Das Erwachen der Alice S.

Die Feministin, Herausgeberin und Journalistin Alice Schwarzer ist mit ihrer Autobiographie „Lebenslauf“ auf Lesereise und möchte so einiges gerade rücken

Who the fuck is Alice? Hand aufs Herz: Weiß man es so genau? Über Alice Schwarzer reden, eine (voreilige) Meinung über sie haben, wenn die Feministin in einem ARD-Polittalk auf dem Stuhl sitzt, das geht dagegen recht leicht. Alice Schwarzer hat ihre ersten 35 Lebensjahre in einer Autobiographie aufgezeichnet, die sie schlicht Lebenslauf betitelt hat und welche mit der Herausgabe von EMMA schließt. Während ihrer Lesereise hat sie in Leipzig Station gemacht – ein voller Saal erwartete sie. Es war ein Abend, von dem man zehren kann. Als Frau, als Mann, als Kind, als Kegel. Sie habe lange gezögert, ihr Leben aufzuzeichnen. Nachdem so viele Mythen und Geschichten über sie im Umlauf waren und sind, habe sie sich entschlossen, einiges gerade zu rücken. Recht hat sie.

Über anfängliche technische Schwierigkeiten redet sie resolut-humorvoll hinweg, als dann zu viel über die Übertragungsschwierigkeiten von Mikro zu den Verstärkern gemeckert wird, ist sie schon ungehaltener: „Sie sind ja ein anspruchsvolles Publikum.“ Diesem liest sie vor von ihrer Kindheit und dem Überleben ihrer Familie während der Nazizeit, von ihrem Teenie-Erwachen und ihrer persönlichen Emanzipation von dem drögen, für das weibliche Geschlecht vorgezeichneten Lebensweg. Man kommt nicht umhin zu denken, dass sie sich mit dieser Biographie selbst ein Monument schafft: Schön war sie, selbstbewusst, witzig, intelligent. Zweifel sind nicht ihrs und hätten ihr bei einer Reflexion ihres Lebens auch mal ganz gut zu Gesicht gestanden. Aber hey, sie ist eine selbstbewusste Frau. Und genau das hat sie schon so oft so viel gekostet. Häme von Seiten der Leitmedien zum Beispiel. Böse Bemerkungen aus der Zeit der 70er Jahre, sie erscheine im Interview ungeschminkt und in einem Kartoffelsack, kommentiert sie heute mit dem Verweis, dass dieses Kleid damals in Paris der letzte Renner gewesen sei und man Lippenstift damals sowieso nicht getragen habe. Von Pluster-Lippen à la Brigitte Bardot wollten sie und ihre Freundinnen-Clique aber schon damals nichts wissen. Da legt Frau Schwarzer Wert auf eine klare Grenzziehung. Wenn sie so redet, alleine, über ihr Leben, macht sie dem Publikum bewusst, wie ein Diskurs über sie existiert, der sich losgelöst vom eigentlichen Gegenstand – der Person Alice Schwarzer, ihren Publikationen – nährt.

Da soll sie doch lieber mal selbst erzählen. Ihr Interview mit Sartre, ihr Studium in Paris bei Foucault, das Aufkeimen der Frauenbewegung „Mouvement de Libération des Femmes“ (MLF) in Frankreich. Alice Schwarzer war da und hat mitgemischt. Sie witzelt, dass eine Zeitung eine ihrer Aussagen damit kommentierte, dass die Greisin sich wieder melde. Tot sei sie noch nicht, scheintot auch nicht.

Man muss mit ihr nicht immer einer Meinung sein. Oft macht sie es einem auch wahrlich nicht leicht, wohlwollend gestimmt zu sein, bei so einigen konservativen Meinungen, die sie heute vorbringt. Da wünscht man sich von dieser Agilität demonstrierenden Frau doch etwas mehr beweglichen Geist. Dennoch: Es ist Zeit, mal wieder hinzuhören wenn sie spricht.

Alice Schwarzer: Lebenslauf

Kiepenheuer und Witsch

Köln 2011


512 S. – 22,99 EUR


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