Moderner Western

In seinen Stories lässt Callan Wink eine legendäre Landschaft wieder auferstehen

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„Ein Western?“, fragt ein Freund mich irritiert, als er Callan Winks Der letzte beste Ort auf meinem Schreibtisch liegen sieht. Ich bin innerlich ein bisschen enttäuscht. Ein Western? Ich hatte mir eine Sammlung zeitgenössischer amerikanischer Kurzgeschichten vorgestellt. Unfreiwillig unterziehe ich jede Geschichte der Western-Prüfung. Ergebnis positiv. Es sind Geschichten, die in vielerlei Hinsicht an den Western anknüpfen, aber was für großartige! Sie alle spielen in Montana, dort, wo die US-Army unter General Custer eine bedeutende Niederlage gegen die Indianer unter der Führung von Sitting Bull und Crazy Horse einstecken mussten, wie ich lerne. Heute scheint dort ein besonderer Typus Mensch zu leben. Männer wie Unkraut: widerständig, widerborstig und gleichzeitig – aber erst auf den zweiten Blick – zart. Die unauffälligen Teile eines sozialen Ökosystems. Eigentlich sind sie alle Weicheier, aber sie beißen sich durch. Da ist zum Beispiel Perry, der bei der jährlichen Inszenierung der Schlacht am Litte Bighorn River den General Custer spielt. Des nachts schläft er mit seiner Indianerfrau Kat. Sie begegnen sich als General und Squaw, in Kavallerieuniform und Federschmuck, bevor sie nach drei Tagen in ihre modernen Leben mit eifersüchtigem Ehemann und krebskranker Ehefrau zurückkehren.

Immer wieder blinzelt der eine fatale historische Moment, die verlorene Schlacht gegen die Indianer, hinter dem modernen Montana hervor. Etwa dann, wenn Wink von einer seiner Figuren zu sagen weiß, sie habe der Gerechtigkeit halber bei der Hochzeit den Namen seiner indianischen Frau angenommen, sodass er nun mit Doppelnamen Stabs-on-Top-Gunderson heiße. Denn „es wäre unfair und völlig chauvinistisch, wenn ich erwarten würde, dass sie meinen Namen annimmt“. In solchen Gesprächsfetzen läuft Wink zur Höchstform auf. Das Alltägliche und das Ungewöhnliche greifen ineinander und sind schlussendlich kaum mehr zu trennen. Winks Figuren sind minutiös eingepasst in die Landschaft Montanas, in ihre minimalistischen sozialen Netzwerke aus Menschen und Tieren. Jedes Details ist wohlüberlegt.

Obwohl alle Geschichten des Bandes die Landschaft Montanas und die Verwurzelung und gleichzeitige Entwurzelung ihrer Bewohner umkreisen, ist jede einzigartig. Es sind moderne Cowboys, die einsam in den Sonnenuntergang reiten, aber die Schlachten, die sie schlagen, sind andere als die ihrer legendären Vorfahren.

Callan Wink: Der letzte beste Ort. Stories

Suhrkamp

Berlin 2016

281 Seiten, 22 Euro


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