Nichts anderes als Worte, Worte, Worte über Bücher

Das Politische Quartett von Schaubühne Lindenfels und Friedrich-Ebert-Stiftung – 3. Platz beim 7. Friedrich-Rochlitz-Preis für Kunstkritik 2012

Bild: Friedrich-Ebert-Stiftung

Das Lamentieren über unsere unpolitische und desinteressierte Gesellschaft ist weit verbreitet. Mittlerweile hat sich jedes größere deutsche Feuilleton schon an der Ursachenforschung versucht, worauf der Rückzug ins Private denn wohl gründe. Da wird dann immer auch mal an der Kommunikationskultur der Parteien und Politiker herumgemäkelt; es heißt, Politik könne den modernen Menschen nicht mehr begeistern und zur Teilnahme bewegen. Das Büro Leipzig der Friedrich Ebert Stiftung setzt genau an diesem Kritikpunkt an, wenn es durch ein neues Format politische Bildung spannender und öffentlichkeitswirksamer zu gestalten versucht, was, um es vorweg zu nehmen, gut gelingt. Die Idee besticht durch ihre Einfachheit, auf die man aber auch erst einmal kommen muss: Man nehme ein erprobtes Fernsehformat und lasse vier Menschen statt über Romane über politische Bücher diskutieren. Herausgekommen ist das „Politische Quartett“, eine Veranstaltung, in der neue gesellschaftspolitische Bücher innerhalb einer Diskussionsrunde vorgestellt werden. Zuvor schon in anderen Städten von der Friedrich Ebert Stiftung langjährig veranstaltet, ist dieses Format seit einem Jahr auch in Leipzig angekommen.

Die Diskutant_innen sind nicht ganz so berühmt wie die des Fernsehvorbildes „Das literarische Quartett“, die Sitzgruppe auf dem Podium ist nicht ganz so komfortabel und die Bücher durch die Besprechung in dieser Runde sicher nicht auf dem Weg in die Bestsellerliste, doch das Anliegen bleibt gleich: Menschen auf lockere Art und Weise an – hier eben politische – Literatur heranzuführen. Das Publikum scheint sich angesprochen zu fühlen, denn die Kinositzreihen sind gut gefüllt als das Quartett im Juni zum mittlerweile vierten Mal in der Schaubühne Lindenfels stattfindet. Dort ist es zwar nicht der Rote, sondern der „Grüne Salon“, in den die Friedrich Ebert Stiftung lädt, doch tut das der Redefreudigkeit der Diskutierenden keinen Abbruch. Die Diskussion bleibt auch deshalb die ganze Zeit über so lebendig, weil die angekündigten Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Medien und Kultur ihre ihnen zugedachten Rollen voll erfüllen. Dirk Panter, der sich vom Investmentbanker zum Generalsekretär der SPD Sachsen entwickelt hat, argumentiert stets als politischer Praktiker und vergisst fast nie, sozialdemokratische Grundansichten in seiner Beurteilung der Texte zu platzieren. Die Politikwissenschaftlerin Rebecca Pates provoziert gern mit scharfsinnigen Thesen und behält als Moderatorin der Runde gekonnt den Überblick über Redebeiträge und die Zeit. Vorgestellt werden vier Bücher in zwei Stunden – da müssen so manche Kommentare auf den Punkt gebracht werden, und im Pointieren ist Pates grandios. Die Rolle des politischen Laien nimmt die Leipziger Autorin Kathrin Wildenberger ein. Sie beurteilt die Bücher nicht nur nach Stichhaltigkeit der Argumente, sondern auch nach Lesefluss und Schreibstil. Wenn Wildenberger dargelegt hat, warum ihr ein Buch gut gefallen habe, liefert Rebecca Pates die Analyse, warum der Text politische Relevanz besitzt. Und Dieter Wonka, der Hauptstadtkorrespondent der Leipziger Volkszeitung, lässt das Publikum im Gespräch über politische Inszenierungen auch mal an seinem journalistischen Insiderwissen teilhaben. Angela Merkel, so weiß er zu berichten, möge ganz sicher keinen Fußball, könne es sich aber aus wahltaktischen Gründen einfach nicht leisten, wichtige Spiele der deutschen Nationalmannschaft nicht mit begeisterter Miene zu verfolgen. Dass Diskussionen mit ihren Teilnehmer_innen stehen und fallen, ist eine Binsenweisheit, die sich aber immer wieder bewahrheitet. Die Besetzung des Politischen Quartetts ist geglückt und so stimmig, dass ein kurzweiliger Gedankenaustausch zustande kommt. Dazu trägt auch die Auswahl der diskutierten Bücher bei. Vorgestellt werden Neuerscheinungen, die dem zeitungslesenden Publikum aus Rezensionen bekannt sein dürften und insofern das Meinungsbild bestimmen. Tiefergehende politische oder soziologische Analysen stehen neben eher populistischen Werken wie einem Buch über das wirkliche Leben von Deutschlands Millionären.

Marcel Reich-Ranicki leitete die erste Sendung seines „Literarischen Quartetts“ 1988 mit den Worten ein, man habe nicht anderes zu bieten als Worte, Worte, Worte über Bücher und wenn‘s gutgeht, auch Gedanken – mehr ist in einer solchen Runde nicht zu leisten und muss auch gar nicht sein. Hier wie dort gilt: Wer’s genauer wissen will, muss selber lesen. Als erster Anstoß zum Nachlesen und Nachdenken ist das Politische Quartett auf jeden Fall eine hörenswerte Darbietung. Angestrebt sind drei bis vier Veranstaltungen dieser Art im Jahr. Das Quartett quartalsweise wäre unbedingt eine Bereicherung für die Leipziger Diskussionslandschaft. Gern auch, wie das literarische Vorbild, 13 Jahre lang oder länger.

Das politische Quartett

Diskussionsveranstaltung von Schaubühne Lindenfels und Friedrich-Ebert-Stiftung

Schaubühne Lindenfels

Friedrich-Rochlitz-Preis für Kunstkritik

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