DOK Leipzig: „And Arnaud / Denisa, Story of a Friend” thematisieren die Beziehung zwischen Filmemacher und Objekt
Einen Menschen, den man gut kennt, zum Gegenstand der eigenen filmischen Arbeit machen, ohne dabei eine Hierarchie zu erzeugen oder auszuspielen, wie sie es zwischen der KünstlerIn und ihrem Objekt notgedrungen geben muss – kann das gehen, und wenn ja, wie? Diese Frage stellen die Dokumentarfilme And Arnaud und Denisa, Story of a Friend wenn nicht unbedingt alleine, so doch zusammengedacht und -gesehen. Beide proträtieren nicht nur den RegisseurInnen nahestehende Menschen, sondern auch deren spezifische Problematik, oder zumindest das, was die FilmemacherInnen für diese Problematik halten.
Mária Brnušáková hat einen Film über ihre Freundin Denisa gedreht. Die Geschichte der Freundschaft selbst, die Beziehung zwischen den beiden, wird nicht thematisiert; das Thema des Filmes ist Denisas Sehnsucht nach Liebe und ihr Umgang mit dem, was ihr an realen Liebesmöglichkeiten begegnet. Gleich zu Anfang lässt Brnušáková es ihre Protagonistin programmatisch formulieren: „Ich will Liebe. Kein Geld, keine Kohle, keine Scheine … Nur Liebe, das ist alles.“ Das ist an sich kein ungewöhnlicher Wunsch – die meisten Menschen wünschen sich Liebe und wünschen sie sich, auf lange Sicht, meist schmerzlicher als materielle Güter. Die Regisseurin scheint das, aus erst einmal nicht nachvollziehbaren Gründen, anders zu sehen. Sie fragt Denisa, ob es sein könne, dass sie sich mehr Liebe wünsche, als ein Mensch zu geben in der Lage wäre; und auch Denisa pathologisiert ihre Sehnsucht insofern, als dass sie sie mit einem Mangel aus der Kindheit zu erklären versucht: ihr habe die Liebe ihrer Mutter gefehlt, und nun versuche sie, über die Liebe zu Männern zu bekommen, was sie vermisst habe.
Der Film, der außer der rahmenden Anfangs- und Endszenen, die in der Gegenwart spielen, in Schwarzweiß gehalten ist, spielt sich vor allem in Denisas Wohnung, beziehungsweise Wohnungen ab: gedreht über einen Zeitraum von 10 Jahren sehen wir zu Beginn die Protagonistin als Anfang 20-Jährige fröhlich durch die Küche tollen, Essen kochen für ihren Mann, der zwar wie Paddy Keller aussieht (Denisas ausdrücklicher Wunsch: einen Mann zu heiraten, der aussieht, wie Paddy Kelly), ansonsten aber keine Starqualitäten zu haben scheint, sondern einfach nur im Nebenzimmer schweigend vorm Fernseher essen und von Denisa und ihrer Kamera in Ruhe gelassen werden will. Ja, richtig: Denisas Kamera. Denn bei diesen Aufnahmen 2007 filmen sich die Regisseurin und ihre Freundin noch gegenseitig, wie im Publikumsgespräch nach dem Screening erzählt wird. Es ist schade, dass dieser Aspekt aus dem Film selbst ausgespart wurde. Er hätte die Arbeit in eine andere, widersprüchlichere und damit vielleicht interessantere Richtung lenken können.
So, wie die Regisseurin entschieden hat, den Film zu erzählen, scheint er eher eine Distanzierung zu befördern als eine Einfühlung in Denisa (die sich nach genau dieser Einfühlung sehnt?). Das liegt unter anderem daran, dass Brnušáková den Film in Kapitel unterteilt, die nach den Männern benannt sind, mit denen Denisa über den Zeitraum des Drehs zusammen gewesen ist: Jír̆i, der Paddy-Kelly-Typ, mit dem sie ein Kind bekommt, Ondrej, nach Denisas Idealvorstellung Polizist, und zuletzt Jakub, der ebenfalls Polizist ist (und an einer Stelle verkündet, er würde seinem Sohn natürlich schießen beibringen, das sei wenigstens was Sinnvolles, wegen all der Araber hier). Drei Männer in 10 Jahren, das ist je nach Perspektive viel oder wenig, und auch die Tatsache, dass Denisa von ihrem Traummann so klare Vorstellungen hat, könnte man so oder so erzählen: Mag sein, dass sie eine Träumerin ist, die die Erfüllung ihres Glückes nach außen, in die Hände von ausgerechnet Polizisten legt. Mag aber auch sein, dass sie eben weiß, was sie sich wünscht und sich nicht scheut, das laut auszusprechen. Das, was die traditionelle Kleinfamilie nicht nur an Verheißung, sondern eben auch an Enttäuschung zu bieten hat, fasst sie an einer Stelle sinngemäß so zusammen: Du stehst jeden Tag auf, kümmerst dich um das Kind, das machst du auch gerne, und dann kommt dein Mann nach Hause, und irgendwann hat man sich nichts mehr zu sagen und die Ehe wird immer schlechter. Das Modell an sich – Kleinfamilie, traditionelle geschlechtliche Rollenverteilung – stellt Denisa nicht infrage, sucht nur einfach weiter nach einem Mann, mit dem es ihr langfristig gut gehen könnte.
Das eigentlich Tragische an Denisas Geschichte entpuppt sich erst nach und nach: ihr Verhältnis oder eher Nicht-Verhältnis zu ihrem Sohnes, und damit die Wiederholung der Geschichte, die sie selbst befürchtet, mehrfach anspricht; die Unmöglichkeit, die Liebe, die sie sich selbst so gewünscht hätte, dem eigenen Kind zu geben; vielleicht auch: die Unmöglichkeit, die Sehnsucht nach Liebe etwas besser auszubalancieren zwischen dem dringlichen Geliebtwerdenwollen und dem ebenso notwendigen Liebenkönnen. Denisa hat ihren Sohn seit der Trennung von ihrem ersten Mann nicht mehr gesehen, ihr ist der Kontakt untersagt, nur über ihren Vater schickt sie dem Kind riesige, martialisch anmutende Spielsachen. Zuerst ist das Thema im Film – und, so scheint es, auch in Denisas Leben – wenig präsent, später wird es zum Eigentlichen. Die Versuche Denisas, gegen ihren Exmann und das Kontaktverbot zu klagen oder auf direktem Wege eine Einigung mit ihm zu finden, verlaufen, trotz zunehmender Dringlichkeit im Sand; sie scheint den Schritt nicht wirklich gehen zu können oder wollen. Von der Freundin hinter der Kamera hat sie den Kontakt eines Anwalts bekommen, und in ihrer Wohnung könnte sie schlafen, wenn sie den Vater des Kindes besuchen fährt. Die Rollen scheinen klar verteilt: Denisa ist die, die ihr Liebesleben, ihre Rolle als Mutter nicht so recht auf die Reihe zu kriegen scheint, die es trotz Hilfe nicht schafft. Dabei, so erfährt man im Publikumsgespräch, sei Denisa ihrer Freundin gegenüber selbst immer hilfsbereit gewesen, habe oft zum Beispiel angeboten, ihr Geld zu leihen. Dass man das durch den Film nicht mitbekommt ist schade. Denisa bleibt auf eine Art ausgestellt, problematisiert, und damit auf Distanz gehalten. Das Publikum lacht hier und da, man weiß nicht so recht, ob mit ihr.
Anders an die Sache heran geht der Kurzfilm, der in diesem Doppelscreening zuerst läuft: And Arnaud, ein Porträt des großen Bruders des Filmemachers Thomas Damas. Arnaud hat, das wird auch hier schnell gesetzt, ein Alkoholproblem, und ist auch sonst öfters high. „You want to get into my life? Go for it! / Du willst in mein Leben? Bitte sehr?” So erklärt Arnaud lachend seine Reaktion auf die Anfrage seines kleines Bruders, ob er einen Film über ihn machen könne: „Dem habe ich als Kind die Flasche gegeben, für den war ich da.“ Jetzt will Damas für seinen Bruder da sein, dem jede der drei Formen des Trinkens nach Bukowski (zum Feiern, aus Langeweile, um zu vergessen) nur allzu vertraut zu sein scheinen.
Die Kamera – die Damas nicht selbst hält, was ihm ermöglicht, immer mal wieder zusammen mit seinem Bruder im Bild zu sein – ist die meiste Zeit ganz nah an Arnauds Gesicht, high und schläfrig oder wach und zugewandt. Seine Oberlippe ist den halben Film über geschwollen, von einem Sturz, wie Arnaud seiner Mutter später berichtet, und nicht, wie man es zuerst befürchten muss, von einer Schlägerei. In einer Szene weint er, so offen, wie man Männer in Filmen selten weinen sieht. Es geht um die sexuelle Gewalt, die er erlebt hat, „das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann“, und eine „Familiensache“ offenbar. Manchmal sei es das Beste, von der Familie wegzugehen, sich so weit es geht zu entfernen – aber die hole einen dann wieder ein. Zum Bruder und auch zur Mutter scheint das Verhältnis vorrangig gut zu sein; in einer Szene sind die beiden Brüder bei der Mutter zu Besuch, freuen sich auf ihr Essen, machen zusammen Musik. Immer Arnauds Lächeln, seine Schönheit, die angegriffen sein mag, aber vielleicht gerade deswegen berührt.
„Ich vertraue niemandem, niemandem“, sagt Arnaud ebenso überzeugend wie verzweifelt, er vertraue ja nicht mal sich selbst. Aber er vertraut eben doch seinem Bruder. Und damit auch der Kamera und den ZuschauerInnen. Vielleicht ist sein Blick überhaupt der vertrauenvollste, den man sich denken kann. Möglicherweise liegt das auch daran, dass nicht nur er zum Objekt des Filmes gemacht wird, sondern auch der Regisseur hier und da wieder zu dem kleinen Bruder werden darf, der er ja auch ist, dass das Vertrauen beidseitig zu sein scheint. Und Arnaud wird nicht fallen gelassen. Einmal sitzt er besoffen am Flussufer und schwankt, weil er immer wieder einzuschlafen droht, gefährlich zu allen Seiten. Schnitt, und dann hilft Damas ihm auf und zieht ihn vom Wasser weg. Auf dem Rückweg läuft Arnaud wieder alleine, wir sehen ihn von hinten. Er dreht sich zu einer Mauer um, aha, Pinkeln? Nein, er reckt sich hoch und pflückt dicke weiße Blüten von einem darüber ragenden Baum, hält seinen Blumenstrauß hoch und grinst in die Kamera.
„Wir machen hier was über mich, aber was ist mit dir?“ ist die Frage, die And Arnaud von Denisa, Story of a Friend unterscheidet. Sich selbst zu zeigen, infrage stellen zu lassen, ist sicher nicht der einzige oder unbedingt beste Weg, die hierarchische Beziehung zwischen dem, der filmt, und dem, der gefilmt wird, zu brechen, oder eine Geschichte zu erzählen, die mehr Widersprüche und Differenzierungen zulässt. In diesem Fall ist es aber gerade diese Offenheit – auch diesbezüglich, dass er den Film auch gemacht hat, um seinem Bruder zu helfen – die Damas‘ Film an diesem Abend zu jenem macht, der seinem Protagonisten am ehesten die Gerechtigkeit wiederfahren lässt, auf die diejenigen, die sich auf diese Weise zeigen lassen, vielleicht immer hoffen.
And Arnaud
Belgien 2018; 25 Minuten
Regie: Thomas Damas
DOK Leipzig 2018, Internationales Programm Kurzfilm
Denisa, Story of a Friend
Slowakei 2017; 53 Minuten
Regie: Mária Brnušáková
DOK Leipzig 2018, Next Masters Wettbewerb
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