Wenn Hexen walten

Peter Konwitschny inszeniert Verdis „Macbeth“ in der Leipziger Oper

Fotos: Andreas Birkigt

Eine Tafel auf der jemand eine Strichliste begonnen hat, steht am Rande des geschlossenen Vorhangs. Nach dem durchdringenden kurzen Vorspiel, öffnet sich dieser. Es stürmen und springen aus allen Ecken einer etwas heruntergekommenen Küche Hexen zu einer rhythmisch sehr verdi-typischen Galopp-Musik herein. Die einen berichten, einen Eber abgestochen zu haben, die anderen, sie hätten einen Seemann samt seinem Boot im Meer versenkt. Ihr Tagewerk ist vollbracht: Die Strichliste wird vervollständigt, die Waschmaschine, aus der Mengen an Schaumwolken quellen, wird schnell wieder zugeschlagen. Stattdessen wird sich lieber ein Bier aus dem überdimensionalen Kühlschrank genommen, in dem Etiketten von allerlei Markenprodukten grell aufblitzen.

In der Leipziger Macbeth-Inszenierung von Regisseur Peter Konwitschny erinnert nichts an anheimelnde romantisch-schauerliche Vorstellungen von Hexenküchen mit geschürtem Feuer und der Gegenwart geheimnisvoll dreinblickender Katzen. Die Kostüme (Michaela Mayer-Michnay), samt aufgeklebter Nasen und an Schultern angebrachten kleinen Plüsch-Kätzchen und Raben, erinnern eher an Halloween und billigen Kaufhausramsch unserer Gegenwart. Der magische Hexen-Kessel ist ein altes Symbol für Weisheit und lebensfördernde Kräfte. Doch in Konwitschnys postmodernem Regietheater wird er zum Schnellkochtopf, in dem nur noch die Abfälle – Computer-Mäuse, Waffen und Atombehälter – Wahrzeichen der Hybris unserer Zeit, kleingekocht werden: „Tand, Tand ist das Gebilde aus Menschenhand!“ Der bekannte Vers der auf Shakespeares Macbeth anspielenden Ballade „Die Brück‘ am Tay“ von Fontane könnte einem hier in den Sinn kommen.

In das sehr vergnüglich mit anzusehende und gut aufgelegte Spiel der Hexen, bricht der etwas abgeschlagene Kriegsheld und Heimkehrer Macbeth (Marco di Felice) in seiner grauen Militäruniform zusammen mit seinem Freund Banquo hinein. Die Bühne bricht an dieser Stelle auseinander und gibt den Blick auf eine bläulich finstere Hinterbühne frei, die gänzlich ohne schottischen Felsen und unheimliche Nebelschwaden auskommt. Macbeth erfährt von den dubiosen weissagenden Frauen, dass er erst Than von Cawdor, dann König von Schottland werden soll. Dieser Voraussagung der Hexen wird er unterliegen, zusammen mit seiner machthungrigen Frau Königsmord begehen, um selbst die schottische Krone an sich zu nehmen und sein Land in einen grausamen Krieg stürzen. Bei den Hexen ist die Freude groß, über die gelungene Verblendung Macbeths. In ihm wächst der Ehrgeiz König zu werden. Sektflaschen werden aus dem Kühlschrank geholt.

Macbeth und Banquo – Mitglieder einer dieser Küche weit abgelegenen und entgegengesetzten Welt – verlassen verunsichert und ängstlich den grotesken und operettenhaft anmutenden Schauplatz. Auf der Gegenseite der großen Drehbühne (Jörg Kossdorff) herrscht ein sehr viel ernsterer Ton. Lady Macbeth sitzt allein in ihrem gigantischen, grauen und unterkühlten Loft. Sie schmiedet dunkle Pläne für die Karriere ihres Mannes und der dazu notwenigen Ermordung des gutmütigen und sehr behäbig daherkommenden Königs Duncan – überzeugend gemimt von Bert Franzke. Lady Macbeth – gesungen von Amarilli Nizza – erinnert hier eher an eine daheim wartende blonde Zahnarztgattin als an eine düstere Femme-fatale aus Schottland. In der Tat wird in ihrem Spiel ein roter Zahnarzt-Stuhl eine wichtige Rolle übernehmen. Sie wälzt sich von Macht träumend im Bett, zerknautscht angestrengt über Machtpläne grübelnd eins ihrer teuren Kissen und weiß genau, dass der Weg zur Macht voll von Blut und Verbrechen ist. Nizza singt einen schönen Belcanto, doch gelingt es ihr bei ihrem Beschwören der „Diener der Hölle“ nicht gegen das gewaltige, zeitweilig sehr wagnerhaft anmutende, Gewandhaus-Orchester unter der Leitung von Ulf Schirmer anzukommen. „Wollust der Macht, jedes Verlangen wird durch dich gestillt!“ und „Bald fällt tot zu Boden, wem die Krone verheißen wurde!“, so versucht sie ihren Mann zu beruhigen. Mit einer Krone lockend, führt sie Macbeth auf den roten Zahnarztstuhl, ihren Thron, wobei er ironischer Weise fast ins Stolpern gerät. Neben ihr wirkt Macbeth bis zum Schluss närrisch und würdelos. Er sitzt geblendet von den trügerischen Prophezeiungen der Hexen mit seiner etwas zu großen Krone auf dem in die Höhe gefahrenden Stuhl, von dem er sich nur mit ihrer Hilfe befreien kann. Lady Macbeth arrangiert die beiden Morde am König Duncan und Banquo. Wenn in der Bankett-Szene Macbeth der Geist des ermordeten Banquos erscheint, ist sie es, die die Situation rettet und kurzer Hand auf dem Sarg des Ermordeten genussvoll einen Striptease hinlegt, um die anwesenden Gäste von ihrem verstörten Ehemann abzulenken.

Macbeth – auch eine Oper über einen gefallenen Kriegsherren: „Bist du noch der Held von früher?“, fragt Lady Macbeth, als ihr Mann beginnt Ängste nach dem ersten Mord zu entwickeln. Am Ende muss sie schmerzlich erfahren, dass auch sie ein Gewissen hat. Verzweifelt versucht sie sich ihre vom Blut der Toten befleckten Hände wieder rein zu waschen. Es gelingt ihr nicht. In der Schlafwandelszene streift sich Lady Macbeth rote Handschuhe ab unter denen wieder rot gefärbte Hände zum Vorschein kommen. Mit dieser gelungen Übertragung der blutbeschmierten Hände in einen interessanten Spielvorgang mit roten Handschuhen, vermeidet die Regie pathetisches Händereiben der Lady Macbeth, und andere von Sängern gern abgerufene Erhabenheits-Klischees aus dem Repertoire melodramatischer Theater-Gesten. Am Ende müssen Macbeth und seine Lady, deren Ehrgeiz sich in perverse Machtstrategien gewandelt hat, beide verlöschen.

Bei Verdi wird im Gegensatz zum shakespeareschen Drama am Ende nicht der rechtmäßige König von Schottland im Namen der göttlichen Ordnung eingesetzt, sondern, eingeleitet durch einen profanen Marsch, der vieles von dem ironischen Potenzial in Verdis Musik offenbart, kündigen sich am Ende die neuen Herrscher an. Da verwandelt sich die Bühne wieder in die Hexenküche. Die Hexen sitzen vor einem Radio aus dem der martialischen Triumphmarsch der Sieger über Macbeth ertönt. Sie lachen höhnisch aus der anderen Welt hinüber in die Diesseitige. Sie lachen über die die Menschen, die sich prompt von der neuen Macht haben einschläfern lassen, die automatenhaft ein „Vittoria, Vittoria!“ anstimmen und mittlaufen, in dem Glauben die neue Macht könne der vorigen überlegen sein.

Es ist dieses spöttische Lachen der Hexen, das den Akzent dieser Inszenierung setzt. Mit viel Gespür für Situationen und Personenregie, schafft Konwitschny sehr gelungene, zum Teil komische szenische Vorgänge. Ohne, dass die Sänger unsicher oder gar lächerlich in den Bewegungsabläufen wirken, eröffnet Konwitschny Möglichkeiten für die Sänger lebendig zu interagieren. Diejenigen, die noch mit der Erwartungshaltung einer klassischen Macbeth-Inszenierung in die Oper gehen, enthebt Konwitschny von Macbeth-Klischees wie Ritterburgen und gesteigertem Pathos. Das Schöne daran ist, dass die tragischen und lyrischen Potenziale bestimmter Passagen – zum Beispiel des Chores „Patria soppressa“ oder der Schlafwandelszene – trotz diverser farceartiger Elemente erhalten bleiben. Dabei hält sich die ganze Zeit über ein Befremden darüber, hier eine der bekanntesten Fabeln über unerbittliches Streben nach Macht zu sehen. Signifikant tragische Szenen der Oper finden ihre szenische Umsetzung oft in einfacher Komik erzeugenden Bildern. So ereignet sich der Königsmord hinter einer hochgehaltenen Bettdecke. Auch die Visionen Macbeths sind einfache Schattenspiele auf einem von den Hexen installiertem Bettlacken. Anstatt literweise Blut und einen Haufen an Leichen, in der keine Frage blutrünstigsten aller Verdi-Opern, auf der Bühne zu zeigen, regnet es im Leipziger Macbeth kiloweise rotes Konfetti. Nicht nur die Krone, als Symbol der Macht auch die dazugehörenden Köpfe enthaupteter Gegner werden sich spielerisch zugeworfen.

Die Verkehrung des Tragischen und das Spiel mit ihr, werden zum tragenden Prinzip der Inszenierung. Hinzu kommen die Hexen, die eine Art Zuschauer-Blick innerhalb des Stückes etablieren. Sie mischen sich unter die Bankett-Gäste, kommen wie von Geisterhand hinter einem roten Vorhang hervor und überreichen der Lady einen Kelch. Sie bringen in blauen Arbeitsanzügen den für die Erfüllung der letzten Prophezeiung so wichtigen „Wald von Birnam“ an den Kriegsschauplatz. Die Querelen der Figuren als mechanisches und groteskes Welttheater der Macht werden durch die Hexen und ihr Spiel im Spiel entlarvt. Auf gelungene Art und Weise fließt in diesem Macbeth die Lust am Spiel mit ernsten Themen, tragischen und komischen Effekten, ambivalent ineinander. Das gezeigte Weltbild kommt ohne einen versöhnenden tragischen Tod des Helden aus – hier gibt es keine lange versöhnende Sterbeszene Macbeths – oder den eindeutigen Triumph einer der streitenden Parteien. Der Zuschauer wird mit einem zwielichtigen Happy-End zurückgelassen. Was am Ende herrscht, ist eine Dramaturgie des Zweifelns, die beklemmende Unsicherheit als eine der existenziellen Grundgefühle unserer Zeit.

Macbeth

Giuseppe Verdi

Regie: Peter Konwitschny

Musikalische Leitung: Ulf Schirmer

Mit: Bert Franzke, Marco di Felice, James Moellenhoff, Amarilli Nizza, Giuseppe Varano, Norman Reinhardt, Jean Broekhuizen, Milcho Borovinov, Chor der Oper Leipzig und dem Gewanhausorchester

Premiere: 10. Dezember 2011, Oper Leipzig

Rezension zur selben Inszenierung von Steffen Kühn

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