Ein Hauch Foucault liegt in der Luft

Die Kalifornier von „Why?“ gastieren im Centraltheater – und die Köpfe nicken zum Beat

Fotos: Centraltheater

All jene, die das letzte Konzert der kalifornischen Band Why? in Leipzig in Erinnerung hatten, dürfte ein ungutes Gefühl in die Veranstaltung im Centraltheater begleitet haben. Denn der Auftritt im UT Connewitz vor zwei Jahren war nicht nur von einem grottigen Sound und insbesondere von lustlos aufspielenden, unmotivierten Bandmitgliedern geprägt gewesen, sondern gipfelte letztlich in der Beschimpfung des Publikums. Bei vielen dominierte infolge dieser großen Ernüchterung das Bild der auf Platte grandiosen, live jedoch fürchterlich abschätzig agierenden und arroganten Indieband. Die damalige herbe Desillusionierung noch präsent, ging es nun also zur Vorstellung des neuen Albums Mumps etc. in den mondänen Hauptsaal des größten Leipziger Theaters.

Tanzwilliges Indiepublikum fläzt sich unsicher in die großzügigen Sitze und auch der überpünktliche Beginn bindet das Konzert in den gutbürgerlichen Theaterbetrieb ein. Why? als Theaterstück, ein durchaus reizvoller Gedanke, der durch die an der Bar kredenzten Bierplastikbecher und belegten Brötchen eigentümlich konterkariert wird. Die Aura des gewählten Ortes bestimmt dann auch die ersten Eindrücke. Ein Hauch Foucault liegt in der Luft, die zentralperspektivisch ausgerichtete Heterotopie Theater wird ihrem disziplinierenden Charakter sofort überaus gerecht. Für das sitzende Publikum existieren beim Auftritt einer Band, die sich ansonsten in engen verrauchten Indieklubs heimisch fühlt, keine angemessenen Verhaltensmuster. So fügt man sich auch sogleich den hier geltenden Regeln: Konzentriert auf die Bühne schauen, die Hände im Schoß, auf keinen Fall reden. Damit avanciert das Konzert auch zum ergiebigen Experiment, welches die räumlich und architektonisch bedingte soziale Kontrolle idealtypisch vorführt: Wer es wagt, sich mit den Sitznachbarn zu unterhalten, wird sogleich von anderen Konzertbesuchern dafür gerügt.

Dabei gibt es für die interessierte Teilnahme am Bühnengeschehen zunächst angesichts des fürchterlich langweiligen Support-Acts keinerlei Grund. Die Songwriterin Sarah Winters, die später auch als Mitglied des sechsköpfigen Ensembles um Why? auf der Bühne stehen wird, säuselt zunächst solo am Keyboard melancholisch vor sich hin. Ungefähr zehn Jahre zu spät. Denn der Ausdruck authentischen Leids durch befindlichkeitsfixiertes Songwriting ist weder neu noch nachahmenswert. Bei Joanna Newsom besaß das Anbiedern über niedliche Verletztheit zumindest noch gewisse ironische Spitzen und bei Regina Spektor emotionale Tiefe – abgesehen davon, dass Sängerinnen wie Fiona Apple gezeigt haben, dass weiblicher Masochismus einfach nicht nötig ist, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Das halbe Publikum klatscht höflich, schließlich ist man ja im Theater.

Why? lassen sich noch etwas Zeit, dann erklingt zum Hinweis auf das Ende der Pause standesgemäß dreimal der Gong. Gleich beim ersten Song ein erhabenes Gefühl, die Akustik überragend. Angesichts der Wucht und Fülle der für eine HipHop-affine Band angemessenen zwei Schlagzeuge kommt die Frage nach dem Sinn digitaler Verstärker auf. Als Sänger Jonathan Wolf die Bühne betritt, mit seiner unvergleichlichen Stimme den Saal erfüllt, während er auf groteske Weise fast rabenhaft über die Bühne wuselt, ist jedem klar, dass das hier groß wird. Eine ganze Armada an großmutterhaften Wohnzimmerlampen senkt sich langsam von der Decke herab und schafft eine erhabene poetische Atmosphäre, die nur unverbesserliche Zyniker als kitschig oder heimelig bezeichnen können. Dabei liefert die auf dem Label Anticon aus Los Angeles produzierte Band allen Anlass einer Assoziation ihrer Lyrics mit einem gediegenen Literaturclub oder eben – mit dem Theater.

Auch wenn hier angesichts des breiten kalifornischen Akzents und der bildhaften lyrischen Impressionen für unbelesene Zuschauer nur Fetzen zu verstehen sind, ist das wild applaudierende Publikum begeistert – nicht nur von der handwerklichen Perfektion, mit der die Band agiert, sondern vor allem vom bezaubernden Ambiente, das sie zu kreieren in der Lage ist. Eine absurde Beobachtung: Allerseits zum Beat nickende Köpfe sitzender Personen – die allgemeingültige Zustimmungsgeste der Popkultur wirkt im Herz einer ehemalig als Hochkultur bezeichneten Institution bizarr und putzig. Nach einer Weile die Frage, ob es der Band etwas ausmachen würde, wenn sich das Publikum hinstellte. Drei unterschiedliche Antworten: We would love it, Please do whatever you like, I don’t care. Letztere Antwort stammte von Yoni Wolf, der sich dort unten, wo sich die Bühne ja befindet, sichtlich wohl fühlt. Es gibt keine großen Worte, dafür entspricht er zu wenig dem inflationär auftretenden Typus des funny frontman. Sein Metier ist das intellektuell-dadaistische Wortgespiele, mit dem dann auch einige Pausen zwischen den Songs gefüllt werden.

Die Performativität seines Bühnenverhaltens oszilliert zwischen Slapstik und Introvertiertheit, bisweilen wirkt er knuffig, in anderen Momenten umgibt ihn ein queerer Ausdruck. Untermalt wird das Ganze selbstverständlich von jener allumfassenden Ironisierung, die bisher jedes der vier Bandalben prägte. Auch auf dem neuesten Album ist der von Elephant Eyelash, Alopecia und Eskimo Snow bekannte lakonische Gestus und das sarkastische Spiel mit den musikalischen und textlichen Sujets durchaus präsent, doch offenbart gerade die Liveshow, dass die Songs auf Mumps etc. gefälliger klingen. Why? hantieren hier weniger mit den mannigfaltigen Brüchen der Vorgängeralben, einige Male wähnt man sich angesichts der durchgängig harmonischen Melodien im Konzert einer anderen Band. Doch was für alteingesessene Hörer auf dem Album ungewohnt angepasst klingt, funktioniert auf der Bühne hervorragend: Die bedacht ausgewählte Kombination älterer und aktueller Stücke ergibt ein temporäres Gesamtwerk, das seine Brüche nur als Ganzes offenbart. Mit dem vollen Klang des Centraltheaters und dem entzückenden Arrangement auf der Bühne war der erste Schritt getan. In der vorsichtigen Aneignung des Ortes durch das Publikum bestand der zweite, der zu einem wundervollen Abend führte. Why? haben ein Theaterstück aufgeführt, von dem man gerne Teil war. Nur ein paar Stehplätze mehr wären nett gewesen.

Why?

10. November 2012, Centraltheater


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