„Der Väter Sünden werden heimgesucht an den Kindern“

Robert Borgmann lässt im Centraltheater Ibsens „Gespenster“ ihr Unwesen treiben

Szene mit Marek Harloff (Fotos: R.Arnold/Centraltheater)

Das Polarlicht leuchtet über der beschaulichen Kulisse. Robert Borgmann setzt seine Akteure in einen gutbürgerlichen Käfig. Ein Wintergarten samt kleinem Ofen, Sofa und Sessel soll die beschauliche und intime Örtlichkeit für den heutigen Abend bilden. Gefangen in diesem Interieur tragen die Akteure ihre Kämpfe mit der Vergangenheit aus, die ihre Gegenwart lähmt.

Borgmann inszeniert Ibsens Gespenster als konzentriertes Kammerspiel auf der Hinterbühne des Centraltheaters. Dabei entledigt er sich der großen Themen wie Inzest oder dem Konventionenstreit, die nur als Nebenschauplätze dienen, und rückt die zwei Kinder des Hauses Alving, Regine und Osvald, ins Zentrum des Stückes.

Mit dem zweiten Akt beginnend ist die Krise des Familiendramas bereits am Anfang erreicht. Hausherrin Helene Alving hat Pastor Manders bereits darüber aufgeklärt, dass ihr Sohn Osvald und das Dienstmädchen Regine aufgrund einer Liebelei ihres verstorbenen Gattens Geschwister sind. Manders, recht verhalten skizziert von Thomas Lawinky, sieht durch deren aufkeimende Liebelei und das fehlende Intervenieren Helenes sein scheinbar tugendhaftes Weltbild zusammenbrechen.

Die von Ibsen angelegte Frömmigkeit des Pastors und Regines wird innerhalb der Inszenierung gar nicht erst zur Debatte gestellt, viel mehr wird sofort ersichtlich, dass beide den Versuchungen gern erliegen. Diese Unmoral wird von Borgmann durch die Gespenstererscheinungen, bei denen mitunter unklar ist, ob sie nun real anwesend oder abwesend sind, ergänzt. Die Wiedergänger der Vorfahren, die in Ihren Kindern fortleben, dienen für Ibsen als Mittel, den Darwinismus auf die Bühne zu bringen. Beide Nachfahren scheinen beherrscht von dem sündigen Naturell ihrer Eltern. Regine, Tochter eines willigen Dienstmädchens und des Hausherren, bietet sich gemäß dem familiären Muster den männlichen Figuren an, wobei dieser Geste auch immer eine Mischung aus Machtbestreben und Geborgenheitssehnsucht innewohnt. Wenn zur Geisterstunde die Szenerie ins Dunkel getaucht wird und allein eine Taschenlampe die Geschehnisse ans Licht bringt, wird die Geschichte der Geister vollkommener, zeigt Regine ihr Unterbeinkleid.

Hagen Oechel, Linda Pöppel, Thomas Lawinky, Janine Kreß

Auch Osvald, überzeugend gebrochen gespielt von Marek Harloff, scheint gebrandmarkt von den Ausschweifungen seines Vaters. Sein Arzt diagnostiziert ihm Wurmstichigkeit. Er soll aufgrund der sexuellen Ausschweifungen seines Vaters unter Gehirnerweichung leiden, eine Folge von Syphiliserkrankungen. Von der Schwermut gezeichnet, kehrt er nach Hause zu seiner Mutter zurück und will seinem Leben ein Ende setzen. Ob sich Osvald durch Borgmanns Neuerung, die eigene Mutter zu begraben, von der Last der Eltern befreien kann oder dennoch den Freitod wählt, bleibt offen.

Der erste Akt, der das Ende des Stücks bildet, und auf den ewigen Zyklus der Verwandtschaft verweist, ist mit einem Perspektivwechsel verbunden. Saß man im ersten Teil des Stückes auf der Hinterbühne nah am Geschehen, so wird der zweite Teil vom Saal aus betrachtet. Schnell werden die Distanz zur Geschichte und der Bruch mit der vorherigen intimen Theatersituation ersichtlich. Wie ein Voyeur betrachtet man das Geschehen durch die Fenster des Wintergartens. Mit wesentlich mehr Mobiliar wird die Vorgeschichte der Protagonisten im Bild vorgeführt und die Erzählung vervollständigt. Damit dies nicht allzu vorhersehbar anmutet, wird das klassische Spiel durch kurze Interventionen durchbrochen.

Zurück bleiben die Gespenster, das Paar aus dem Wintergarten, die das Haus der Alvings und deren Nachkommen heimsuchen. Angehnehm zeitlos mutet die Inszenierung an, die die Beziehung zwischen Vater und Sohn, Mutter und Tochter offenbart und die Ohnmacht, die Eltern mitunter über ihre Kinder bringen, thematisiert.

Gespenster

R: Robert Borgmann

Mit: Marek Harloff, Janine Kreß, Thomas Lawinky, Hagen Oechel, Linda Pöppel

Premiere: 3. März 2012, Centraltheater


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