelversatzstücke des alltäglichen Lebens bilden die Kulisse für Astolfis „Hold me in this storm“, dem ersten Stück des Abends. Doch sie sind nicht nur Bühnendekor, sondern auch Agierungsmöglichkeit für die elf Tänzer und Tänzerinnen der Oper Leipzig. Die Choreographie arbeitet mit den Gegenständen, benutzt sie als Partner im Tanz und lässt die Tänzer mit ihnen spielen. Ein Ausprobieren der Möglichkeiten. Auch die Körper der Tänzer werden zu Interaktionsmöglichkeiten, sie führen sich, nehmen sich mit, stoßen sich voneinander ab. Vertraute, intim wirkende Duette sind zu finden, genauso wie ausgelassene Gruppenszenen – alles technisch einwandfrei getanzt. Besonders schön und mit Humor gelingt die Bettvariation. Zwei Betten sind zu einem Dreieck aufgestellt, komplett ausgestattet mit Kissen und Decken. Auf jeder Seite entspinnt sich ein Duett, die Paare schlüpfen auf und unter die Decke, erzählen die Geschichte einer Nacht in all ihren möglichen Facetten – der Zuschauer wird zum Voyeur gemacht. Eine Choreographie mit Leichtigkeit und schönen Bildern, Wechselspielen von Nähe und Distanz, Fremde und Vertrautheit.
Schröder bildet die Mitte des choreographischen Trios. Mit „Pour un clin d’œil“ nimmt er die Spiegelung des Publikums auf. Es geht ums Zusammenkommen und Entfernen, den einzigartigen Moment der Begegnung. Dies zeigen uns die beiden Paare (Federica Vincifori und Thomás Ottych/Tatjana Paunović und Takeru Shimizu) in einer klaren Choreographie ohne großen Schnickschnack, sehr impulsiv und kraftvoll, aber auch zart. Die Tänzer beeindrucken mit einer technischen Präzision und vor allem Synchronität – man merkt, dass die vier sehr aufeinander eingestimmt sind. Aber auch, dass „Pour un clin d’œil“ ein alter Bekannter ist. Ein Teil wurde bereits zum Spielzeitauftakt Warm up! gezeigt. Ein doppeltes Duo mit einer schönen, rasanten Körpersprache, teils mit einem neckischen Grinsen in der Choreographie, das uns das Können der Leipziger Tänzer vor Augen führt.
Endlich mal auf einer hell ausgeleuchteten Bühne bringt uns Alex Ketley den Abschluss des Abends. „Arena“ heißt das Stück für die zehn Tänzer, ein Anklang an die Positionierung der Zuschauer. Die Tänzer bilden in wechselnden Formationen die Kulisse für sich selbst, nur noch eine Batterie an Scheinwerfern wird von oben über der Bühne herabgelassen. Ein Offenlegen der Technik, ein Spiel mit der veränderten Bühnensituation oder eine verstärkte Zurschaustellung der Tanzenden – ganz klar wird der Gedanke dahinter nicht. Ketley bietet dem Publikum visuelle Fixpunkte, einzelne Gesten sind wiederholt zu entdecken. So halten die Tänzer bspw. die Hände über ihre Köpfe, ähnlich eines Geweihs, einer Krone. Immer wieder wird dadurch das bestehende Bild gebrochen, eine andere Facette hinzugefügt. Aber auch berührende Momente erschafft Ketley mit seinen Gesten. In einer Gruppenszene halten die Männer während einer Hebung die Köpfe der Frauen – ein sehr sanfter, zarter und schöner Anblick. Eine angenehm ruhige Choreographie mit eindrucksvollen Szenen und einer ganz eigenen Sprache des Körpers.
So leger, wie man beim Anblick der direkt neben der Bühne aufgebauten Bar hätte denken können, sind die Choreographien an diesem Abend dann doch nicht geworden. Die angekündigten Innovationen und Experimentierfreudigkeit waren nicht ganz so ausgefallen, wie vielleicht erwartet. Dafür ist die Sprache der Choreographien zu bewährt, um die Zuschauer wirklich vom Hocker zu reißen. Trotzdem bietet jede Choreographie ihre ganz eigene Art, sich mit den Begegnungen und Gefühlen des Menschen auseinanderzusetzen, die sich anzusehen lohnt. Die durchweg erstklassigen Tänzer auf der Bühne begeistern mit ihrem Können und der Intensität in ihren Bewegungen. Nur vereinzelt bemerkt man leichte Brüche in der Synchronität, deren Ursache bestimmt in der Zusammenarbeit mit einem neuen, ungewohnten Choreographen zu finden ist. Intershop ist ein runder Abend, dem das Publikum wohlwollenden Applaus spendet. Auch wenn es das nächste Mal ein bisschen mehr sein darf, lässt er hoffen, dass Neues und Ungewöhnliches jetzt weiterhin Bestandteil des Leipziger Balletts wird und bleibt.
Intershop
Choreografien von Mauro Astolfi, Alex Ketley und Mario Schröder,
Leipziger Ballettensemble
Premiere: 25. März 2011, Drehscheibe, Oper Leipzig
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