Hässliche Untote tanzen im Ballsaal

Die Dresdner Theatergruppe Derevo führt in der Schaubühne Lindenfels „Totentanz“ auf

Tanzende Engel (Foto: C. Friedlander / Derevo)

Der Tod kommt zu jedem und ist zu allen gleich. Diese Universalität des Todes findet ihre Allegorie in der Figur des Totentanzes. Bildnisse von Totentänzen kamen im 15. Jahrhundert auf und wurden als Reliefs oder Malereien in Kirchen und an Friedhofsmauers angebracht. Auf ein solches steinernes Relief bezieht sich die Theatergruppe Derevo: Den „Dresdner Totentanz“ in der Dreikönigskirche.

Bereits das Betreten des Ballsaals ist schauervoll-lähmend: Dieser – selbst im Zustand eines Untoten – ist vielmehr schwarz als dunkel und von der Empore richten sich grelle Lichter in die Augen der Zuschauer. Auf der Tanzfläche taumelt bereits eine weiß geschminkte Fratze, kratzt sich, hinkt und stöhnt. Die Zuschauer verstummen und tiefe, dumpfe Orgeltöne fahren ihnen ins Mark.

Es ist die Atmosphäre, die dieses Stück ausmacht. Man kann Theater mit dramatischen Handlungen schreiben, überraschende Wendungen erzählen und aufregende Charaktere auftreten lassen. Oder man zeigt Theater wie Derevo: Kaum menschliche Stimmen – der Mensch ist tot –, sondern Musik, die erschreckt und erschüttert, Licht, das eine düstere Stimmung erzeugt als es Worte jemals könnten, und Tanz, der deutlicher spricht als Dialoge.

Das Stück lebt von aufregenden Wechseln: Zu den immer präsenten Orgelschlägen – mal laut und eindringlich, mal subtil und beruhigend – gesellt sich ein Spiel mit Licht, das sich bedrohlich über die Tanzebene legt oder helle Akzente setzt, wo Hoffnung aufkommt. Hier von einem harmonischen Zusammenspiel zu sprechen, wäre irreführend. Denn Harmonie erfährt man an diesem Abend nicht. Selbst die freundlichen Momente, in denen die Musik lebendiger und die Bewegungen sanfter werden, dienen lediglich dazu, den Zuschauer noch tiefer ins Düstere zurückzureißen.

Dieses emotionale Handwerk übertrifft bloß noch der dritte Aspekt dieser beeindruckenden Illusion: der Tanz. Wo im Dresdner Totentanz-Relief 27 Personen abgebildeten sind, vom Kaiser bis zum Bauersjungen, geben sich hier nur 5 Tänzer die Ehre. Und diese verblüffen in der einstündigen Darstellung durch eine fast übermenschliche Ausdauer und Vielfalt. Sie treten auf als feine Dame oder schönes Mädchen, als Mönch, als Schwangere, als Krüppel und dann – zugegeben etwas unvermittelt – als Flugbegleiterin und Pumuckl. Auch als Mörder, Sterbende und Tote, Engel und Teufel, abstrakte und unerklärbare Figuren kommen sie wieder. Hier tanzen weit mehr als 27 in den Tod.

Besonders hervorzuheben die zwei tanzenden Engel: Jeder hat einen verlängerten Arm, bespannt mit einem großen weißen Tuch. Die beiden jungen Tänzer wickeln sich in das Totentuch und lassen nur noch ihre Silhouette herausstehen. Dann malen sie mit dem Tuch große Bilder in den Raum, und das Publikum – statt zu erschauern – staunt. Nun verbinden sie sich zu einem Flügelpaar, tanzen zusammen, erzeugen immer größere Bilder – und sterben.

Derevo erschafft meisterhaft Gefühle, die man eher selten im Theater erfährt: Schrecken, Entsetzen und Schauer. Von Beginn an setzt sich eine geladene Anspannung über das Publikum, die nicht abbricht. Über eine Stunde lang wird diese Spannung aufrechterhalten. Die nicht abbrechende Flut an immer neuen Charakteren, Toneindrücken und Bildern raubt Darstellern wie Zuschauern den Atem. Dabei sind die Mittel an vielen Stellen sehr einfach: Als Requisiten reichen ein paar Pappen, Tücher und zum Schluss ein wenig Fallobst und Laub. Die Bewegungen der Tänzer wirken oft monoton und immer wieder gleichförmig. Aber auch hier zeigt sich eine Stärke des Stücks: Die Gruppe hat den Mut Szenen auszuspielen und gerade dieses Monotone passt hier so wunderbar.

Und wenn fünf sich geißelnde Mönche übers Parkett ziehen oder ein brabbelnder, hässlicher Krüppel das Publikum belästigt, dann steigt sogar Ekel in den Gemütern des Publikums auf. Die Orgelmusik wird unruhig und schräg, die Farben wechseln ins Blau und Grün. Auf meiner Stirn setzt sich Schweiß ab, die Menschen um mich legen vor Entsetzen die Hand an den Mund, und alle verharren in einer bemerkenswerter Starrheit: im Inneren unruhig, aufgeregt und auf den großen Knall wartend, nach außen aber festgemeißelt, als wären sie Teil des steinernen Totentanz-Reliefs, das sich als Grafik hinter ihnen aufrichtet.

Die fantastische Darbietung Derevos gelang nicht zuletzt durch den Verzicht auf Worte. Ein Versuch diese beeindruckende Stimmung nun durch Worte wiederzugeben kann nur ein törichter Versuch bleiben.

Totentanz

Tanzperformance der Dresdner Theatergruppe Derevo

Tanz: Elena Yarovaya, Anton Adassinsky, Oleg Shukowsky, Nadja Lanskaya, Nastja Ponomarova, Pavel Alekhin

Musik / Sounds: Daniel Williams

Licht: Igor Fomin

Management: Isolde Matkey

12. August 2011, Schaubühne Lindenfels


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