Ein Monolog gegen das Grauen des Krieges

An den Cammerspielen Leipzig mahnt die Adaption von Ernst Jüngers „In Stahlgewittern“ eindrucksvoll vor der Selbstzufriedenheit in Friedenszeiten

Bild: Cammerspiele Leipzig

Das Jahr neigt sich dem Ende entgegen und das Gedenken an den Ausbruch des Ersten Weltkrieges vor einhundert Jahren dominierte in Deutschland wie auch in den europäischen Nachbarländern den kulturellen Jahresablauf. Allerlei Ausstellungen, Dokumentationen, Bucherscheinungen und das Theater setzen sich mit den oft als Weltenbrand bezeichneten Ereignissen auseinander.

So widmen sich auch die Cammerspiele Leipzig dem sperrigen Thema der Erinnerung an den Großen Krieg aus der Sicht eines Teilnehmers. In Stahlgewittern, eine Adaption nach Ernst Jüngers bekannten Tagebuchaufzeichnungen, erfreut sich an diesem Abend vonseiten des Publikums regen Zuspruchs und der kleine Raum auf dem Kulturfabrikgelände ist bis auf den letzten Platz gefüllt.

Auf der ganz ins Dunkel gehüllten kleinen Bühne beginnt der Prolog des Krieges. Videoprojektionen zeigen in schemenhaften Bildern die anfängliche Kriegsbegeisterung der Bevölkerung, welche ihre Soldaten mit Jubelgesang, Blumen und großen Paraden in die Schlacht verabschiedet. Der Ich-Erzähler erscheint auf der Bühne und nur er allein wird von nun an das Publikum durch den Abend begleiten. Tom Lux lässt das Publikum an der Erfahrung des In-den-Krieg-Ziehens teilhaben, sein verkörperter Protagonist erweist sich als namenlos und doch weiß man um Ernst Jüngers Schilderungen, die wie kaum ein anderes Buch – einmal abgesehen von Remarques bis heute nachwirkendes Im Westen nichts Neues – die Grauen des Krieges fassbar machen. Noch gehen alle Beteiligten von einer kurzen Schlacht aus, die den Alltag kaum beeinträchtigen wird und die Soldaten schnell nach Hause zurückkehren lässt. Doch im Hintergrund sprechen die Bilder eine andere Sprache: Bald schon ist der ständige Granatbeschuss des Gegners, das Eingraben tief in die Erde und die ständigen Offensiven auf die Stellungen des Feindes der zermürbende Begleiter des Kriegsalltages. Der Protagonist beschreibt dies in ruhigen Worten, nahezu teilnahmslos und doch entsetzt über die ersten Kriegstoten. Diese Form der Inszenierung findet man selten im modernen Theater: Es erweckt den Eindruck des Lesens dieser Tagebuchaufzeichnungen, als würden vor dem geistigen Auge die gelesenen Passagen als Bilder erst entstehen und so wird jeder Zuschauer in diesem Raum die Aufführung sicher ein wenig anders aufgenommen haben als der Sitznachbar.

Schauen wir auf den zweiten Teil der Inszenierung: Die Somme-Schlacht ist das beherrschende Thema. Der Krieg dauert nun schon zwei Jahre und die Kriegsparteien haben sich fest gegraben. Es sind kaum Bodengewinne möglich und wenn doch, dann nur unter schweren Verlusten. Man begleitet den Soldaten durch die engen Gänge des Schützengrabens, er erzählt von seinem Alltag darin: Ausbesserungen der Gräben, Versorgung der Verwundeten, Aufmunterung der resignierten Kameraden und endlose Tage in Dunkelheit und Abgeschiedenheit, obwohl der Feind teils nur wenige Meter entfernt liegt. Diese Inszenierung ist der einzige Hinweis auf die heutige Medienlandschaft. Eine Kamerafrau folgt ihm durch die dunklen Gänge, währenddessen der Soldat seine Erfahrungen schildert. Zwar gibt es aus der Zeit des Ersten Weltkrieges viele Fotos und auch Filmaufnahmen, doch in den meisten Fällen waren diese für die eigene Propagandamaschinerie bestimmt und zeigten glorreiche Schlachten, weniger den Alltag der einfachen Soldaten.

Dann die wohl eindringlichste Passage der ganzen Aufführung: Ein Gasangriff beginnt. Das Donnern der Geschütze, die den Abend über aus dem Hintergrund zu hören sind, das diffuse Licht der aufsteigenden und einschlagenden Granaten, das Getümmel der Schlacht lässt die Soldaten den Angriff zunächst nicht bemerken. „Gas, Gas, Gasangriff“, ertönt es aus dem Mund des Soldaten. Er schafft es gerade noch die Gasmaske überzuziehen. Die Schlacht setzt sich fort. Jetzt nagen die Zweifel. Mit der Nutzung neuer Techniken und vor allem des Giftgases scheint der Krieg außer Kontrolle zu geraten. Auch bleiben die Kampfhandlungen nicht mehr auf die Schlachtfelder begrenzt, mehr und mehr geraten die umliegenden Städte bzw. Dörfer und deren Bewohner in diese hinein. Aus dem Stellungskrieg wird die Mechanisierung des Krieges, eindrücklich gezeigt durch den Ersatz der Pickelhaube durch den Stahlhelm. Der Protagonist wird zu einem Todesengel in Uniform und Gasmaske, rotgolden angeleuchtet durch die Granatwerfer und in Nebel gehüllt durch die umherziehenden Gasschwaden.

Die letzte Etappe des Krieges zeigt das Aufbäumen der durch die Niederlage bedrohten Soldaten. Die Realität ist von einer Traumwelt kaum noch zu unterscheiden. Die Dunkelheit ist der ständige Begleiter mit ihrem Janusgesicht aus Schutz und Furcht vor dem Feind. Die Begegnung mit einem schwerverwundeten gegnerischen Soldaten, den die Zuschauer in der ersten Reihe verkörpern ohne tatsächlich aktiv zu sein, reißt den Protagonisten aus seiner Lethargie. Das hochgehaltene Familienfoto wird zum Sinnbild der zerstörten Leben der Soldaten, die nicht kapitulieren sollen, sondern Kämpfen bis zum Äußersten. Die eigene Verwundung scheint unwirklich. Wie geht es weiter? Geht es zurück an die Front oder nach Hause? Ein letztes Aufbegehren gegen die unweigerliche Niederlage, trotzig die eigenen Handlungen verteidigend und dann nur noch Stille…

Mit der Stille endet die Performance und doch ist die Stille lang anhaltend. Das Publikum ist sich des Endes nicht ganz bewusst und auch nicht der Frage: Soll man applaudieren? Der Applaus brandet auf, doch zaghaft und wenig enthusiastisch. Das liegt nicht an der Inszenierung. Gebrochen wird die Aufführung nur durch die Enge des Raumes und die schlechte Sicht auf die kleine, niedriger liegende Bühne. Der Zuschauer kann nicht alle Details erfassen, vielleicht soll er das auch gar nicht. Der fast zweistündige Monolog über den Großen Krieg, in den nahezu alle Länder Europas und auch Amerika involviert waren und der auf Jahrzehnte diese untereinander verfeindete, zeigt eindrücklich die Folgen des Krieges. Er lässt das Publikum zurück mit der Frage: Kann das hier und jetzt wieder passieren?

In Stahlgewittern

Regie / Dramaturgie: Cajetan Scheliga

Musik: Christopher Khamis

Mit: Tom Lux

Cammerspiele Leipzig; Premiere: 21. November 2014

www.cammerspiele.de

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