Von Tuten und Blasen eine Ahnung

Hendrik Reichardt regt dazu an, Hindemiths Blasmusik neu zu entdecken

Das herrliche Titelbild des Buches zeigt den Komponisten Paul Hindemith im Bett, mit seinen Lippen und seinen Händen allerdings nicht eine Partnerin berührend, sondern ein Flügelhorn. Diese offensichtlich symbolisch zu verstehende Liebe zur Blasmusik hat sich Hendrik Reichardt zu eigen gemacht. Er spielt selbst Posaune im Orchester der Musikalischen Komödie der Oper Leipzig und leitet das von ihm gegründete Ensemble TromboNova, das durch reizvolle Uraufführungen und effektvolle Ausgrabungen experimenteller Musik ein ums andere Mal aufhorchen lässt.

Durch seine Untersuchung der beiden bedeutendsten Blasorchester-Werke von Paul Hindemith sowie mit Betrachtungen zur historischen Entwicklung dieses Genres gelingt es dem jungen Autor, auf eine bisher von der Wissenschaft weniger belichtete Orchesterkultur aufmerksam zu machen, die zu Unrecht auf Militär- und Populärmusik begrenzt erschien. Allein schon die Feststellung Reichardts, dass zwar der Begriff Streichorchester im Duden zu finden ist, nicht aber der Terminus Blasorchester, spricht für sich. Um den Beweis für die Existenz künstlerisch höchst anspruchsvoller Werke für diese relativ große Bläserbesetzung anzutreten, wendet sich die Publikation zwei herausragenden Kompositionen der gemäßigten Moderne des 20. Jahrhunderts zu, die eben nicht für Freiluftveranstaltungen oder gar den Tanzboden gedacht sind, sondern für den Konzertsaal! Durch eine urmusikantische, geniale Verknüpfung von traditionellen Kompositionsweisen und modernen Klangtechniken entsteht eine brillante, aussagekräftige Musik, die hier in Form und Struktur tiefgründig vorgestellt wird. Dabei erleichtern zahlreiche Notenbeispiele sowie die am Schluss angefügten Übersichten über den Verlauf der einzelnen Sätze den Zugang. Wie genau Reichardt recherchiert und analysiert, zeigt sich besonders daran, dass er einerseits die in Opus 41 zitierte Weise Prinz Eugen, der edle Ritter als Volkslied erkennt und andererseits in der Symphony triftige Korrekturen am bisher beschriebenen motivisch-thematischen Zusammenhang vornimmt. Dadurch ergibt sich nicht nur ein befeuernder Impuls für die Aufführung und die Neuschöpfung entsprechender Werke für Blasorchester, sondern auch für die musikwissenschaftliche Hindemith-Forschung.

Hendrik Reichardt:
Plädoyer für die symphonische Blasmusik

Paul Hindemiths Konzertmusik für Blasorchester op. 41 und seine Symphony in B flat for Concert Band

PFAU-Verlag

Saarbrücken – 2011

94 S. – 17 €


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