Wallraffs Sakko und Diekmanns Mailbox

Das Zeitgeschichtliche Forum zeigt in seiner Wechselausstellung „Unter Druck! Medien und Politik“ mancherlei Ikonen der Pressegeschichte

Wieslaw Smetek zeichnete das Titelbild der Zeitschrift „Cicero“ im Februar 2012 noch vor dem Rücktritt des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff. (Foto: ZFL)

Über das ganze Gesicht strahlend steht Freiherr Karl Theodor zu Guttenberg mit weit ausgestreckten Armen mitten auf dem hell erleuchteten Times Square in New York. Das berühmte Foto markierte den Auftakt der USA-Reise des damaligen Wirtschaftsministers. Man schrieb das Jahr 2010, und seine Mission war die Rettung des angeschlagenen Autobauers Opel. Finanzkräftige Sponsoren sollten im Big Apple für die traditionsreiche Automarke gefunden werden − mit mäßigen Erfolg, wie sich später herausstellte. Doch damals schien für den Popstar der deutschen Politik nichts unmöglich zu sein. Hofiert von den Medien, verging kein Tag, an dem „der coole Baron“ oder seine Frau nicht in Zeitung und Fernsehen präsent waren. Beide Seiten – sowohl der Politiker als auch die Medien − profitierten von dieser Inszenierung, wie sie die Republik bis dahin noch nicht gesehen hatte. Doch als der Ruf des damaligen Verteidigungsministers knapp ein Jahr später wegen der sich anbahnenden Plagiatsaffäre Schaden zu nehmen begann, entwickelte dieses Zusammenspiel immer mehr eine Eigendynamik.

Im Zeitgeschichtlichen Forum, in dessen aktueller Wechselausstellung „Unter Druck! Medien und Politik“ das brühmte Foto von Guttenberg auf dem Times Square zu sehen ist, hängt nur wenige Meter davon entfernt in einer Vitrine ein auf dem ersten Blick unscheinbarer Druck. In seiner Anordnung erinnert er an einen Defragmentierungsbericht eines Computers. Zu sehen sind ein paar dicke schwarze und viele rote Balken. Es ist die von der Internetplattform „GuttenPlag Wiki“ veröffentlichte Übersicht über die Passagen der Doktorarbeit des Ministers, auf denen Plagiate gefunden wurden. „Verfassung und Verfassungsvertrag − Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EU“ heißt die über 400 Seiten lange Dissertation. Auf 270 Seiten haben die User der Plattform Plagiate gefunden − das Entspricht einem Anteil von 68,7 Prozent der Doktorarbeit. Am 1. März 2011 trat der damalige Verteidigungsminister schließlich aufgrund des öffentlichen Drucks von allen politischen Ämtern zurück. Ein solcher Fall eines der populärsten Politiker Deutschlands war zu diesem Zeitpunkt einzigartig – zwei Jahre später wiederholte sich Ähnliches in der Affäre um Bundespräsident Christian Wulff.

Der Fall Guttenberg wirft viele Fragen auf, denen sich die Ausstellung widmet: Wie weit darf die Medialisierung der Demokratie gehen? In welchen Ausmaß werden bestimmte Persönlichkeiten von den Medien hofiert? Und welche Rolle spielen dabei Internetplattformen in unserer medialen Gesellschaft?

Ikonen der Zeitgeschichte

Die Ausstellung präsentiert einige Ikonen der deutschen Mediengeschichte, darunter das Sakko des bekannten Enthüllungsjournalisten Günter Wallraff. Eigentlich gehörte es Hans Esser. Unter diesem Pseudonym arbeitete Wallraff 1977 dreieinhalb Monate lang verdeckt als Redakteur bei der Bild-Zeitung in Hannover, wobei er schwere journalistische Versäumnisse des Blatts aufdeckte und deutsche Pressegeschichte schrieb, indem er dem investigativen Journalismus, vor allem der verdeckten Recherche, in Deutschland zum Durchbruch verhalf.

Der Stern-Titel löste 1971 eine öffentliche Diskussion über die Themen Abtreibung und Selbstbestimmung der Frauen aus.

Ganz in der Nähe thront auf einem Sockel hinter Plexiglas das frühere Handy des Bild– Chefredakteurs Kai Diekmann. Es ist das berühmte Handy mitsamt der Mailbox, die den Anfang vom Ende der Ära des Bundespräsidenten Christian Wulff einleitete. Das Handy der Marke Blackberry sieht aufgebrochen und ziemlich ramponiert aus. Eine kleine, unscheinbare Tafel erzählt die Geschichte, dass es seinem Besitzer während des Urlaubs aus der Hand glitt und im Swimmingpool eines Hotels landete. Ein Computertechniker hebelte es auf und rettete so die Speicherkarte mitsamt der Nachricht des ehemaligen Bundespräsidenten.

Anschaulich gestaltet

Besonders anschaulich wird die Ausstellung im Bereich der Medienkampagnen, die mithilfe von Titelseiten der bedeutendsten Zeitungen nachskizziert werden. Ein gutes Beispiel dafür ist der damalige Sozialhilfeempfänger „Florida- Rolf“, der scheinbar selbstzufrieden von der Titelseite der Bild-Zeitung mit der Schlagzeile „Er lacht uns alle aus!“ auf den Besucher hinunterblickt. Das Medium hatte ihm im Sommerloch des Jahres 2003 als Paradebeispiel des Sozialschmarotzers erkoren. Über mehrere Instanzen hatte er bei Gericht eingeklagt, dass ihm seine Sozialhilfe sowie die Miete für seine Wohnung mit Strandblick in Miami plus die Kosten für Arztbesuche und für seine Putzfrau in die Vereinigten Staaten überwiesen wurden. Obwohl es lediglich 1055 Deutsche waren, die sich ihre Sozialhilfe ins Ausland überweisen ließen, wurde der mediale und öffentliche Druck so groß, dass sich die Politik zum Handeln gezwungen sah. Bereits kurze Zeit später brachte die damalige Sozialministerin Ulla Schmidt eine Gesetzesänderung in den Bundestag ein, wonach strengere Auflagen bei der Gewährung der Sozialhilfe für im Ausland lebende Deutsche erteilt wurden.

Hundefutter als Einnahmequelle

Was haben drei Dosen Hundefutter, eine Packung Espresso und eine Flasche Rotwein mit der Deutschen Medienlandschaft zu tun? Hierbei handelt es sich um die Nebeneinkünfte großer Verlagshäuser mitsamt ihrem Versuch, die angeschlagene Branche auch über andere Wirtschaftsfelder zu finanzieren. Zu guter Letzt ist der Besucher mitten in der Krise des Pressemarktes angekommen. Auf der gegenüberliegenden Wand prangt ein großes Transparent, mit dem die Redakteure der später eingestellten Financial Times Deutschland für den Erhalt ihrer Zeitung kämpften. „Unabhängiger Journalismus kostet Geld! Aber wer zahlt?“, ist darauf zu lesen. Noch heute, zweieinhalb Jahre nach der Abwicklung der FTD hat die Frage nichts an ihrer Aktualität verloren. Bedrängt durch eine scheinbar übermächtige Konkurrenz im Internet sowie durch ein von den Verlagen aufgedrücktes Korsett aus Zusammenlegungen, Stellenstreichungen und der vermehrten Verwendung von Agenturmeldungen scheinen viele Zeitungen in einem Teufelskreis gefangen zu sein.

Die Ausstellung sucht keine Antworten. Sie belehrt auch nicht, sondern lässt jedem Besucher seine eigene Meinung. Sie erinnert lediglich einige denkwürdige Momente der deutschen Mediengeschichte, wobei die Aufmerksamkeit nicht nur auf die großen Skandale gerichtet wird. Zu entdecken gibt es auch viele interessante Geschichten abseits der großen Schlagzeilen.

„Unter Druck! Medien und Politik“

Die Ausstellung kann noch bis zum 9. August im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig besichtigt werden. Begleitende Führungen werden immer am ersten Dienstag im Monat (7. April, 5. Mai und 2. Juni) jeweils um 18 Uhr angeboten. Der Eintritt und die Führungen sind kostenlos. Das gleichnamige Begleitbuch zur Ausstellung wird herausgegeben von der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, ist erschienen im Kerber-Verlag, hat 208 Seiten und kostet 29,95 Euro.


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