Apokalypse abgesagt

Premiere von „Antworten an Deutschland“ in der Skala

Benjamin Lillie, Linda Pöppel, Artemis Chalkidou, Paul Matzke (Fotos: R.Arnold/Centraltheater)

Am Samstag sollte eigentlich die Welt untergehen. US-Prediger Harold Camping – einer von den guten Fundamentalisten, da immer frisch rasiert – hatte das, nicht ohne Selbstnutz, versprochen. Nun gut, alle Witze sind gemacht. Doch fiel auf den Samstagabend auch die Premiere von Frank-Patrick Steckels Dystopie Antworten an Deutschland in der Leipziger Skala. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Theater ist per se ein sozialer Raum und damit politisch. Politisches Theater ist daher ein irreführender Begriff. Zu viel lässt sich darunter subsumieren. Kaum jemand, der sich diese Nadel nach Piscator und Brecht nicht einmal anheftete. Versucht Theater interventionistisch zu sein, pendelt es zwischen engagierter Kunst und entlarvender Provokation. Altmeister Steckel bedient sich souverän dieser Traditionssplitter. Aber seine Inszenierung bleibt seltsam spröde und distanziert, hat kaum die Wucht von Revolte und Zeitstück.

Der Reihe nach: Die Bühne der Skala ist fatal kahl. Im Halbkreis stehen Stühle, die frei bleiben und Masse projizieren. Vier riesige Strahler, vier Schauspieler. Letztere, gehüllt in Camel-Decken, wandeln nornengleich wispernd umher, bis sie sich niederlassen und 90 Minuten reglos reden. Es ist eine szenische Installation. Steckel buchstabiert das gesamte Repertoire theatralen Sprechens durch: Rhythmik, Chor, Übernahme von Motiven, Tempowechsel, Gesang, Rezitation etc. Das ist geradezu hypnotisch, aber auch langatmig, was eher an den parataktisch erzählten Geschichten liegt: Eine Auflistung wirklich aller Missstände dieser Welt, gewürzt mit privaten Geschichten der Schauspieler und literarischen Texten von Brecht bis Geibel. Das Problem daran? Nichts des Gesagten ist neu, alles kann man in dieser horizontalen Form auch bei Google haben. Das Material ist zweidimensional, geht in die Breite, nicht in die Tiefe. Weder vertiefen die Geschichten einander noch werden Kontrapunkte gesetzt oder unerwartete Zusammenhänge hergestellt. Glanzpunkte setzt nur ein diabolischer Paul Matzke, der mit dadaistischen Sprachexperimenten den Worten eine überzeitliche Doppelbödigkeit verleiht.

Nun ist Steckel aber ein alter Theaterhase. Dementsprechend lässt sich seine Regie zwar global angreifen, ist aber im Detail komplex. Alles wird angerissen, alle Methoden ausgeschöpft, jede Pause sitzt, die Darsteller bilden klare Typen, ironisch wird der Theaterabend kommentiert. Auch das Material ist vielfältig, die Schauspielergeschichten nur selten peinlich. Jedoch belastet die unhinterfragte, linkssoziale Meinung auf Dauer, sodass man trotz ähnlicher politischer Denkart irgendwann dagegen sein will. Böse Banker, Massentierhaltung, Armut, Atomkraft, Gaddafi, Afrikas Exodus – der Wal hat recht, die Welt ist schlecht. Undifferenzierte Systemkritik führt nicht zu zivilem Ungehorsam, sondern zu Unempfindlichkeit. Steckel hatte angekündigt, dass es mühsam werde, den Schauspielern beim Denken zuzusehen – anstrengend war nur die schlichte Einseitigkeit der Argumentation.

Antworten an Deutschland

Regie: Frank-Patrick Steckel

Ausstattung: Frank-Patrick Steckel

Musik und Chorarbeit: Dirk Raulf

Dramaturgie: Michael Billenkamp

D: Artemis Chalkidou, Benjamin Lillie, Paul Matzke, Linda Pöppel

21. Mai 2011, Skala

Für eine Zeit, die man lieben könnte – Im Centraltheater probte die perfomative Installation „Das Schwarze Loch“ den Aufstand (von Tobias Prüwer)

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