Stark begonnen, stark nachgelassen

Am Tag der deutschen Einheit luden die 37. Leipziger Jazztage ins Opernhaus, um dort unterschiedlichste Auslegungen des Jazz zu vereinen: A.M.E.O. heizte ordentlich ein, Dieter Ilg und sein Trio spielten lauwarm, mit Bugge Wesseltoft und Co begann es zu frösteln

Andromeda Mega Express Orchestra (A.M.E.O.), Foto: Jazzclub Leipzig

„Sie könnten sich im Prinzip auch hinlegen.“ Die Worte des A.M.E.O.-Leaders Daniel Glatzel hätten eher zur Musik von Bugge Wesseltoft, Henrik Schwarz und Dan Berglund gepasst, jedoch kaum zu dem 18-köpfigen Freak-Orchester aus Berlin. An Klangfarben, Tempi, Rhythmen und ironischen Zitaten reich, gab das Orchester im Big-Band-Sound den optimalen Startschuss der Jazztage im Opernhaus. Die Musiker an Streichern, Bläsern, Harfe, E-Gitarre, Xylophon, Klavier, Synthesizer und Schlagzeug pferchten sich auf der Bühne eng zusammen, auch wenn es an Platz nicht mangelte. Und das ließ sich hören: Auf den Punkt genau beisammen, zu einem Klangkörper verschmolzen, spielten die 18 Individualisten mit Witz, Charme und Charisma klangvolle Werke wie „Sozialbau“ oder „Lava Lovers“, allesamt vom Klarinettisten und Saxophonisten Daniel Glatzel komponiert. Im Auftrag des JazzClubs komponierte er ebenfalls den musikalischen Hauptbeitrag zum Motto der diesjährigen Jazztage „Siggi und der gelbe Hai“ und verwurstelte in „Lakta Makta Ha“ musikalische Motive der Jubilare Richard Wagner (200. Geburtstag) und Frank Zappa (20. Todestag). Klanglich variierte das Orchester zwischen swingigem 1950er Big-Band-Jazz, spaciger 1980er Filmmusik und abgedrehter 2000er Zeitgenössischer Klassik. Im Stile Helge Schneiders moderierte Daniel Glatzel konfus durch den Abend und pries mit einer skurrilen Geschichte über den im Cocon eingewickelten Weihnachtsmann, der von Möwen gepiesackt wird, die neue CD des Orchesters als Weihnachtsgeschenk an.

Die einzige nicht-parodistische Auseinandersetzung der Jazztage mit Richard Wagner bot das Dieter Ilg Trio. Der Kontrabassist setzte sich intensiv mit Wagners Spätwerk Parsifal auseinander und pickte nicht motivisch gemeinte Melodielinien heraus, die ihn faszinierten. Diese Nicht-Motive aus dem Parsifal spielte er als Ostinato und improvisierte darüber gemeinsam mit dem Pianisten Rainer Böhm, begleitet vom Schlagzeuger Patrice Heral. Groß besetzte Wagner-Symphonik im Trio-Format erlaubt ein genaues Hinhören und Fokussieren auf Details, die sonst untergehen, lässt aber aufgrund der kleinen Besetzung nicht die sphärische Mystik entstehen, die dem wagnerschen Parsifal innewohnt. Leider spielt Patrice Heral etwas zu dominant, so dass Dieter Ilgs singender Bass hintergründig bleibt und wenig Raum für eine gemeinsame musikalische Entwicklung bleibt.

Den hohen Erwartungen nicht gerecht wurden die Hauptacts des Abends Bugge Wesseltoft, Henrik Schwarz und Dan Berglund. Die Mischung versprach viel Potenzial: Der norwegische Pianist Bugge Wesseltoft, bekannt als Pionier der Verknüpfung von Elektronika und Jazz, und der Drum´n´Bass, Techno und House-Produzent Henrik Schwarz arbeiten seit 2011 erfolgreich zusammen und entwarfen unter anderem Remixe für Camille, Boy George und Ane Brun. In der Oper Leipzig ließen sie sich vom schwedischen e.s.t.-Kontrabassisten Dan Berglund unterstützen, bekannt für seinen mystischen, klagenden und verzerrten Ton. Die Mischung versprach hypnotisierenden Elektro-Jazz vom Feinsten, doch an der Umsetzung haperte es: Die immerzu geraden Rhythmen der Live-Elektronik wollten sich einfach nicht an Wesseltofts und Berglunds musikalische Ideen anpassen, der Elektronik fehlte es an Spontaneität, auch wenn Schwarz dank Live-Programming direkt auf die Impulse seiner Mitmusiker reagieren konnte. Oftmals wirkte es leider, als ob Wesseltoft und Berglund beisammen spielten, Schwarz jedoch seine eigenen rhythmischen Ideen durchzog. Gute Idee, schlechte Umsetzung.

Leipziger Jazztage

Andromeda Mega Express Orchestra

(Post-ironischer Weltraum-Jazz im Sternbild des gelben Hai)

Dieter Ilg Trio »Parsifal«

(Ganz leicht und feinsinnig holt Dieter Ilg Wagners letztes Werk ins heute)

Bugge Wesseltoft & Henrik Schwarz feat. Dan Berglund

(Hypnose durch Tastenspiel und vertrauten Saitensprüngen – Jazz in Trance)

3. Oktober 2013, Opernhaus

Leipziger Jazztage

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