Europa voller Schranken

Der neue Film von Danny Boon: Nach seinem Megaerfolg „Willkommen bei den Sch’tis“ kommt Ende Juli „Nichts zu verzollen“ in die Kinos

1993, kurz vor der EU-Grenzöffnung, wird die Belgisch-Französische „Spezialeinheit“ – bestehend aus Mathias Ducatel (Dany Boon, 2.v.l.) und Ruben Vandevoorde (Benoît Poelvoorde, rechts) – mit der neuesten Technik ausgestattet. (Bilder: Prokino Filmverleih)

Nicht mal das Tafelwasser darf französisch sein, da bekommt der belgische Vater Vandevoorde schon einen Wutausbruch. Er trinke nur belgisches Wasser. Ende der Diskussion. Nein, nicht mal das Wasser ist gleichen Ursprungs in dem fiktiven belgisch-französischen Grenzörtchen Courquain, Anfang der 90er Jahre. Es gibt einfach keine gemeinsamen Quellen.

Die neue Komödie des Franzosen Dany Boon, der mit Willkommen bei den Sch’tis den erfolgreichsten Film Frankreichs vorlegt hat, inszeniert den Nachbarschaftsstreit zwischen Belgien und Frankreich in einer Zeit, in der die politischen Vorzeichen gen Europa weisen. Was das für die Bewohner Courqauins bedeutet, veranschaulicht der Prolog des Films: Ein belgischer Zöllner schlägt Mitte der 80er Jahre die Zeitung auf und schreit schmerzverzerrt gen Himmel. Was mag passiert sein? Die Grenzen innerhalb Europas sollen fallen! Welcher Idiot hat sich das nur einfallen lassen? Oh schönes Belgien, schöne Idylle, du bist bedroht!

Kurz vor der Grenzöffnung schließlich sind die Dorfbewohner und seine französischen wie belgischen Grenzbeamten in Aufruhr. Das Feindbild des stinkenden Nachbarn – aufgelöst im gemeinsamen Europa? Nicht mit uns – scheinen die Anwohner zu schimpfen. So stacheln sie sich wie gewohnt an und stacheln, in hitzigem Schlagabtausch, noch ein bisschen mehr. Allen voran der hysterische und bornierte belgische Zöllner Ruben. Denn wohin mit der Wut? Bald fällt der Zoll und der Arbeitsplatz der Grenzbeamten ist bedroht. Die ansässige Gaststätte muss in Zukunft die französischen Billigtanker einbüßen, wenn diese nicht mehr über die belgische Grenze Richtung Frankreich fahren und ein Päusschen im „No Man’s Land“ machen. Nicht mal der Himmel ist für die Dorfbewohner Allgemeingut. Es wird sogar diskutiert, ob die Sterne belgisch oder französisch seien.

Ein hitziges Gefecht: Mathias Ducatel (Dany Boon, rechts) will sich die Anfeindungen seines belgischen „Kollegen“ Ruben (Benoît Poelvoorde, links) am Grenzposten nicht mehr gefallen lassen.

Der Film mag aufrichtig gemeint sein: Ein gesellschaftspolitisch auch über 15 Jahre nach dem Schengener Abkommen noch immer aktuelles Thema wird in eine rasante Komödie mit viel Dialogwitz verpackt und am Ende fällt es allen wie Schuppen von den Augen: Ja Mensch, wir sind doch alle gar nicht so verschieden!

Zwei Filmfiguren erkennen dies, hellsichtig wie sie sind, schon vorher. Und so blüht mitten in diesem Chaos voller bedrohter Grenzen und Identitäten eine Liebe auf, die sich nicht um Grenzen schert – oder etwa doch? Der sensible und etwas unsichere Franzose Mathias Ducatel, gespielt vom Regisseur persönlich, liebt die Belgierin Louise Vandevoorde – Tochter des eingangs erwähnten Wassergourmets. Dass der Freund angesichts dieser Konstellationen nicht einfach mal dem Papa vorgestellt werden kann, dürfte klar sein. Noch dazu ist Louise die Schwester von Ruben, dem aggressiven und dummen Nationalisten. Und so ist diese Liebe nur um den Preis der Heimlichtuerei zu haben. Diese wird der selbstsicheren Louise, der intelligentesten Figur im Drehbuch, aber bald zu bunt, und so macht ihr Mathias vor den Blicken anderer im Restaurant, wenn auch nuschelnd und hinter Zierpflanzen versteckt, dann doch einen Heiratsantrag.

Indes fallen auch die politischen Grenzen – dann aber doch nicht so sehr wie eingangs von den Anwohnern befürchtet. Nach dem Neujahrswechsel beschließen französischen und belgischen Vorgesetzten aufgrund der Gefahr des illegalen Schmuggels eine mobile Grenzkontrolle einzurichten. Und wer soll fortan im kleinen Wägelchen tagein, tagaus die Landstraßen überwachen? Ausgerechnet Ruben und Mathias. Nachdem Louise vor den politischen Vorzeichen eingeknickt ist und die Beziehung zu Mathias zu raunender Filmmusik aufkündigt hat, wittert der Verlassene seine Chance und will die Gunst seines Schwagers in spe gewinnen.

Allein unter Belgiern: Mathias (Dany Boon, links) bei einem Abendessen mit den Vandevoordes.

Zu den gelungenen Momenten des Films gehört, wie sich die beiden unterschiedlichen Zankhähne zunächst in einer zerbeulten Schrottkarre, dann in einem getunten Sportwagen auf Ganovensuche machen. Zwei nicht sehr helle Drogenschmuggler treiben nämlich ihr Unwesen. Wie Mathias versucht dem cholerischen Ruben klarzumachen, die Abneigung der Franzosen gegenüber den Belgiern sei nur in ihrer Hochachtung vor diesen begründet, ist schön gemacht.

Dany Boon muss kein Hellseher sein, um in dem Schengener Abkommen ein politisch brisantes Thema zu erkennen. Das Erscheinen der Komödie fällt jedoch mit einem Zeitpunkt zusammen, in dem die Infragestellung des Herzstücks Europas Konjunktur hat und sogar die Einführung temporärer Grenzkontrollen im Schengenraum auf dem EU-Gipfel Ende Juni diskutiert werden soll. Auch behandelt die Komödie oft anzutreffende Vorurteile über den stets dummen geographischen Nachbarn.

Aber auch wenn das Thema gut gewählt ist, die Umsetzung ist es nicht. Boon, der auch das Drehbuch schrieb, zeichnet seine Figuren zu eindimensional und einfältig und überfrachtet den Film mit den immergleichen Worttiraden. Hier der blöde Franzacke, dort die dumme Fritte. Wenn Belgier und Franzosen aufeinandertreffen – und das passiert in diesem Film in jeder Szene –, ist der andere per se arrogant, minderbemittelt, mit einem seltsamen Dialekt ausgestattet und immer einer Beschimpfung wert. Das ist bald so überzogen, dass man diese Hysterie niemandem mehr abkaufen kann.

Boons Vorgänger Willkommen bei den Sch’tis, der auch Vorurteile auseinandernahm, die in der unterschiedlichen regionalen Herkunft motiviert sind, funktioniert da besser. Dort gestand er den Figuren mehr Intelligenz zu. Die Diskrepanz zwischen der Figurenzeichnung und den gelebten Vorurteilen erzeugte absurde Momente und tiefgründigere Witze. Nichts zu verzollen wirkt im Gegensatz dazu einfältig. Die Wandlung der Figuren hin zu mehr Humanität funktioniert nicht, weil es nichts hinter den Figuren gibt, das diesen Wandel nachvollziehbar macht. Sie bewegen sich in einem Einheitsbrei der Einfachheit, die schnell langweilt. Dany Boon hat sich dabei noch den komplexesten Charakter auf den Leib geschnitten. Damit wird jedoch der Film nicht gerettet. Wenn die Dialoge insgesamt so dumm sind, ist das über die meiste Zeit eher traurig als lustig.

Nichts zu verzollen / Rien à déclarer

Frankreich 2011, 108 min

Regie: Dany Boon; Darsteller: Dany Boon, Benoît Poelvoorde, Julie Bernard, François Damiens

Kinostart: 28. Juli 2011


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