Aufmüpfige Verspieltheit

John Maclean dreht mit „Slow West“ gegen das Westerngenre an

Der Gesetzlose Silas (Michael Fassbender, links) und der Aristokrat Jay (Kodi Smit-McPhee) ziehen slow gen Westen. (Foto: Verleih)

Sich in der heutigen Zeit noch an Filmen zu versuchen, die getragen werden von der Erzählung seiner eigenen ProtagonistInnen, erscheint auf den ersten Blick veraltet. Im Fall von Slow West reiht sich dies in eine lange Reihe von Anachronismen ein. Slow West ist selbst auf den ersten Blick ein bekannter Inhalt in alter Form: ein Western, ein Roadmovie mit Pferden, Schießeisen, lakonischen Antihelden und langen Unterhosen. Nun vermag es jedoch die Variation einer bekannten Weise Slow West zu einer aufmüpfigen Verspieltheit und zu unerwarteten Wandlungen im altbekannten Spiel zu verhelfen.

Es trägt sich also zu, – und das erzählt uns Silas (Michael Fassbender), der Gesetzlose – dass der junge Schotte Jay (Kodi Smit-McPhee), getrieben von Liebe und Schuld, in die westlichen Territorien der Vereinigten Staaten von Amerika reist. Er tritt seine Reise zu Zeiten an, da die USA sich noch nicht zu den Vereinigten Staaten emanzipiert haben, sondern als britische Kolonien verstärkt an der Vernichtung der amerikanischen UreinwohnerInnen arbeiteten. Der sich in dieser Zeit vollziehende Genozid an den Native Americans passiert auch in Slow West: Durch die ungläubigen Augen Jays hindurch, durch die Waffe Silas‘, die sich auf einen der Offiziere richtet, die sich dem Niedermetzeln verschrieben haben, zieht sich ein Blick auf die gezielte Vernichtung einer ganzen Kultur. Dies zu bebildern, ist selten im Western Genre. In den meisten Fällen findet sich in derlei Filmen nur eine glorifizierte Weite, getragen von den Illusionen grenzenloser Freiheit, Zukunft und Fortschritt. (Und vielleicht noch etwas Gewalt zwischen zwei langsam auf einander zu laufenden Westernhelden, die kaum den Mund aufbekommen. Einer davon Clint Eastwood.) Gerade gegen diese illusionären Genrekonventionen dreht der Regisseur John Maclean liebevoll an.

In der Handlungsstruktur eines Roadmovies steht das Ziel immer schon fest: Hier ist es die Wiedervereinigung von Jay und seiner Angebeteten Rose, die gemeinsam mit ihrem Vater wegen Mordes und dank eines hohen Kopfgelds auf der Flucht ist. Nicht das Ziel schreibt jedoch die Geschichte, sondern der Weg selbst. Hinter jeder Wegabzweigung (und das ist rein metaphorisch gemeint, denn davon gibt es eigentlich keine – immerhin sind wir hier im Wilden Westen, es geht nur in eine Richtung: nach Westen) lauern unerzählte Geschichten: die der Kinder, die nach dem Mord der Eltern auf eine Zukunft warten. Die Geschichte der Gesetzlosen, mit Gesichtern, die voll sind vom Leben und, potenziert in ihren Andeutungen, selbst Teil einer Erzählung sind. Jeder und Jede für sich wäre einen eigenen Film wert. Mitunter wirkt es, als würde der Regisseur sich ihnen später noch zuwenden; so als hätte er die Geschichte von Jay und Silas nur zufällig herausgegriffen. Potenzierte Möglichkeiten sind immer ein guter Qualitätsmesser für Geschichten. Der Weg findet letztlich sein Ende an einem Haus in der Mitte des Westens, auf freiem Feld als Treffpunkt all jener, die die Vergesellschaftung, die Zivilisation noch außen vor gelassen hat: die Gesetzlosen, die Flüchtigen, die Hoffenden. Bereit für den großen Show Down und die großen Fragen: Gibt es mehr als reines Überleben? Kann man in der Neuen Welt mit all ihren Gefahren, Unwegsamkeiten und Gewalttaten tatsächlich leben?

Silas, der Gesetzlose, wird diese Fragen am Ende für sich und alle beantworten. Er ist eine Figur im Vergehen, die Zeiten der glorreichen Gesetzlosen endet auch im Wilden Westen. Rose, die große Liebe von Jay, fasst es mit den Worten „Irgendwann erreicht uns die Zivilisation“. In dem Moment, da die Zivilisation – in diesem Fall eine Horde Gesetzlose und die vergangene Liebe aus Schottland – mit größter Wucht im Leben von Rose einschlägt, bleibt zum Schluss allein die Aufzählung der Toten, die der Film am Ende forderte – Bild für Bild, Leben für Leben hintereinander geschnitten. Slow West geht über in die Erzählung des „…und so geht es weiter, es hat sich gelohnt” hinaus. Doch ist es die letzte Einstellung, die, allen unwegsamen und unerwarteten Wendungen in der Geschichte zum Trotz, alles wieder in eine moralische Auflösung jener Kultur einbettet, die der junge Aristokrat Jay in den Wilden Westen und an den Gesetzlosen Silas heranträgt: Es gibt ein Leben jenseits des bloßen Überlebens. Und das nennt sich dann Zivilisation. Für die letzte Szene hätte man sich also durchaus etwas von den erbarmungslosen Großvätern des Westerns abschauen können: Nicht jedes Märchen braucht ein “Und so lebten sie glücklich bis in alle Tage…”, um ein Ende zu finden, das der eigenen Geschichte angemessen ist. Manche Geschichte und Leben verbleiben unversöhnt mit dem, was ist. Gerade im Wilden Westen.

Slow West

Großbritannien/Neuseeland, 84 Minuten

Regie: John Maclean; Darsteller: Michael Fassbender, Rory McCann, Kodi Smit-McPhee, Ben Mendelsohn

Kinostart: 30. Juli 2015


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